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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr.

und erst nach dem Schaden der betreffenden Handelskammer ihr Leid klagten
und um Abhilfe baten, die zu gewähren außer deren Macht stand. Gegen der¬
gleichen Hintergehungen ist auch die Macht des einheimischen Staates ohne
Mittel. Wenn einige Kaufleute in H. von einem ausländischen Betrüger ge¬
schädigt worden sind, kann der Staat oder das deutsche Reich nicht sofort diesen
ausländischen Staat mit Krieg bedrohen, zumal da dieser nicht jeden in seinem
Gebiet befindlichen Schwindler zu vertreten verpflichtet ist. Gäbe es aber auch
nur ein einheitliches Handels- oder Wechselrecht in der Welt, so wäre der deutsche
Kaufmann sicherlich der erste, welcher daraufhin Kreditluftschlösser baute, die
daun schmählich zusammenstürzten.

Das materielle Recht hat für eine solche Unifikation bei weitem nicht die
Bedeutung, welche ihm Utopisten zuschreiben möchten; es erweckt nur den trü¬
gerischen Schein, als ob der Prozeß im Auslande ebenso leicht zu sichren wäre,
wie nach dem Weltpostverein ein Packet von Königsberg nach Japan zu be¬
fördern. Und der gerichtliche Weg ist doch die Brustwehr des Kredits; nicht
weil er beschritten werden soll -- Gott sei Dank vermeidet ihn der anständige
Kaufmann, solange es angeht --, sondern weil er beschritten werden kann, weil
ihn der böse Zahler zu fürchten hat, ist der Prozeßweg von nicht zu unter¬
schätzender Bedeutung für den Kredit. Die Hauptsache wird also immer die
bleiben, ob man in: Inlande dem ausländischen Urteil das Exequatur verleiht,
und ob man im Auslande auf schnellem, sicherm und billigem Wege gegen den
säumigen Schuldner zu seinem Rechte gelangen kann. Hinsichtlich des ersten
Punktes hat die deutsche Zivilprozeßordnung bereits einen Weg angebahnt, der
für Deutschland bedenklich werden kann, wenn dasselbe mehr importirt als ex-
portirt. Denn wenn der ausländische Staat Gegenseitigkeit gewährt, dann
müssen wir dessen Urteile hier vollstrecken. Der Freihandel wäre also auch auf
diesem Gebiete für uns der Todesstoß. Der zweite Punkt aber berührt nicht
sowohl das ausländische Recht als die ausländische Kultur und Sitte. Ge¬
währt man Staaten, welche in dieser Beziehung noch die oben geschilderten
Mängel haben, die gleiche Rechtsgrundlage, wie andern großen Knlturstcmaten,
erkennt man sie auch in dieser Beziehung als gleichberechtigt an, so erweckt
man in ihren Regiercrn und Regierten nur den Dünkel, als ob sie die höchste
Stufe der Kultur bereits erreicht hätten, man nimmt ihnen den Anreiz,
ihre mangelhaften Zustände zu verbessern und zu vervollkommnen. Als die
Türkei durch den Pariser Vertrag von 1866 in den europäischen Staatenbund
aufgenommen wurde, fing man an, am Goldner Horn ganz ernstlich an Beseitigung
der Konsulargerichtsbarkeit zu deuten, denn man betrachtete sich durch jene An¬
erkennung mit Frankreich, England und den andern Großmächten auf gleicher
Stufe. Solchen Bestrebungen entgegenzutreten, hält aber für den einzelnen
Staat schwer, da er der Konkurrenz mit andern Mächten begegnet, welche we¬
niger skrupulös sind, um selbstsüchtige Zwecke zu erreiche".


Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr.

und erst nach dem Schaden der betreffenden Handelskammer ihr Leid klagten
und um Abhilfe baten, die zu gewähren außer deren Macht stand. Gegen der¬
gleichen Hintergehungen ist auch die Macht des einheimischen Staates ohne
Mittel. Wenn einige Kaufleute in H. von einem ausländischen Betrüger ge¬
schädigt worden sind, kann der Staat oder das deutsche Reich nicht sofort diesen
ausländischen Staat mit Krieg bedrohen, zumal da dieser nicht jeden in seinem
Gebiet befindlichen Schwindler zu vertreten verpflichtet ist. Gäbe es aber auch
nur ein einheitliches Handels- oder Wechselrecht in der Welt, so wäre der deutsche
Kaufmann sicherlich der erste, welcher daraufhin Kreditluftschlösser baute, die
daun schmählich zusammenstürzten.

Das materielle Recht hat für eine solche Unifikation bei weitem nicht die
Bedeutung, welche ihm Utopisten zuschreiben möchten; es erweckt nur den trü¬
gerischen Schein, als ob der Prozeß im Auslande ebenso leicht zu sichren wäre,
wie nach dem Weltpostverein ein Packet von Königsberg nach Japan zu be¬
fördern. Und der gerichtliche Weg ist doch die Brustwehr des Kredits; nicht
weil er beschritten werden soll — Gott sei Dank vermeidet ihn der anständige
Kaufmann, solange es angeht —, sondern weil er beschritten werden kann, weil
ihn der böse Zahler zu fürchten hat, ist der Prozeßweg von nicht zu unter¬
schätzender Bedeutung für den Kredit. Die Hauptsache wird also immer die
bleiben, ob man in: Inlande dem ausländischen Urteil das Exequatur verleiht,
und ob man im Auslande auf schnellem, sicherm und billigem Wege gegen den
säumigen Schuldner zu seinem Rechte gelangen kann. Hinsichtlich des ersten
Punktes hat die deutsche Zivilprozeßordnung bereits einen Weg angebahnt, der
für Deutschland bedenklich werden kann, wenn dasselbe mehr importirt als ex-
portirt. Denn wenn der ausländische Staat Gegenseitigkeit gewährt, dann
müssen wir dessen Urteile hier vollstrecken. Der Freihandel wäre also auch auf
diesem Gebiete für uns der Todesstoß. Der zweite Punkt aber berührt nicht
sowohl das ausländische Recht als die ausländische Kultur und Sitte. Ge¬
währt man Staaten, welche in dieser Beziehung noch die oben geschilderten
Mängel haben, die gleiche Rechtsgrundlage, wie andern großen Knlturstcmaten,
erkennt man sie auch in dieser Beziehung als gleichberechtigt an, so erweckt
man in ihren Regiercrn und Regierten nur den Dünkel, als ob sie die höchste
Stufe der Kultur bereits erreicht hätten, man nimmt ihnen den Anreiz,
ihre mangelhaften Zustände zu verbessern und zu vervollkommnen. Als die
Türkei durch den Pariser Vertrag von 1866 in den europäischen Staatenbund
aufgenommen wurde, fing man an, am Goldner Horn ganz ernstlich an Beseitigung
der Konsulargerichtsbarkeit zu deuten, denn man betrachtete sich durch jene An¬
erkennung mit Frankreich, England und den andern Großmächten auf gleicher
Stufe. Solchen Bestrebungen entgegenzutreten, hält aber für den einzelnen
Staat schwer, da er der Konkurrenz mit andern Mächten begegnet, welche we¬
niger skrupulös sind, um selbstsüchtige Zwecke zu erreiche«.


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[0499] Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr. und erst nach dem Schaden der betreffenden Handelskammer ihr Leid klagten und um Abhilfe baten, die zu gewähren außer deren Macht stand. Gegen der¬ gleichen Hintergehungen ist auch die Macht des einheimischen Staates ohne Mittel. Wenn einige Kaufleute in H. von einem ausländischen Betrüger ge¬ schädigt worden sind, kann der Staat oder das deutsche Reich nicht sofort diesen ausländischen Staat mit Krieg bedrohen, zumal da dieser nicht jeden in seinem Gebiet befindlichen Schwindler zu vertreten verpflichtet ist. Gäbe es aber auch nur ein einheitliches Handels- oder Wechselrecht in der Welt, so wäre der deutsche Kaufmann sicherlich der erste, welcher daraufhin Kreditluftschlösser baute, die daun schmählich zusammenstürzten. Das materielle Recht hat für eine solche Unifikation bei weitem nicht die Bedeutung, welche ihm Utopisten zuschreiben möchten; es erweckt nur den trü¬ gerischen Schein, als ob der Prozeß im Auslande ebenso leicht zu sichren wäre, wie nach dem Weltpostverein ein Packet von Königsberg nach Japan zu be¬ fördern. Und der gerichtliche Weg ist doch die Brustwehr des Kredits; nicht weil er beschritten werden soll — Gott sei Dank vermeidet ihn der anständige Kaufmann, solange es angeht —, sondern weil er beschritten werden kann, weil ihn der böse Zahler zu fürchten hat, ist der Prozeßweg von nicht zu unter¬ schätzender Bedeutung für den Kredit. Die Hauptsache wird also immer die bleiben, ob man in: Inlande dem ausländischen Urteil das Exequatur verleiht, und ob man im Auslande auf schnellem, sicherm und billigem Wege gegen den säumigen Schuldner zu seinem Rechte gelangen kann. Hinsichtlich des ersten Punktes hat die deutsche Zivilprozeßordnung bereits einen Weg angebahnt, der für Deutschland bedenklich werden kann, wenn dasselbe mehr importirt als ex- portirt. Denn wenn der ausländische Staat Gegenseitigkeit gewährt, dann müssen wir dessen Urteile hier vollstrecken. Der Freihandel wäre also auch auf diesem Gebiete für uns der Todesstoß. Der zweite Punkt aber berührt nicht sowohl das ausländische Recht als die ausländische Kultur und Sitte. Ge¬ währt man Staaten, welche in dieser Beziehung noch die oben geschilderten Mängel haben, die gleiche Rechtsgrundlage, wie andern großen Knlturstcmaten, erkennt man sie auch in dieser Beziehung als gleichberechtigt an, so erweckt man in ihren Regiercrn und Regierten nur den Dünkel, als ob sie die höchste Stufe der Kultur bereits erreicht hätten, man nimmt ihnen den Anreiz, ihre mangelhaften Zustände zu verbessern und zu vervollkommnen. Als die Türkei durch den Pariser Vertrag von 1866 in den europäischen Staatenbund aufgenommen wurde, fing man an, am Goldner Horn ganz ernstlich an Beseitigung der Konsulargerichtsbarkeit zu deuten, denn man betrachtete sich durch jene An¬ erkennung mit Frankreich, England und den andern Großmächten auf gleicher Stufe. Solchen Bestrebungen entgegenzutreten, hält aber für den einzelnen Staat schwer, da er der Konkurrenz mit andern Mächten begegnet, welche we¬ niger skrupulös sind, um selbstsüchtige Zwecke zu erreiche«.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/499>, abgerufen am 22.07.2024.