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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr.

Welchen das Ausland eine solche Rücksicht nicht kennt. Möglich ist es freilich,
daß wir uns mit unsern Zuständen denen des Auslandes nähern. Schon macht der
Advokaten- und Gerichtsvollzieherzwang auch bei uns die Prozeßführung all¬
mählich zu einer Luxussache, die freie Advokatur schafft auch bei uns vielleicht
ein Advokatenproletariat, welches die Gerechtigkeit auf Raubbau ausbeutet, und
wenn erst die reichen und prvzeßlosen Advokaten sich auf die Politik geworfen
haben werden, so können wir auch bei uns die Dinge eintreten sehen, über
welche Minghetti in seinem Vaterlande so bittre Klage führt. Aber soweit ist
es Gott sei Dank noch nicht, und soweit wird es nicht kommen, solange Fürst
Bismarck mit seinem kräftigen Arm die Schwachen und Gedruckten schützt und
solange das hvhenzollernsche Königtum seine Misston nicht vergißt, daß seine
Herrscher die rois civs g'ne-ux sind.

Was also würde uns Deutschen ein einheitliches Weltrecht für Vorteil
bringen? Würden dadurch irgendwie die in den einzelnen Ländern geschilderten
Kulturzustciude geändert werden? Würden unsre Staatsmänner es verantworten
können, den im Auslande gefällten Urteilen ohne weiteres im Inlande Geltung
zu verleihen? Es wäre dies die Übertragung des Mcmchestertnms auf das Ge¬
biet des internationalen Rechtsverkehrs; in dieser Konkurrenz wäre der Deutsche
den andern Völkern gegenüber nicht gewachsen; er würde seinen ausländischen
Konkurrenten gegenüber der schwächere sein; ihnen verleihen die deutschen Zu¬
stände die Möglichkeit einer sichern, schnellen und billigen Rechtshilfe, während
diese dem Deutschen im Auslande thatsächlich versagt bliebe.

Mau wird diesen Ausführungen gegenüber leicht einwenden können, daß
diese Zustände dieselben bleiben, ob wir ein einheitliches Weltrecht (sei es auch
nur für einzelne Rechtsmaterien) haben oder nicht. Dieser Einwand ist richtig,
aber er führt nicht dahin, die kosmopolitische Rechtsunifikation für uns zu
rechtfertigen. Denn das gleiche einheitliche Recht würde für den deutschen Han¬
delsstand den Schein erwecken, als ob ihm im Auslande dieselbe Rechtshilfe
gewährt würde, wie sie das Inland kennt, und die Folge davon wäre, daß der
deutsche Kaufmann dem Auslande noch leichtfertiger Kredit gewährte, als dies
ohnehin schon zu seinem Schaden der Fall ist. Der Leichtgläubigkeit des sonst
so soliden deutschen Kaufmanns ist es wirklich nicht schwer, Fallen zu stellen,
solange das gedruckte Wort der Tagespresse noch seinen machtvollen Eindruck
behält. Gelang es doch erst jüngst, einem wegen Bankerotts und Fälschung
verurteilten Schwindler einer exotischen, aber klassischen Hauptstadt in einer
deutschen Zeitung die deutschen Kaufleute davor zu warnen, daß sie die Kredit¬
fähigkeit ausländischer Kunden durch Befragung der Reichskonsuln ermittelten.
Der Mann war sicher, wie eine Auskunft über ihn ausfallen würde. Aber sein
Grund, daß das Verfahren der Konsuln pedantisch, bureaukratisch und umständ¬
lich sei, leuchtete doch vielen von der freisinnigen Phrase gegen das Beamten¬
tum erfüllten Kaufleuten so sehr ein, daß sie sozusagen auf den Leim gingen


Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr.

Welchen das Ausland eine solche Rücksicht nicht kennt. Möglich ist es freilich,
daß wir uns mit unsern Zuständen denen des Auslandes nähern. Schon macht der
Advokaten- und Gerichtsvollzieherzwang auch bei uns die Prozeßführung all¬
mählich zu einer Luxussache, die freie Advokatur schafft auch bei uns vielleicht
ein Advokatenproletariat, welches die Gerechtigkeit auf Raubbau ausbeutet, und
wenn erst die reichen und prvzeßlosen Advokaten sich auf die Politik geworfen
haben werden, so können wir auch bei uns die Dinge eintreten sehen, über
welche Minghetti in seinem Vaterlande so bittre Klage führt. Aber soweit ist
es Gott sei Dank noch nicht, und soweit wird es nicht kommen, solange Fürst
Bismarck mit seinem kräftigen Arm die Schwachen und Gedruckten schützt und
solange das hvhenzollernsche Königtum seine Misston nicht vergißt, daß seine
Herrscher die rois civs g'ne-ux sind.

Was also würde uns Deutschen ein einheitliches Weltrecht für Vorteil
bringen? Würden dadurch irgendwie die in den einzelnen Ländern geschilderten
Kulturzustciude geändert werden? Würden unsre Staatsmänner es verantworten
können, den im Auslande gefällten Urteilen ohne weiteres im Inlande Geltung
zu verleihen? Es wäre dies die Übertragung des Mcmchestertnms auf das Ge¬
biet des internationalen Rechtsverkehrs; in dieser Konkurrenz wäre der Deutsche
den andern Völkern gegenüber nicht gewachsen; er würde seinen ausländischen
Konkurrenten gegenüber der schwächere sein; ihnen verleihen die deutschen Zu¬
stände die Möglichkeit einer sichern, schnellen und billigen Rechtshilfe, während
diese dem Deutschen im Auslande thatsächlich versagt bliebe.

Mau wird diesen Ausführungen gegenüber leicht einwenden können, daß
diese Zustände dieselben bleiben, ob wir ein einheitliches Weltrecht (sei es auch
nur für einzelne Rechtsmaterien) haben oder nicht. Dieser Einwand ist richtig,
aber er führt nicht dahin, die kosmopolitische Rechtsunifikation für uns zu
rechtfertigen. Denn das gleiche einheitliche Recht würde für den deutschen Han¬
delsstand den Schein erwecken, als ob ihm im Auslande dieselbe Rechtshilfe
gewährt würde, wie sie das Inland kennt, und die Folge davon wäre, daß der
deutsche Kaufmann dem Auslande noch leichtfertiger Kredit gewährte, als dies
ohnehin schon zu seinem Schaden der Fall ist. Der Leichtgläubigkeit des sonst
so soliden deutschen Kaufmanns ist es wirklich nicht schwer, Fallen zu stellen,
solange das gedruckte Wort der Tagespresse noch seinen machtvollen Eindruck
behält. Gelang es doch erst jüngst, einem wegen Bankerotts und Fälschung
verurteilten Schwindler einer exotischen, aber klassischen Hauptstadt in einer
deutschen Zeitung die deutschen Kaufleute davor zu warnen, daß sie die Kredit¬
fähigkeit ausländischer Kunden durch Befragung der Reichskonsuln ermittelten.
Der Mann war sicher, wie eine Auskunft über ihn ausfallen würde. Aber sein
Grund, daß das Verfahren der Konsuln pedantisch, bureaukratisch und umständ¬
lich sei, leuchtete doch vielen von der freisinnigen Phrase gegen das Beamten¬
tum erfüllten Kaufleuten so sehr ein, daß sie sozusagen auf den Leim gingen


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[0498] Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr. Welchen das Ausland eine solche Rücksicht nicht kennt. Möglich ist es freilich, daß wir uns mit unsern Zuständen denen des Auslandes nähern. Schon macht der Advokaten- und Gerichtsvollzieherzwang auch bei uns die Prozeßführung all¬ mählich zu einer Luxussache, die freie Advokatur schafft auch bei uns vielleicht ein Advokatenproletariat, welches die Gerechtigkeit auf Raubbau ausbeutet, und wenn erst die reichen und prvzeßlosen Advokaten sich auf die Politik geworfen haben werden, so können wir auch bei uns die Dinge eintreten sehen, über welche Minghetti in seinem Vaterlande so bittre Klage führt. Aber soweit ist es Gott sei Dank noch nicht, und soweit wird es nicht kommen, solange Fürst Bismarck mit seinem kräftigen Arm die Schwachen und Gedruckten schützt und solange das hvhenzollernsche Königtum seine Misston nicht vergißt, daß seine Herrscher die rois civs g'ne-ux sind. Was also würde uns Deutschen ein einheitliches Weltrecht für Vorteil bringen? Würden dadurch irgendwie die in den einzelnen Ländern geschilderten Kulturzustciude geändert werden? Würden unsre Staatsmänner es verantworten können, den im Auslande gefällten Urteilen ohne weiteres im Inlande Geltung zu verleihen? Es wäre dies die Übertragung des Mcmchestertnms auf das Ge¬ biet des internationalen Rechtsverkehrs; in dieser Konkurrenz wäre der Deutsche den andern Völkern gegenüber nicht gewachsen; er würde seinen ausländischen Konkurrenten gegenüber der schwächere sein; ihnen verleihen die deutschen Zu¬ stände die Möglichkeit einer sichern, schnellen und billigen Rechtshilfe, während diese dem Deutschen im Auslande thatsächlich versagt bliebe. Mau wird diesen Ausführungen gegenüber leicht einwenden können, daß diese Zustände dieselben bleiben, ob wir ein einheitliches Weltrecht (sei es auch nur für einzelne Rechtsmaterien) haben oder nicht. Dieser Einwand ist richtig, aber er führt nicht dahin, die kosmopolitische Rechtsunifikation für uns zu rechtfertigen. Denn das gleiche einheitliche Recht würde für den deutschen Han¬ delsstand den Schein erwecken, als ob ihm im Auslande dieselbe Rechtshilfe gewährt würde, wie sie das Inland kennt, und die Folge davon wäre, daß der deutsche Kaufmann dem Auslande noch leichtfertiger Kredit gewährte, als dies ohnehin schon zu seinem Schaden der Fall ist. Der Leichtgläubigkeit des sonst so soliden deutschen Kaufmanns ist es wirklich nicht schwer, Fallen zu stellen, solange das gedruckte Wort der Tagespresse noch seinen machtvollen Eindruck behält. Gelang es doch erst jüngst, einem wegen Bankerotts und Fälschung verurteilten Schwindler einer exotischen, aber klassischen Hauptstadt in einer deutschen Zeitung die deutschen Kaufleute davor zu warnen, daß sie die Kredit¬ fähigkeit ausländischer Kunden durch Befragung der Reichskonsuln ermittelten. Der Mann war sicher, wie eine Auskunft über ihn ausfallen würde. Aber sein Grund, daß das Verfahren der Konsuln pedantisch, bureaukratisch und umständ¬ lich sei, leuchtete doch vielen von der freisinnigen Phrase gegen das Beamten¬ tum erfüllten Kaufleuten so sehr ein, daß sie sozusagen auf den Leim gingen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/498>, abgerufen am 22.07.2024.