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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine perle.

Dreißigstes Aapitel.

Ihr seid der dreisteste Kumpan, mit welchem Frnnceseo Gonznga je zu
schaffen gehabt hat, rief der Herzog zwischen Verdruß und guter Laune; aber
ich will die Frucht dieser Stunde pflücken -- hier, seht her, Andren, und auch
du, ehrwürdiger Alohsius, sei mein Zeuge -- sagt mir, Andrea Primaticcio,
wo jener mir vor allem verhaßte Abboudiv sich befindet und, bei meiner fürst¬
lichen Ehre! ich zerreiße dies Pergament und gebe damit Marcello Buvuacolsi
seiner Freiheit zurück. Noch heute! Er legte die Schwurfiuger auf das Kruzifix.

Jetzt kann ich antworten, Altezza, sagte der Anwalt.

Also heraus damit: wo befindet sich Abbondio?

Altezza -- in Florenz.

Der Herzog sprang auf, klingelte und beschrieb dann hastig einen Zettel.

Der Page trat ein: An Vitaliano! rief er, geschwind! Und der Page
enteilte mit dem Zettel.

Andrea hatte sich ebenfalls erhoben. Seine Hand zitterte, als er das
Pergament unter dem Kruzifix hervorholte. Er hatte ein gefährliches Spiel
gespielt. Es konnte ihm den Kopf kosten. Aber er fürchtete schlimmeres: es
konnte im letzten Augenblick noch mißlungen, Marcello konnte dafür büßen müssen.
Dieser, nicht jener Gedanke machte ihn zittern.

Mit sanftem, dankbarem Lächeln um die blassen Lippen stand er da und
hielt dem Herzog das Bluturteil zum Zerreißen hin.

Francesco runzelte die Stirn; er zögerte. Wie war doch unser Pakt?
fragte er.

Altezza, Zug um Zug -- Leistung gegen Leistung.

Der Herzog legte die Finger auf das Kruzifix und blickte nach dem Bilde
seines Ahnherrn hinüber; ich löse mein Versprechen ein, Andrea Primaticcio,
sagte er, aber wenn mir Abbondio lebendigen Leibes entkommt, so habt Ihr
Euch um Euern Kopf geredet.

Damit zerriß er das Pergament und warf es auf den Estrich.

Der Anwalt holte tief Atem. Das wird er nicht, sagte er und griff mit
bebender Hand in die Tasche seines Talars. Verzeiht! Eine Schwäche wan¬
delte ihn an, er mußte sich auf den Sessel sinken lassen, und seine Wangen
wurden fahl.

Um Gotteswillen! Was ist Euch? rief der Herzog. Mit entsetzter Miene
schlug er sich vor die Stirn und eilte zur Thür. Die Doktoren sollen kommen!
rief er hinaus, auf der Stelle! Beide oder gleichviel auch nur einer! Wer
gerade zur Hand ist!

Er taumelte ins Zimmer zurück, denn ihm war es plötzlich, als habe sein
Schlund sich in einen Flammenhcrd verwandelt, und als beginne das Gift auch
in seinen Eingeweiden zu wühlen. In so stark stand seine Einbildungskraft in


Um eine perle.

Dreißigstes Aapitel.

Ihr seid der dreisteste Kumpan, mit welchem Frnnceseo Gonznga je zu
schaffen gehabt hat, rief der Herzog zwischen Verdruß und guter Laune; aber
ich will die Frucht dieser Stunde pflücken — hier, seht her, Andren, und auch
du, ehrwürdiger Alohsius, sei mein Zeuge — sagt mir, Andrea Primaticcio,
wo jener mir vor allem verhaßte Abboudiv sich befindet und, bei meiner fürst¬
lichen Ehre! ich zerreiße dies Pergament und gebe damit Marcello Buvuacolsi
seiner Freiheit zurück. Noch heute! Er legte die Schwurfiuger auf das Kruzifix.

Jetzt kann ich antworten, Altezza, sagte der Anwalt.

Also heraus damit: wo befindet sich Abbondio?

Altezza — in Florenz.

Der Herzog sprang auf, klingelte und beschrieb dann hastig einen Zettel.

Der Page trat ein: An Vitaliano! rief er, geschwind! Und der Page
enteilte mit dem Zettel.

Andrea hatte sich ebenfalls erhoben. Seine Hand zitterte, als er das
Pergament unter dem Kruzifix hervorholte. Er hatte ein gefährliches Spiel
gespielt. Es konnte ihm den Kopf kosten. Aber er fürchtete schlimmeres: es
konnte im letzten Augenblick noch mißlungen, Marcello konnte dafür büßen müssen.
Dieser, nicht jener Gedanke machte ihn zittern.

Mit sanftem, dankbarem Lächeln um die blassen Lippen stand er da und
hielt dem Herzog das Bluturteil zum Zerreißen hin.

Francesco runzelte die Stirn; er zögerte. Wie war doch unser Pakt?
fragte er.

Altezza, Zug um Zug — Leistung gegen Leistung.

Der Herzog legte die Finger auf das Kruzifix und blickte nach dem Bilde
seines Ahnherrn hinüber; ich löse mein Versprechen ein, Andrea Primaticcio,
sagte er, aber wenn mir Abbondio lebendigen Leibes entkommt, so habt Ihr
Euch um Euern Kopf geredet.

Damit zerriß er das Pergament und warf es auf den Estrich.

Der Anwalt holte tief Atem. Das wird er nicht, sagte er und griff mit
bebender Hand in die Tasche seines Talars. Verzeiht! Eine Schwäche wan¬
delte ihn an, er mußte sich auf den Sessel sinken lassen, und seine Wangen
wurden fahl.

Um Gotteswillen! Was ist Euch? rief der Herzog. Mit entsetzter Miene
schlug er sich vor die Stirn und eilte zur Thür. Die Doktoren sollen kommen!
rief er hinaus, auf der Stelle! Beide oder gleichviel auch nur einer! Wer
gerade zur Hand ist!

Er taumelte ins Zimmer zurück, denn ihm war es plötzlich, als habe sein
Schlund sich in einen Flammenhcrd verwandelt, und als beginne das Gift auch
in seinen Eingeweiden zu wühlen. In so stark stand seine Einbildungskraft in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/647>, abgerufen am 29.06.2024.