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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr.

Wir haben bei diesen Betrachtungen den -- theoretisch -- wichtigsten Punkt
außer Betrachtung gelassen, ob denn das Recht überhaupt ein so mechanisches
Gebilde sei, wie Post, Eisenbahn, Telegraphie, sogar Verfassungsschablonen, um
für alle Nationen gleich gestaltet werden zu können. Wir sind dieser Meinung
nicht; die Kultur ist auch heute noch von der Nationalität und Sprache ab¬
hängig, und wenn man auch an einem französischen Roman Gefallen findet
oder von einer englischen Novelle sich angezogen fühlt, so folgt daraus uoch
garnicht, daß wir uns in unsern bürgerlichen und Familieubeziehungen nach den
nämlichen Satzungen wie an der Seine oder Themse richten sollen. Es wird
deshalb über das Immobiler-, das Personen-, Familien- und Erbrecht ebenso¬
wenig eine Verständigung erzielt werden, wie über eine einheitliche Sprache.
Kein Volk, das sich selbst hoch hält, wird hier ans seine Eigentümlichkeiten ver¬
zichten. Es stehen deshalb hier -- zunächst in der Theorie, aber mit dem
Blick ins Weite -- nur Gebiete in Frage, die dem Handel und Verkehr an¬
gehören. Ans diesen kann die Möglichkeit einer Vereinbarung nicht in Abrede
gestellt werden; allein hier ist einerseits die Verschiedenheit nicht voll so weit¬
gehender Bedeutung, nicht so groß, daß sich nicht ein Kaufmann, der z. B. mit
England im Verkehr steht, ohne Schwierigkeit nach den dortigen Normen und
Gebräuchen erkundigen könnte. Deshalb ist anch der Vorteil eines einheitlichen
Welt-Wechsels- oder Handelsrechts nicht sehr hoch anzuschlagen, denn neben
demselben bleiben die oben geschilderten Nachteile bestehen, und wir glauben be¬
wiesen zu haben, daß sie bei weitem überwiegen.

^Weins. tont" muß auch auf dem internationalen Rechtsgebiete der Wahl-
spruch sein. Wir in Deutschland haben Grund genug, uns zu freuen, daß wir
da eine Einigung erreicht haben, wo die gleiche Nationalität und Sprache, die¬
selben Sitten und Anschauungen eine feste Grundlage für einheitliches Recht
und einheitliches Gerichtsverfahren gebildet haben. Wir haben aber auch dabei
schon die Erfahrung gemacht, daß man in manchen Punkten zu weit gehen kann.
So ist z. B. jetzt als Mißstand anerkannt, daß man für alle Teile des Reiches
den sogenannten Voreid vorgeschrieben hat, während die Anschauung in der
Bevölkerung vieler Vundesstaatcn dem Nacheid einen erheblichen Vorzug giebt.
Dergleichen mahnt doch, die dem menschlichen Vermögen gesetzten Greuzen nicht
mit allzu kühnem Sprunge zu überschreiten. Soll die Menschheit ein einheit¬
liches Recht erhalten, so bedarf es zunächst wieder eines Turmbaues zu Babel;
Konkurrenzen hierfür lasse" sich schnell ausschreiben, und mit Elektrizität und
Dampf ist ja bekanntlich für viele Leute alles möglich.




Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr.

Wir haben bei diesen Betrachtungen den — theoretisch — wichtigsten Punkt
außer Betrachtung gelassen, ob denn das Recht überhaupt ein so mechanisches
Gebilde sei, wie Post, Eisenbahn, Telegraphie, sogar Verfassungsschablonen, um
für alle Nationen gleich gestaltet werden zu können. Wir sind dieser Meinung
nicht; die Kultur ist auch heute noch von der Nationalität und Sprache ab¬
hängig, und wenn man auch an einem französischen Roman Gefallen findet
oder von einer englischen Novelle sich angezogen fühlt, so folgt daraus uoch
garnicht, daß wir uns in unsern bürgerlichen und Familieubeziehungen nach den
nämlichen Satzungen wie an der Seine oder Themse richten sollen. Es wird
deshalb über das Immobiler-, das Personen-, Familien- und Erbrecht ebenso¬
wenig eine Verständigung erzielt werden, wie über eine einheitliche Sprache.
Kein Volk, das sich selbst hoch hält, wird hier ans seine Eigentümlichkeiten ver¬
zichten. Es stehen deshalb hier — zunächst in der Theorie, aber mit dem
Blick ins Weite — nur Gebiete in Frage, die dem Handel und Verkehr an¬
gehören. Ans diesen kann die Möglichkeit einer Vereinbarung nicht in Abrede
gestellt werden; allein hier ist einerseits die Verschiedenheit nicht voll so weit¬
gehender Bedeutung, nicht so groß, daß sich nicht ein Kaufmann, der z. B. mit
England im Verkehr steht, ohne Schwierigkeit nach den dortigen Normen und
Gebräuchen erkundigen könnte. Deshalb ist anch der Vorteil eines einheitlichen
Welt-Wechsels- oder Handelsrechts nicht sehr hoch anzuschlagen, denn neben
demselben bleiben die oben geschilderten Nachteile bestehen, und wir glauben be¬
wiesen zu haben, daß sie bei weitem überwiegen.

^Weins. tont« muß auch auf dem internationalen Rechtsgebiete der Wahl-
spruch sein. Wir in Deutschland haben Grund genug, uns zu freuen, daß wir
da eine Einigung erreicht haben, wo die gleiche Nationalität und Sprache, die¬
selben Sitten und Anschauungen eine feste Grundlage für einheitliches Recht
und einheitliches Gerichtsverfahren gebildet haben. Wir haben aber auch dabei
schon die Erfahrung gemacht, daß man in manchen Punkten zu weit gehen kann.
So ist z. B. jetzt als Mißstand anerkannt, daß man für alle Teile des Reiches
den sogenannten Voreid vorgeschrieben hat, während die Anschauung in der
Bevölkerung vieler Vundesstaatcn dem Nacheid einen erheblichen Vorzug giebt.
Dergleichen mahnt doch, die dem menschlichen Vermögen gesetzten Greuzen nicht
mit allzu kühnem Sprunge zu überschreiten. Soll die Menschheit ein einheit¬
liches Recht erhalten, so bedarf es zunächst wieder eines Turmbaues zu Babel;
Konkurrenzen hierfür lasse» sich schnell ausschreiben, und mit Elektrizität und
Dampf ist ja bekanntlich für viele Leute alles möglich.




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[0500] Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr. Wir haben bei diesen Betrachtungen den — theoretisch — wichtigsten Punkt außer Betrachtung gelassen, ob denn das Recht überhaupt ein so mechanisches Gebilde sei, wie Post, Eisenbahn, Telegraphie, sogar Verfassungsschablonen, um für alle Nationen gleich gestaltet werden zu können. Wir sind dieser Meinung nicht; die Kultur ist auch heute noch von der Nationalität und Sprache ab¬ hängig, und wenn man auch an einem französischen Roman Gefallen findet oder von einer englischen Novelle sich angezogen fühlt, so folgt daraus uoch garnicht, daß wir uns in unsern bürgerlichen und Familieubeziehungen nach den nämlichen Satzungen wie an der Seine oder Themse richten sollen. Es wird deshalb über das Immobiler-, das Personen-, Familien- und Erbrecht ebenso¬ wenig eine Verständigung erzielt werden, wie über eine einheitliche Sprache. Kein Volk, das sich selbst hoch hält, wird hier ans seine Eigentümlichkeiten ver¬ zichten. Es stehen deshalb hier — zunächst in der Theorie, aber mit dem Blick ins Weite — nur Gebiete in Frage, die dem Handel und Verkehr an¬ gehören. Ans diesen kann die Möglichkeit einer Vereinbarung nicht in Abrede gestellt werden; allein hier ist einerseits die Verschiedenheit nicht voll so weit¬ gehender Bedeutung, nicht so groß, daß sich nicht ein Kaufmann, der z. B. mit England im Verkehr steht, ohne Schwierigkeit nach den dortigen Normen und Gebräuchen erkundigen könnte. Deshalb ist anch der Vorteil eines einheitlichen Welt-Wechsels- oder Handelsrechts nicht sehr hoch anzuschlagen, denn neben demselben bleiben die oben geschilderten Nachteile bestehen, und wir glauben be¬ wiesen zu haben, daß sie bei weitem überwiegen. ^Weins. tont« muß auch auf dem internationalen Rechtsgebiete der Wahl- spruch sein. Wir in Deutschland haben Grund genug, uns zu freuen, daß wir da eine Einigung erreicht haben, wo die gleiche Nationalität und Sprache, die¬ selben Sitten und Anschauungen eine feste Grundlage für einheitliches Recht und einheitliches Gerichtsverfahren gebildet haben. Wir haben aber auch dabei schon die Erfahrung gemacht, daß man in manchen Punkten zu weit gehen kann. So ist z. B. jetzt als Mißstand anerkannt, daß man für alle Teile des Reiches den sogenannten Voreid vorgeschrieben hat, während die Anschauung in der Bevölkerung vieler Vundesstaatcn dem Nacheid einen erheblichen Vorzug giebt. Dergleichen mahnt doch, die dem menschlichen Vermögen gesetzten Greuzen nicht mit allzu kühnem Sprunge zu überschreiten. Soll die Menschheit ein einheit¬ liches Recht erhalten, so bedarf es zunächst wieder eines Turmbaues zu Babel; Konkurrenzen hierfür lasse» sich schnell ausschreiben, und mit Elektrizität und Dampf ist ja bekanntlich für viele Leute alles möglich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/500>, abgerufen am 22.07.2024.