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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Goethe und Levezoiv.

in Berlin aufgeführt, ohne aber einen durchschlagenden Erfolg zu erringen.
(Vergl, "Morgenblatt" vom 29. September 1814, Ur. 233.) Der "Abschied von
der Heimat oder die Heidengräber bei Groß-Beeren" wurde mit Musik des
Epimenideskompvnisteu Bernhald Anselm Weber zum Gedächtnis der berühmten
Schlacht am 23. und 27. August 1815 im königlichen Operntheater in Berlin
aufgeführt. Die Handlung spielt im Mui 1815: ein preußischer Gefreiter erzählt
einem süddeutschen Wandrer ans dein Schlachtfelde von Groß-Beeren von dem
Hergange des Kampfes. Später nehmen preußische Krieger, die zu erneutem
Rachekampfe ausziehen, auf der geweihte" Stätte rührenden Abschied von ihren
Liebe". Ein Kritiker des "Morgenblattes" ernährt, daß der Mangel an Handlung
Wohl allgemein empfunden worden sei (1815, Ur. 236, S. 944)/") Aber das
kleine Werk wurde doch der Stimmung des Augenblicks einigermaßen gerecht
und ging nicht ohne Eindruck vorüber.

Zur richtigen Würdigung des vaterländischen Festspieles, durch welches Leve-
zow den Goethischen "Epimenides" unter dein Titel "Des Epimenides Urteil" fort¬
setzte, muß man sich durchaus die Kürze der Zeit vergegenwärtigen, in welcher dessen
Herstellung von ihm ermöglicht wurde. Am 18. Juni fand die Schlacht bei Water-
loo statt, und das Schauspiel, welches diesen Sieg feiern sollte, ging bereits an
16, Juli über die Bretter. Levezow sagt in der Vorrede: "Idee und Plan dazu
konnten nur das Werk weniger Minuten sein, die Ausführung mir das Werk
weniger Tage. Kaum blieb Zeit genug übrig, deu ersten Erguß der Empfindung
durch eine Reinschrift von des Verfassers Hand völlig zu ordne" und zu gestalten;
denn schon harrten Schauspieler auf ihre Rollen, Dekorateur, Theatcrmeister,
Maschinist, Garderobier, jeder auf die Aufträge, welche mit ebensoviel Eile
ausgeführt werden sollten, als sie entwürfen waren." Unter diesen Umständen
war es angemessen, daß sich der Dichter im wesentlichen an das allegorische
Werk Goethes anschloß und die dort auftretenden Personen, den Epimenides,
die Tugenden (außer der Beharrlichkeit), die Dämonen, und auch, da neue
Konipositionen nicht hergestellt werden konnten, mit geringen Änderungen den
Text der Goethischen Chöre herübernahm. Neu hinzu brachte er die symbolischen
Gestalten der Borussia, der Britannia, der Gallia und der Lutetia, sowie einen
preußischen Krieger. -- Die Handlung spielt zu anfang, wie bei Goethe, vor dem
Palast des Epimenides. Die Eintracht meldet, daß die Dämonen der Unter¬
drückung, des Krieges und der List wiederum aus der Hölle Schlund empor¬
gestiegen seien; man will zu neuen Thaten die bedrängten Völker wecken, und
mutig hinaufblickend zu des Schutzes Unterpfand, der Viktoria des Brandenburger
Thores (welche schon bei Goethe auf dem wieder erbauten Palaste des
Epimenides Prange), erwartet man, daß der guten Sache der Sieg uicht
fehlen werde. Bald erscheinen die Dämonen mit ihrem Heere, dem nnermeßner



') Den Hinweis auf diese Kritik verdanke ich Herrn Professor Bernays.
Goethe und Levezoiv.

in Berlin aufgeführt, ohne aber einen durchschlagenden Erfolg zu erringen.
(Vergl, „Morgenblatt" vom 29. September 1814, Ur. 233.) Der „Abschied von
der Heimat oder die Heidengräber bei Groß-Beeren" wurde mit Musik des
Epimenideskompvnisteu Bernhald Anselm Weber zum Gedächtnis der berühmten
Schlacht am 23. und 27. August 1815 im königlichen Operntheater in Berlin
aufgeführt. Die Handlung spielt im Mui 1815: ein preußischer Gefreiter erzählt
einem süddeutschen Wandrer ans dein Schlachtfelde von Groß-Beeren von dem
Hergange des Kampfes. Später nehmen preußische Krieger, die zu erneutem
Rachekampfe ausziehen, auf der geweihte» Stätte rührenden Abschied von ihren
Liebe». Ein Kritiker des „Morgenblattes" ernährt, daß der Mangel an Handlung
Wohl allgemein empfunden worden sei (1815, Ur. 236, S. 944)/") Aber das
kleine Werk wurde doch der Stimmung des Augenblicks einigermaßen gerecht
und ging nicht ohne Eindruck vorüber.

Zur richtigen Würdigung des vaterländischen Festspieles, durch welches Leve-
zow den Goethischen „Epimenides" unter dein Titel „Des Epimenides Urteil" fort¬
setzte, muß man sich durchaus die Kürze der Zeit vergegenwärtigen, in welcher dessen
Herstellung von ihm ermöglicht wurde. Am 18. Juni fand die Schlacht bei Water-
loo statt, und das Schauspiel, welches diesen Sieg feiern sollte, ging bereits an
16, Juli über die Bretter. Levezow sagt in der Vorrede: „Idee und Plan dazu
konnten nur das Werk weniger Minuten sein, die Ausführung mir das Werk
weniger Tage. Kaum blieb Zeit genug übrig, deu ersten Erguß der Empfindung
durch eine Reinschrift von des Verfassers Hand völlig zu ordne» und zu gestalten;
denn schon harrten Schauspieler auf ihre Rollen, Dekorateur, Theatcrmeister,
Maschinist, Garderobier, jeder auf die Aufträge, welche mit ebensoviel Eile
ausgeführt werden sollten, als sie entwürfen waren." Unter diesen Umständen
war es angemessen, daß sich der Dichter im wesentlichen an das allegorische
Werk Goethes anschloß und die dort auftretenden Personen, den Epimenides,
die Tugenden (außer der Beharrlichkeit), die Dämonen, und auch, da neue
Konipositionen nicht hergestellt werden konnten, mit geringen Änderungen den
Text der Goethischen Chöre herübernahm. Neu hinzu brachte er die symbolischen
Gestalten der Borussia, der Britannia, der Gallia und der Lutetia, sowie einen
preußischen Krieger. — Die Handlung spielt zu anfang, wie bei Goethe, vor dem
Palast des Epimenides. Die Eintracht meldet, daß die Dämonen der Unter¬
drückung, des Krieges und der List wiederum aus der Hölle Schlund empor¬
gestiegen seien; man will zu neuen Thaten die bedrängten Völker wecken, und
mutig hinaufblickend zu des Schutzes Unterpfand, der Viktoria des Brandenburger
Thores (welche schon bei Goethe auf dem wieder erbauten Palaste des
Epimenides Prange), erwartet man, daß der guten Sache der Sieg uicht
fehlen werde. Bald erscheinen die Dämonen mit ihrem Heere, dem nnermeßner



') Den Hinweis auf diese Kritik verdanke ich Herrn Professor Bernays.
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[0628] Goethe und Levezoiv. in Berlin aufgeführt, ohne aber einen durchschlagenden Erfolg zu erringen. (Vergl, „Morgenblatt" vom 29. September 1814, Ur. 233.) Der „Abschied von der Heimat oder die Heidengräber bei Groß-Beeren" wurde mit Musik des Epimenideskompvnisteu Bernhald Anselm Weber zum Gedächtnis der berühmten Schlacht am 23. und 27. August 1815 im königlichen Operntheater in Berlin aufgeführt. Die Handlung spielt im Mui 1815: ein preußischer Gefreiter erzählt einem süddeutschen Wandrer ans dein Schlachtfelde von Groß-Beeren von dem Hergange des Kampfes. Später nehmen preußische Krieger, die zu erneutem Rachekampfe ausziehen, auf der geweihte» Stätte rührenden Abschied von ihren Liebe». Ein Kritiker des „Morgenblattes" ernährt, daß der Mangel an Handlung Wohl allgemein empfunden worden sei (1815, Ur. 236, S. 944)/") Aber das kleine Werk wurde doch der Stimmung des Augenblicks einigermaßen gerecht und ging nicht ohne Eindruck vorüber. Zur richtigen Würdigung des vaterländischen Festspieles, durch welches Leve- zow den Goethischen „Epimenides" unter dein Titel „Des Epimenides Urteil" fort¬ setzte, muß man sich durchaus die Kürze der Zeit vergegenwärtigen, in welcher dessen Herstellung von ihm ermöglicht wurde. Am 18. Juni fand die Schlacht bei Water- loo statt, und das Schauspiel, welches diesen Sieg feiern sollte, ging bereits an 16, Juli über die Bretter. Levezow sagt in der Vorrede: „Idee und Plan dazu konnten nur das Werk weniger Minuten sein, die Ausführung mir das Werk weniger Tage. Kaum blieb Zeit genug übrig, deu ersten Erguß der Empfindung durch eine Reinschrift von des Verfassers Hand völlig zu ordne» und zu gestalten; denn schon harrten Schauspieler auf ihre Rollen, Dekorateur, Theatcrmeister, Maschinist, Garderobier, jeder auf die Aufträge, welche mit ebensoviel Eile ausgeführt werden sollten, als sie entwürfen waren." Unter diesen Umständen war es angemessen, daß sich der Dichter im wesentlichen an das allegorische Werk Goethes anschloß und die dort auftretenden Personen, den Epimenides, die Tugenden (außer der Beharrlichkeit), die Dämonen, und auch, da neue Konipositionen nicht hergestellt werden konnten, mit geringen Änderungen den Text der Goethischen Chöre herübernahm. Neu hinzu brachte er die symbolischen Gestalten der Borussia, der Britannia, der Gallia und der Lutetia, sowie einen preußischen Krieger. — Die Handlung spielt zu anfang, wie bei Goethe, vor dem Palast des Epimenides. Die Eintracht meldet, daß die Dämonen der Unter¬ drückung, des Krieges und der List wiederum aus der Hölle Schlund empor¬ gestiegen seien; man will zu neuen Thaten die bedrängten Völker wecken, und mutig hinaufblickend zu des Schutzes Unterpfand, der Viktoria des Brandenburger Thores (welche schon bei Goethe auf dem wieder erbauten Palaste des Epimenides Prange), erwartet man, daß der guten Sache der Sieg uicht fehlen werde. Bald erscheinen die Dämonen mit ihrem Heere, dem nnermeßner ') Den Hinweis auf diese Kritik verdanke ich Herrn Professor Bernays.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/628>, abgerufen am 22.07.2024.