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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Goethe und Levezow.

machen. Wie die schließliche Erkennung der Liebenden als Geschwister an den
"Nathan" erinnert, so ähnelt der ganze Verlauf der Handlung dem in der
"Emilici Galotti." Es ist keine Frage, daß das letztere Stuck fast in allen
Beziehungen dem Levezowschen überlegen ist; aber der ethische Kern ist an¬
sprechender bei dem Epigonen, indem dieser einerseits dem Verführer den ge¬
bührenden Lohn erteilt, andrerseits die Unschuld nicht bloß duldend, sondern
in heroischen Kampfe, frei von aller auch nur psychischen Ansteckung des Lasters,
unterliegen läßt. Bei der Aufführung im königlichen Schauspielhause in Berlin
am 30. Juni 1823 wurde das Werk mit einem "Achtungserfolge" abgelehnt.
(Vergl. "Abendzeitung" 1823, Ur. 234, S. 1016.)

Bevor wir zu den vaterländischen Festspielen Levezows übergehen, mögen
noch einige Kleinigkeiten Erwähnung finden. Ein Drama "Die Totenfeier,"
welches nach der Angabe in Teichmmms Literarischem Nachlaß (S. 464) im
November 1805 über die Berliner Bühne ging, ist mir unter diesem Titel
nicht bekannt geworden: ich vermute aber, daß darunter eine kleine, mir im
Manuskript vorliegende Gelegenheitsdichtung gemeint ist, in welcher das An¬
denken Schillers gefeiert wird. Der Priester der tragischen Muse bringt darin
den Manen des entschlafenen Dichterfürsten ein Opfer dar, drückt in bewegten
Worten den Schmerz des Vaterlandes über den zu früh Verlorenen aus, und
läßt an seinem Geiste die Hauptgestalten der Schillerschen Dramen vom Karlos
bis zum Tell sowie der beiden großen Geschichtswerke vorüberziehen. Der
Schmerz über den Verlust des Gewaltigen, der vielen Berlinern durch seinen
dortigen Aufenthalt vom Jahre 1804 noch in lebhafter persönlicher Erinnerung
vorschwebte, und der würdige Ton der Levezowschen Gedächtnisworte mochten
im Publikum wohl eine tiefe Bewegung hervorrufen. -- Als Zeugnisse der emsigen
Thätigkeit unsers Dichters für die Berliner Bühne mögen noch die Übersetzung
des französischen Dramas "Die Templer" (von dem romanischen Sprachforscher
Raynouard), sowie das "Dramaturgische Wochenblatt" genannt sein, welches
Levezow vom Juli 1813 bis zum Juni 1817 "in nächster Beziehung auf die
königlichen Schauspiele in Berlin" herausgab.

Seiner patriotischen Gesinnung hat Levezow durch eine größere Anzahl
von Reden und Prologen Ausdruck gegeben, welche bei Aufführungen im Theater
und bei andern Gelegenheiten gesprochen wurden. Insbesondre hat er dieselbe
aber durch drei kleine Dramen bekundet, von denen das eine auf Kolbergs
ruhmvolle Verteidigung 1807, das andre auf die Schlacht bei Groß-Beeren,
das dritte auf die bei Waterloo Bezug nimmt. Das zweiaktige Singspiel "Die
Fischer bei Kolberg" (ungedruckt) behandelt die Rettung eines verwundeten
preußischen Offiziers, welcher bei treuen pommerschen Fischern vor den Nach¬
stellungen der Franzosen bewahrt bleibt. Zur Belohnung erwirkt der Offizier
dem jungen Fischer die Einwilligung des Vaters zu einer bis dahin verweigerten
Heirat. Das Werk wurde mit Mustk von Rungenhage" am 31. August 1814


Goethe und Levezow.

machen. Wie die schließliche Erkennung der Liebenden als Geschwister an den
„Nathan" erinnert, so ähnelt der ganze Verlauf der Handlung dem in der
„Emilici Galotti." Es ist keine Frage, daß das letztere Stuck fast in allen
Beziehungen dem Levezowschen überlegen ist; aber der ethische Kern ist an¬
sprechender bei dem Epigonen, indem dieser einerseits dem Verführer den ge¬
bührenden Lohn erteilt, andrerseits die Unschuld nicht bloß duldend, sondern
in heroischen Kampfe, frei von aller auch nur psychischen Ansteckung des Lasters,
unterliegen läßt. Bei der Aufführung im königlichen Schauspielhause in Berlin
am 30. Juni 1823 wurde das Werk mit einem „Achtungserfolge" abgelehnt.
(Vergl. „Abendzeitung" 1823, Ur. 234, S. 1016.)

Bevor wir zu den vaterländischen Festspielen Levezows übergehen, mögen
noch einige Kleinigkeiten Erwähnung finden. Ein Drama „Die Totenfeier,"
welches nach der Angabe in Teichmmms Literarischem Nachlaß (S. 464) im
November 1805 über die Berliner Bühne ging, ist mir unter diesem Titel
nicht bekannt geworden: ich vermute aber, daß darunter eine kleine, mir im
Manuskript vorliegende Gelegenheitsdichtung gemeint ist, in welcher das An¬
denken Schillers gefeiert wird. Der Priester der tragischen Muse bringt darin
den Manen des entschlafenen Dichterfürsten ein Opfer dar, drückt in bewegten
Worten den Schmerz des Vaterlandes über den zu früh Verlorenen aus, und
läßt an seinem Geiste die Hauptgestalten der Schillerschen Dramen vom Karlos
bis zum Tell sowie der beiden großen Geschichtswerke vorüberziehen. Der
Schmerz über den Verlust des Gewaltigen, der vielen Berlinern durch seinen
dortigen Aufenthalt vom Jahre 1804 noch in lebhafter persönlicher Erinnerung
vorschwebte, und der würdige Ton der Levezowschen Gedächtnisworte mochten
im Publikum wohl eine tiefe Bewegung hervorrufen. — Als Zeugnisse der emsigen
Thätigkeit unsers Dichters für die Berliner Bühne mögen noch die Übersetzung
des französischen Dramas „Die Templer" (von dem romanischen Sprachforscher
Raynouard), sowie das „Dramaturgische Wochenblatt" genannt sein, welches
Levezow vom Juli 1813 bis zum Juni 1817 „in nächster Beziehung auf die
königlichen Schauspiele in Berlin" herausgab.

Seiner patriotischen Gesinnung hat Levezow durch eine größere Anzahl
von Reden und Prologen Ausdruck gegeben, welche bei Aufführungen im Theater
und bei andern Gelegenheiten gesprochen wurden. Insbesondre hat er dieselbe
aber durch drei kleine Dramen bekundet, von denen das eine auf Kolbergs
ruhmvolle Verteidigung 1807, das andre auf die Schlacht bei Groß-Beeren,
das dritte auf die bei Waterloo Bezug nimmt. Das zweiaktige Singspiel „Die
Fischer bei Kolberg" (ungedruckt) behandelt die Rettung eines verwundeten
preußischen Offiziers, welcher bei treuen pommerschen Fischern vor den Nach¬
stellungen der Franzosen bewahrt bleibt. Zur Belohnung erwirkt der Offizier
dem jungen Fischer die Einwilligung des Vaters zu einer bis dahin verweigerten
Heirat. Das Werk wurde mit Mustk von Rungenhage» am 31. August 1814


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[0627] Goethe und Levezow. machen. Wie die schließliche Erkennung der Liebenden als Geschwister an den „Nathan" erinnert, so ähnelt der ganze Verlauf der Handlung dem in der „Emilici Galotti." Es ist keine Frage, daß das letztere Stuck fast in allen Beziehungen dem Levezowschen überlegen ist; aber der ethische Kern ist an¬ sprechender bei dem Epigonen, indem dieser einerseits dem Verführer den ge¬ bührenden Lohn erteilt, andrerseits die Unschuld nicht bloß duldend, sondern in heroischen Kampfe, frei von aller auch nur psychischen Ansteckung des Lasters, unterliegen läßt. Bei der Aufführung im königlichen Schauspielhause in Berlin am 30. Juni 1823 wurde das Werk mit einem „Achtungserfolge" abgelehnt. (Vergl. „Abendzeitung" 1823, Ur. 234, S. 1016.) Bevor wir zu den vaterländischen Festspielen Levezows übergehen, mögen noch einige Kleinigkeiten Erwähnung finden. Ein Drama „Die Totenfeier," welches nach der Angabe in Teichmmms Literarischem Nachlaß (S. 464) im November 1805 über die Berliner Bühne ging, ist mir unter diesem Titel nicht bekannt geworden: ich vermute aber, daß darunter eine kleine, mir im Manuskript vorliegende Gelegenheitsdichtung gemeint ist, in welcher das An¬ denken Schillers gefeiert wird. Der Priester der tragischen Muse bringt darin den Manen des entschlafenen Dichterfürsten ein Opfer dar, drückt in bewegten Worten den Schmerz des Vaterlandes über den zu früh Verlorenen aus, und läßt an seinem Geiste die Hauptgestalten der Schillerschen Dramen vom Karlos bis zum Tell sowie der beiden großen Geschichtswerke vorüberziehen. Der Schmerz über den Verlust des Gewaltigen, der vielen Berlinern durch seinen dortigen Aufenthalt vom Jahre 1804 noch in lebhafter persönlicher Erinnerung vorschwebte, und der würdige Ton der Levezowschen Gedächtnisworte mochten im Publikum wohl eine tiefe Bewegung hervorrufen. — Als Zeugnisse der emsigen Thätigkeit unsers Dichters für die Berliner Bühne mögen noch die Übersetzung des französischen Dramas „Die Templer" (von dem romanischen Sprachforscher Raynouard), sowie das „Dramaturgische Wochenblatt" genannt sein, welches Levezow vom Juli 1813 bis zum Juni 1817 „in nächster Beziehung auf die königlichen Schauspiele in Berlin" herausgab. Seiner patriotischen Gesinnung hat Levezow durch eine größere Anzahl von Reden und Prologen Ausdruck gegeben, welche bei Aufführungen im Theater und bei andern Gelegenheiten gesprochen wurden. Insbesondre hat er dieselbe aber durch drei kleine Dramen bekundet, von denen das eine auf Kolbergs ruhmvolle Verteidigung 1807, das andre auf die Schlacht bei Groß-Beeren, das dritte auf die bei Waterloo Bezug nimmt. Das zweiaktige Singspiel „Die Fischer bei Kolberg" (ungedruckt) behandelt die Rettung eines verwundeten preußischen Offiziers, welcher bei treuen pommerschen Fischern vor den Nach¬ stellungen der Franzosen bewahrt bleibt. Zur Belohnung erwirkt der Offizier dem jungen Fischer die Einwilligung des Vaters zu einer bis dahin verweigerten Heirat. Das Werk wurde mit Mustk von Rungenhage» am 31. August 1814

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/627>, abgerufen am 22.07.2024.