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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Ein Veilchen auf der Wiese stand.

der Genie-Periode ein Kultus getrieben, der an Narrheit streifte.*) Kein
Wunder, daß ein Veilchenschicksal, wie das von Goethe besungene, das höchste
Entzücken erregte, und so fand denn anch das einzelne Lied, herausgehoben
ans dem Singspiel, im Laufe der nächsten Jahre noch eine Anzahl von
Komponisten.

Der nächste, bei dem es sich nachweisen läßt, ist Kayser, der seit 1775
als Musiklehrer in Zürich lebte. Von diesem erschienen 1777 bei Heinrich
Steiner in Leipzig und Winterthur "Gesänge, mit Begleitung des Klaviers."
Entstanden waren sie aber schon vor längerer Zeit, denn das Lied "An Belindcn,"
das schon 1775 in der "Iris" stand, ist wieder darunter, und im April 1777,
wo Goethe von Weimar ans den Buchhändler Reich in Leipzig bittet, die
Kahserschen Lieder zu verlegen oder einen Verleger dafür zu schaffen, schreibt er,
er habe sie "schon seit geraumer Zeit daliegen," aber bisher nichts davon gesagt,
weil er wisse, daß Lieder mit Musik nicht die angenehmste Buchhändlerwaare
seien. In diesem Heft finden sich anch vier Nummern ans "Erwin und Elmire,"
darunter das schone "Ihr verblühet, süße Rosen," das Kahser mit Anlehnung
an eine damals beliebte Arie aus Gretrhs "Zemire und Azvr" floi ^"zinirs
<1U6 ^g,Ä0i's) geschrieben hatte,**) und natürlich das "Veilchen."

Die nächste Komposition des Liedes taucht in Wien auf. Sie steht in
der ersten Abteilung der "Sammlung Deutscher Lieder für das Klavier von
Herrn Joseph Anton Steffan, k. k. Hofklaviermeister," die 177" bei Joseph
Edlen von Kurzböck in Wien erschien. Es ist bezeichnend, daß der Text hier



An ein Veilchen, das sich immer im Grase versteckte.
Veilchen! sey nicht wunderlich!
Veilchen! laß dich pflücken.
Veilchen, nun! versteck dich nicht,
Veilchen, sieh mein Bücken.
Veilchen, kommst an ** Brust,
Veilchen, denk' doch, welche Lust!
Veilchen, hurtig aus dem Grase,
Veilchen, sonst die alte Base
Veilchen, an der Tobaksnase
Reihe dich, Veilchen, und zur Lust
Steckt dich an die Brctterbrust.
Veilchen hin und Veilchen hart
Sind noch wohl der Blumen mehr.
'


*) Ein Spottvogel, der Malerdichter Balthasar Anton Dunker in Bern, der Verfasser
des bekannten Gedichtes: "Mein Herr Mahler, wollt' er wohl all uns konterfeyen?", der
sich über so manche Modcnarrheit seiner Zeit, unter anderm auch über die Silhouetteuwut
lustig gemacht hat, verspottet 1782 auch "die erstaunliche Reputation, in welcher die Veilchen
zu jetziger Zeit stehen, und den übermäßigen Gebrauch, deu unsre Dichter davon machen," in
folgenden Versen:
Das Motiv kehrt später ähnlich in Himmels "An Alexis send ich dich" wieder.
Ein Veilchen auf der Wiese stand.

der Genie-Periode ein Kultus getrieben, der an Narrheit streifte.*) Kein
Wunder, daß ein Veilchenschicksal, wie das von Goethe besungene, das höchste
Entzücken erregte, und so fand denn anch das einzelne Lied, herausgehoben
ans dem Singspiel, im Laufe der nächsten Jahre noch eine Anzahl von
Komponisten.

Der nächste, bei dem es sich nachweisen läßt, ist Kayser, der seit 1775
als Musiklehrer in Zürich lebte. Von diesem erschienen 1777 bei Heinrich
Steiner in Leipzig und Winterthur „Gesänge, mit Begleitung des Klaviers."
Entstanden waren sie aber schon vor längerer Zeit, denn das Lied „An Belindcn,"
das schon 1775 in der „Iris" stand, ist wieder darunter, und im April 1777,
wo Goethe von Weimar ans den Buchhändler Reich in Leipzig bittet, die
Kahserschen Lieder zu verlegen oder einen Verleger dafür zu schaffen, schreibt er,
er habe sie „schon seit geraumer Zeit daliegen," aber bisher nichts davon gesagt,
weil er wisse, daß Lieder mit Musik nicht die angenehmste Buchhändlerwaare
seien. In diesem Heft finden sich anch vier Nummern ans „Erwin und Elmire,"
darunter das schone „Ihr verblühet, süße Rosen," das Kahser mit Anlehnung
an eine damals beliebte Arie aus Gretrhs „Zemire und Azvr" floi ^«zinirs
<1U6 ^g,Ä0i's) geschrieben hatte,**) und natürlich das „Veilchen."

Die nächste Komposition des Liedes taucht in Wien auf. Sie steht in
der ersten Abteilung der „Sammlung Deutscher Lieder für das Klavier von
Herrn Joseph Anton Steffan, k. k. Hofklaviermeister," die 177» bei Joseph
Edlen von Kurzböck in Wien erschien. Es ist bezeichnend, daß der Text hier



An ein Veilchen, das sich immer im Grase versteckte.
Veilchen! sey nicht wunderlich!
Veilchen! laß dich pflücken.
Veilchen, nun! versteck dich nicht,
Veilchen, sieh mein Bücken.
Veilchen, kommst an ** Brust,
Veilchen, denk' doch, welche Lust!
Veilchen, hurtig aus dem Grase,
Veilchen, sonst die alte Base
Veilchen, an der Tobaksnase
Reihe dich, Veilchen, und zur Lust
Steckt dich an die Brctterbrust.
Veilchen hin und Veilchen hart
Sind noch wohl der Blumen mehr.
'


*) Ein Spottvogel, der Malerdichter Balthasar Anton Dunker in Bern, der Verfasser
des bekannten Gedichtes: „Mein Herr Mahler, wollt' er wohl all uns konterfeyen?", der
sich über so manche Modcnarrheit seiner Zeit, unter anderm auch über die Silhouetteuwut
lustig gemacht hat, verspottet 1782 auch „die erstaunliche Reputation, in welcher die Veilchen
zu jetziger Zeit stehen, und den übermäßigen Gebrauch, deu unsre Dichter davon machen," in
folgenden Versen:
Das Motiv kehrt später ähnlich in Himmels „An Alexis send ich dich" wieder.
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[0532] Ein Veilchen auf der Wiese stand. der Genie-Periode ein Kultus getrieben, der an Narrheit streifte.*) Kein Wunder, daß ein Veilchenschicksal, wie das von Goethe besungene, das höchste Entzücken erregte, und so fand denn anch das einzelne Lied, herausgehoben ans dem Singspiel, im Laufe der nächsten Jahre noch eine Anzahl von Komponisten. Der nächste, bei dem es sich nachweisen läßt, ist Kayser, der seit 1775 als Musiklehrer in Zürich lebte. Von diesem erschienen 1777 bei Heinrich Steiner in Leipzig und Winterthur „Gesänge, mit Begleitung des Klaviers." Entstanden waren sie aber schon vor längerer Zeit, denn das Lied „An Belindcn," das schon 1775 in der „Iris" stand, ist wieder darunter, und im April 1777, wo Goethe von Weimar ans den Buchhändler Reich in Leipzig bittet, die Kahserschen Lieder zu verlegen oder einen Verleger dafür zu schaffen, schreibt er, er habe sie „schon seit geraumer Zeit daliegen," aber bisher nichts davon gesagt, weil er wisse, daß Lieder mit Musik nicht die angenehmste Buchhändlerwaare seien. In diesem Heft finden sich anch vier Nummern ans „Erwin und Elmire," darunter das schone „Ihr verblühet, süße Rosen," das Kahser mit Anlehnung an eine damals beliebte Arie aus Gretrhs „Zemire und Azvr" floi ^«zinirs <1U6 ^g,Ä0i's) geschrieben hatte,**) und natürlich das „Veilchen." Die nächste Komposition des Liedes taucht in Wien auf. Sie steht in der ersten Abteilung der „Sammlung Deutscher Lieder für das Klavier von Herrn Joseph Anton Steffan, k. k. Hofklaviermeister," die 177» bei Joseph Edlen von Kurzböck in Wien erschien. Es ist bezeichnend, daß der Text hier An ein Veilchen, das sich immer im Grase versteckte. Veilchen! sey nicht wunderlich! Veilchen! laß dich pflücken. Veilchen, nun! versteck dich nicht, Veilchen, sieh mein Bücken. Veilchen, kommst an ** Brust, Veilchen, denk' doch, welche Lust! Veilchen, hurtig aus dem Grase, Veilchen, sonst die alte Base Veilchen, an der Tobaksnase Reihe dich, Veilchen, und zur Lust Steckt dich an die Brctterbrust. Veilchen hin und Veilchen hart Sind noch wohl der Blumen mehr. ' *) Ein Spottvogel, der Malerdichter Balthasar Anton Dunker in Bern, der Verfasser des bekannten Gedichtes: „Mein Herr Mahler, wollt' er wohl all uns konterfeyen?", der sich über so manche Modcnarrheit seiner Zeit, unter anderm auch über die Silhouetteuwut lustig gemacht hat, verspottet 1782 auch „die erstaunliche Reputation, in welcher die Veilchen zu jetziger Zeit stehen, und den übermäßigen Gebrauch, deu unsre Dichter davon machen," in folgenden Versen: Das Motiv kehrt später ähnlich in Himmels „An Alexis send ich dich" wieder.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/532>, abgerufen am 22.07.2024.