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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Goethe und Levezow.

Lohn für tapfere Thaten versprochen wird. Ein verwundeter preußischer
Kürassier, den Glaube und Liebe Pflegen, erzählt hierauf von einer schmerz¬
lichen Niederlage (bei Liguh), Epimenides fürchtet, daß ein Unglück nicht ver¬
einzelt erscheine, und schon berichtet der eine Genius unter fernem Kanonen¬
donner, daß wieder gefochten werde; Epimenides fleht in brünstigem Gebete
um die Hilfe der Götter, von dessen Erfüllung dann auch bald die Botschaft
des andern Genius meldet, wonach die Verbündeten einen glänzenden Sieg
davongetragen haben und bereits nach des Dämons Näubersitze eilen, wo
Epimenides über die Besiegten Recht sprechen solle. Die Szene verwandelt
sich darauf in einen Platz um Thore Se. Martin zu Paris, wo Gallia in
Trcmcrgewandcn Worte tiefsten Schmerzes und bitterster Neue ausspricht. Ein
Buhle hat ihr deu Schmuck der Hoheit geraubt, und demütig muß sie jetzt um
Frieden stehen; die Geister ihrer zahllosen, einer falschen Freiheit geopferten
Kinder umschweben sie und lassen ihr Herz in Reue erheben; mitleidsvoll grüßt
sie aber der fromme Schatten ihres "königlichen Sohnes," von dem sie in ihrem
Schmerze Trost erfährt. Der Genius von Paris, Lutetia, bringt die Stadt-
schlüsscl zur Übergabe für den Sieger herbei, nur von ihren Lastern und ihrem
Hochmut ist alles Leid Gallias veranlaßt worden. Es folgt der große und
feierliche Einzug der Verbündeten unter allgemeinem Triumphgesange. Borussia
empfängt von Lutetia die Stadtschlüssel und fordert den Epimenides auf, das
Urteil zu sprechen, welches dann dahin geht, daß er die schlimmen Dämonen
wieder zur Hölle hiuabschickt, während er Gallia und Lutetia zwar ihren Raub
nimmt, aber Gnade angedeihen läßt. Unter Glockengeläute, Kanonendonner
und Fahuenschwingcn schließt das Stück. Es kaun dieser Gelcgenheitsdichtung
nicht zum Vorwurf gereichen, daß sie an einigen Stellen um literarische Vor¬
bilder erinnert: der gebildete Philologe schilderte im Anschluß an Äschylos'
Perser das Unglück im feindlichen Lager, die Furien der Gallia erinnern an
die des Orest, und das unvertilgbare Blut an ihren Händen hat auch Lady
Maebeth schaudernd empfunden. Was aber das Verhältnis zu Goethes
"Epimenides" betrifft, fo hatte der Weimnrische Meister zunächst eine weit
größere Zeitspanne symbolisch darzustellen: er verkörpert den Zusammenbruch
des Reiches, die Fesselung von Glaube und Liebe, die endliche Erlösung;
Levezow hatte nur kurz auf die Rückkehr des höllischen Dämons hinzuweisen.
Bei Goethe sind ferner die geschichtlichen Personen und Ereignisse selten direkt
genannt, meist bleiben sie in der allegorischen Maske verborgen; nur an einigen
Stellen bricht die Wirklichkeit hindurch, so in den Worten des kretischen Sehers:
"Bei Friedrichs Asche war's geschworen," was auf den von Friedrich Wilhelm
dem Dritten und Alexander zu Potsdam 1805 an Friedrichs des Großen Sarge
geschlossenen Bund sich bezieht; zuletzt erscheinen im Festzuge preußische Soldaten,
(auf die Goethe ursprünglich durch die Tracht der preußischen Ordensritter nur
hinweisen wollte), der Triumphwagen des Brandenburger Thores wird auf dem


Goethe und Levezow.

Lohn für tapfere Thaten versprochen wird. Ein verwundeter preußischer
Kürassier, den Glaube und Liebe Pflegen, erzählt hierauf von einer schmerz¬
lichen Niederlage (bei Liguh), Epimenides fürchtet, daß ein Unglück nicht ver¬
einzelt erscheine, und schon berichtet der eine Genius unter fernem Kanonen¬
donner, daß wieder gefochten werde; Epimenides fleht in brünstigem Gebete
um die Hilfe der Götter, von dessen Erfüllung dann auch bald die Botschaft
des andern Genius meldet, wonach die Verbündeten einen glänzenden Sieg
davongetragen haben und bereits nach des Dämons Näubersitze eilen, wo
Epimenides über die Besiegten Recht sprechen solle. Die Szene verwandelt
sich darauf in einen Platz um Thore Se. Martin zu Paris, wo Gallia in
Trcmcrgewandcn Worte tiefsten Schmerzes und bitterster Neue ausspricht. Ein
Buhle hat ihr deu Schmuck der Hoheit geraubt, und demütig muß sie jetzt um
Frieden stehen; die Geister ihrer zahllosen, einer falschen Freiheit geopferten
Kinder umschweben sie und lassen ihr Herz in Reue erheben; mitleidsvoll grüßt
sie aber der fromme Schatten ihres „königlichen Sohnes," von dem sie in ihrem
Schmerze Trost erfährt. Der Genius von Paris, Lutetia, bringt die Stadt-
schlüsscl zur Übergabe für den Sieger herbei, nur von ihren Lastern und ihrem
Hochmut ist alles Leid Gallias veranlaßt worden. Es folgt der große und
feierliche Einzug der Verbündeten unter allgemeinem Triumphgesange. Borussia
empfängt von Lutetia die Stadtschlüssel und fordert den Epimenides auf, das
Urteil zu sprechen, welches dann dahin geht, daß er die schlimmen Dämonen
wieder zur Hölle hiuabschickt, während er Gallia und Lutetia zwar ihren Raub
nimmt, aber Gnade angedeihen läßt. Unter Glockengeläute, Kanonendonner
und Fahuenschwingcn schließt das Stück. Es kaun dieser Gelcgenheitsdichtung
nicht zum Vorwurf gereichen, daß sie an einigen Stellen um literarische Vor¬
bilder erinnert: der gebildete Philologe schilderte im Anschluß an Äschylos'
Perser das Unglück im feindlichen Lager, die Furien der Gallia erinnern an
die des Orest, und das unvertilgbare Blut an ihren Händen hat auch Lady
Maebeth schaudernd empfunden. Was aber das Verhältnis zu Goethes
„Epimenides" betrifft, fo hatte der Weimnrische Meister zunächst eine weit
größere Zeitspanne symbolisch darzustellen: er verkörpert den Zusammenbruch
des Reiches, die Fesselung von Glaube und Liebe, die endliche Erlösung;
Levezow hatte nur kurz auf die Rückkehr des höllischen Dämons hinzuweisen.
Bei Goethe sind ferner die geschichtlichen Personen und Ereignisse selten direkt
genannt, meist bleiben sie in der allegorischen Maske verborgen; nur an einigen
Stellen bricht die Wirklichkeit hindurch, so in den Worten des kretischen Sehers:
„Bei Friedrichs Asche war's geschworen," was auf den von Friedrich Wilhelm
dem Dritten und Alexander zu Potsdam 1805 an Friedrichs des Großen Sarge
geschlossenen Bund sich bezieht; zuletzt erscheinen im Festzuge preußische Soldaten,
(auf die Goethe ursprünglich durch die Tracht der preußischen Ordensritter nur
hinweisen wollte), der Triumphwagen des Brandenburger Thores wird auf dem


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[0629] Goethe und Levezow. Lohn für tapfere Thaten versprochen wird. Ein verwundeter preußischer Kürassier, den Glaube und Liebe Pflegen, erzählt hierauf von einer schmerz¬ lichen Niederlage (bei Liguh), Epimenides fürchtet, daß ein Unglück nicht ver¬ einzelt erscheine, und schon berichtet der eine Genius unter fernem Kanonen¬ donner, daß wieder gefochten werde; Epimenides fleht in brünstigem Gebete um die Hilfe der Götter, von dessen Erfüllung dann auch bald die Botschaft des andern Genius meldet, wonach die Verbündeten einen glänzenden Sieg davongetragen haben und bereits nach des Dämons Näubersitze eilen, wo Epimenides über die Besiegten Recht sprechen solle. Die Szene verwandelt sich darauf in einen Platz um Thore Se. Martin zu Paris, wo Gallia in Trcmcrgewandcn Worte tiefsten Schmerzes und bitterster Neue ausspricht. Ein Buhle hat ihr deu Schmuck der Hoheit geraubt, und demütig muß sie jetzt um Frieden stehen; die Geister ihrer zahllosen, einer falschen Freiheit geopferten Kinder umschweben sie und lassen ihr Herz in Reue erheben; mitleidsvoll grüßt sie aber der fromme Schatten ihres „königlichen Sohnes," von dem sie in ihrem Schmerze Trost erfährt. Der Genius von Paris, Lutetia, bringt die Stadt- schlüsscl zur Übergabe für den Sieger herbei, nur von ihren Lastern und ihrem Hochmut ist alles Leid Gallias veranlaßt worden. Es folgt der große und feierliche Einzug der Verbündeten unter allgemeinem Triumphgesange. Borussia empfängt von Lutetia die Stadtschlüssel und fordert den Epimenides auf, das Urteil zu sprechen, welches dann dahin geht, daß er die schlimmen Dämonen wieder zur Hölle hiuabschickt, während er Gallia und Lutetia zwar ihren Raub nimmt, aber Gnade angedeihen läßt. Unter Glockengeläute, Kanonendonner und Fahuenschwingcn schließt das Stück. Es kaun dieser Gelcgenheitsdichtung nicht zum Vorwurf gereichen, daß sie an einigen Stellen um literarische Vor¬ bilder erinnert: der gebildete Philologe schilderte im Anschluß an Äschylos' Perser das Unglück im feindlichen Lager, die Furien der Gallia erinnern an die des Orest, und das unvertilgbare Blut an ihren Händen hat auch Lady Maebeth schaudernd empfunden. Was aber das Verhältnis zu Goethes „Epimenides" betrifft, fo hatte der Weimnrische Meister zunächst eine weit größere Zeitspanne symbolisch darzustellen: er verkörpert den Zusammenbruch des Reiches, die Fesselung von Glaube und Liebe, die endliche Erlösung; Levezow hatte nur kurz auf die Rückkehr des höllischen Dämons hinzuweisen. Bei Goethe sind ferner die geschichtlichen Personen und Ereignisse selten direkt genannt, meist bleiben sie in der allegorischen Maske verborgen; nur an einigen Stellen bricht die Wirklichkeit hindurch, so in den Worten des kretischen Sehers: „Bei Friedrichs Asche war's geschworen," was auf den von Friedrich Wilhelm dem Dritten und Alexander zu Potsdam 1805 an Friedrichs des Großen Sarge geschlossenen Bund sich bezieht; zuletzt erscheinen im Festzuge preußische Soldaten, (auf die Goethe ursprünglich durch die Tracht der preußischen Ordensritter nur hinweisen wollte), der Triumphwagen des Brandenburger Thores wird auf dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/629>, abgerufen am 22.07.2024.