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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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dramatischen Stoff" der letzten Odysseegesänge seines griechisch-heroischen Ge¬
wandes zu entkleiden und ihn in die heidnisch-slawische Vorzeit der Insel Rügen
zu verlegen, wozu ihn Mitteilungen bei Snorri Sturlnson in der "Hcimskringla"
und Stellen bei Torfäus anregten: die Angaben über den rügischen Seekönig
Ratibor erinnerten an Odysseus. und dessen Zug nach Konghälla (Kongelf) ließ
sich mit dem Trvjanerkriege vergleichen. Der Dichter fand ohne Zweifel Ge¬
legenheit, das rügensche Lokalkolorit, sowie dus "Meer- und Jnselhafte," welches
von Jugend an ihm Phantasie und Gefühl bewegte, diesem Stoffe mitzuteilen,
und so konnte sich hier seine klassische Begeisterung mit der Vaterlandsliebe zu
gemeinsamer Wirkung vereinigen. Bei der Aufführung am 7. Juli 1819 er¬
zielte das Drama einen schönen Erfolg. In der "Abendzeitung" vom 7. August
desselben Jahres (Ur. 188) erfuhr es folgende Würdigung: "Das Drama gefiel,
und hat gewiß entschiednen Wert, wenn man darin gleich neben der Tiefe auch
einige Breite findet. Der Stoff ist reichhaltig und anziehend, denn er gründet
sich 'auf die Odyssee; Ulysses ist hier Ratibor, Penelope Wanda, Ithaka die
Insel Rügen u. s. w.; die Verse sind größtenteils sinnvoll und technisch sorg¬
fältig gebaut, nnr vermißt man in ihnen hin und wieder Leichtigkeit und ge¬
fälligen Fluß der Perioden."

An diese beiden klassischen Dramen reihen wir eine allegorisch-romantische
Tragödie (nicht gedruckt), in welcher der Dichter weder seine klassische Bildung
noch seine Vaterlandsliebe, sondern lediglich die Tüchtigkeit seines Charakters
entwickeln konnte. Diese Tragödie, "Jnnocentia" betitelt, behandelt ein bekanntes
Thema: die Verfolgungen, welche weibliche Unschuld von den Begierden eines
Fürsten zu erdulden hat. Die Heldin Jnnocentia ist eine Waise, welche, an den
Hof des Fürsten gelockt, dort aufs beste gepflegt wird und zunächst durch
schmeichelnde Worte, dann durch eine sinnbethörende Pantomime von Amor und
Psyche, endlich durch Gewalt den Wünschen des Verführers willfährig gemacht
werden soll. Sie bleibt aber standhaft, selbst als man sie in den Kerker ge¬
worfen hat, aus dem sie später durch einen schlichten Hirten Antonio, der sie
liebt, wieder befreit wird; in einem erbitterten Kampfe der Hirten und des
Fürsten wird der letztere getötet, aber auch Jnnoceutia verwundet. Die Hirten
tragen sie hinweg, und die Sterbende wird als die früher von Räubern entführte
Schwester des Antonio erkannt. -- Wie schon Jnnveentia durch ihren Namen als
eine allegorische Verkörperung der Unschuld bezeichnet wird, so sind zwei andre
Hauptfiguren, Arete und Hedone, die personifizirten Begriffe der Tugend und
der Wollust; auch wird von diesen Figuren an mehreren Stellen der Schleier
der Allegorie gelüftet. Dazu tritt die Tugend zweimal als überirdische Er¬
scheinung aus den Wolken hernieder, während die Wollust schließlich zur Unter¬
welt hinabfährt. An diesem Fehler der Allegorie, des Wunderbaren und Opern-
Haften mußte die Tragödie scheitern. Der Fehler war auch durch eine oft
gehobene Sprache, glänzende Szenerie und edelste Gesinnung nicht wett zu


dramatischen Stoff" der letzten Odysseegesänge seines griechisch-heroischen Ge¬
wandes zu entkleiden und ihn in die heidnisch-slawische Vorzeit der Insel Rügen
zu verlegen, wozu ihn Mitteilungen bei Snorri Sturlnson in der „Hcimskringla"
und Stellen bei Torfäus anregten: die Angaben über den rügischen Seekönig
Ratibor erinnerten an Odysseus. und dessen Zug nach Konghälla (Kongelf) ließ
sich mit dem Trvjanerkriege vergleichen. Der Dichter fand ohne Zweifel Ge¬
legenheit, das rügensche Lokalkolorit, sowie dus „Meer- und Jnselhafte," welches
von Jugend an ihm Phantasie und Gefühl bewegte, diesem Stoffe mitzuteilen,
und so konnte sich hier seine klassische Begeisterung mit der Vaterlandsliebe zu
gemeinsamer Wirkung vereinigen. Bei der Aufführung am 7. Juli 1819 er¬
zielte das Drama einen schönen Erfolg. In der „Abendzeitung" vom 7. August
desselben Jahres (Ur. 188) erfuhr es folgende Würdigung: „Das Drama gefiel,
und hat gewiß entschiednen Wert, wenn man darin gleich neben der Tiefe auch
einige Breite findet. Der Stoff ist reichhaltig und anziehend, denn er gründet
sich 'auf die Odyssee; Ulysses ist hier Ratibor, Penelope Wanda, Ithaka die
Insel Rügen u. s. w.; die Verse sind größtenteils sinnvoll und technisch sorg¬
fältig gebaut, nnr vermißt man in ihnen hin und wieder Leichtigkeit und ge¬
fälligen Fluß der Perioden."

An diese beiden klassischen Dramen reihen wir eine allegorisch-romantische
Tragödie (nicht gedruckt), in welcher der Dichter weder seine klassische Bildung
noch seine Vaterlandsliebe, sondern lediglich die Tüchtigkeit seines Charakters
entwickeln konnte. Diese Tragödie, „Jnnocentia" betitelt, behandelt ein bekanntes
Thema: die Verfolgungen, welche weibliche Unschuld von den Begierden eines
Fürsten zu erdulden hat. Die Heldin Jnnocentia ist eine Waise, welche, an den
Hof des Fürsten gelockt, dort aufs beste gepflegt wird und zunächst durch
schmeichelnde Worte, dann durch eine sinnbethörende Pantomime von Amor und
Psyche, endlich durch Gewalt den Wünschen des Verführers willfährig gemacht
werden soll. Sie bleibt aber standhaft, selbst als man sie in den Kerker ge¬
worfen hat, aus dem sie später durch einen schlichten Hirten Antonio, der sie
liebt, wieder befreit wird; in einem erbitterten Kampfe der Hirten und des
Fürsten wird der letztere getötet, aber auch Jnnoceutia verwundet. Die Hirten
tragen sie hinweg, und die Sterbende wird als die früher von Räubern entführte
Schwester des Antonio erkannt. — Wie schon Jnnveentia durch ihren Namen als
eine allegorische Verkörperung der Unschuld bezeichnet wird, so sind zwei andre
Hauptfiguren, Arete und Hedone, die personifizirten Begriffe der Tugend und
der Wollust; auch wird von diesen Figuren an mehreren Stellen der Schleier
der Allegorie gelüftet. Dazu tritt die Tugend zweimal als überirdische Er¬
scheinung aus den Wolken hernieder, während die Wollust schließlich zur Unter¬
welt hinabfährt. An diesem Fehler der Allegorie, des Wunderbaren und Opern-
Haften mußte die Tragödie scheitern. Der Fehler war auch durch eine oft
gehobene Sprache, glänzende Szenerie und edelste Gesinnung nicht wett zu


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[0626] dramatischen Stoff" der letzten Odysseegesänge seines griechisch-heroischen Ge¬ wandes zu entkleiden und ihn in die heidnisch-slawische Vorzeit der Insel Rügen zu verlegen, wozu ihn Mitteilungen bei Snorri Sturlnson in der „Hcimskringla" und Stellen bei Torfäus anregten: die Angaben über den rügischen Seekönig Ratibor erinnerten an Odysseus. und dessen Zug nach Konghälla (Kongelf) ließ sich mit dem Trvjanerkriege vergleichen. Der Dichter fand ohne Zweifel Ge¬ legenheit, das rügensche Lokalkolorit, sowie dus „Meer- und Jnselhafte," welches von Jugend an ihm Phantasie und Gefühl bewegte, diesem Stoffe mitzuteilen, und so konnte sich hier seine klassische Begeisterung mit der Vaterlandsliebe zu gemeinsamer Wirkung vereinigen. Bei der Aufführung am 7. Juli 1819 er¬ zielte das Drama einen schönen Erfolg. In der „Abendzeitung" vom 7. August desselben Jahres (Ur. 188) erfuhr es folgende Würdigung: „Das Drama gefiel, und hat gewiß entschiednen Wert, wenn man darin gleich neben der Tiefe auch einige Breite findet. Der Stoff ist reichhaltig und anziehend, denn er gründet sich 'auf die Odyssee; Ulysses ist hier Ratibor, Penelope Wanda, Ithaka die Insel Rügen u. s. w.; die Verse sind größtenteils sinnvoll und technisch sorg¬ fältig gebaut, nnr vermißt man in ihnen hin und wieder Leichtigkeit und ge¬ fälligen Fluß der Perioden." An diese beiden klassischen Dramen reihen wir eine allegorisch-romantische Tragödie (nicht gedruckt), in welcher der Dichter weder seine klassische Bildung noch seine Vaterlandsliebe, sondern lediglich die Tüchtigkeit seines Charakters entwickeln konnte. Diese Tragödie, „Jnnocentia" betitelt, behandelt ein bekanntes Thema: die Verfolgungen, welche weibliche Unschuld von den Begierden eines Fürsten zu erdulden hat. Die Heldin Jnnocentia ist eine Waise, welche, an den Hof des Fürsten gelockt, dort aufs beste gepflegt wird und zunächst durch schmeichelnde Worte, dann durch eine sinnbethörende Pantomime von Amor und Psyche, endlich durch Gewalt den Wünschen des Verführers willfährig gemacht werden soll. Sie bleibt aber standhaft, selbst als man sie in den Kerker ge¬ worfen hat, aus dem sie später durch einen schlichten Hirten Antonio, der sie liebt, wieder befreit wird; in einem erbitterten Kampfe der Hirten und des Fürsten wird der letztere getötet, aber auch Jnnoceutia verwundet. Die Hirten tragen sie hinweg, und die Sterbende wird als die früher von Räubern entführte Schwester des Antonio erkannt. — Wie schon Jnnveentia durch ihren Namen als eine allegorische Verkörperung der Unschuld bezeichnet wird, so sind zwei andre Hauptfiguren, Arete und Hedone, die personifizirten Begriffe der Tugend und der Wollust; auch wird von diesen Figuren an mehreren Stellen der Schleier der Allegorie gelüftet. Dazu tritt die Tugend zweimal als überirdische Er¬ scheinung aus den Wolken hernieder, während die Wollust schließlich zur Unter¬ welt hinabfährt. An diesem Fehler der Allegorie, des Wunderbaren und Opern- Haften mußte die Tragödie scheitern. Der Fehler war auch durch eine oft gehobene Sprache, glänzende Szenerie und edelste Gesinnung nicht wett zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/626>, abgerufen am 22.07.2024.