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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Iivnn Turgenjew in seinen Briefen.

Hafenstadt ebenso eingedenk bleibe wie diese der ihrigen gegen das Reich, an
welches sie nicht nur halbtausendjährige Bande, sondern die Grundbedingungen
ihrer Existenz fesseln. Möge man sich in den entscheidenden Kreisen nicht dnrch
vorübergehend verstimmende Erscheinungen den Blick für diese feststehende That¬
sache trüben lassen!




Iwan Turgenjew in seinen Briefen.
von August Scholz. (Schluss.) 5.

ahlreiche Stellen in den Briefen zeigen Turgenjew als einen
scharfen Beobachter von Menschen und Dingen, dessen Urteile
dnrch vielseitige Bildung und unbestechliche Gesinnung dop¬
pelten Wert erhalten. Interessant ist es, wie er über den auro^
püischen Westen urteilte, dessen ständiger Gast er in seinen
letzten Lebensjahren gewesen war. Seine beim Ausbruch des siebziger Krieges
erfolgte Abreise von Baden-Baden wurde mehrfach in deutschfeindlichem Sinne
gedeutet. Einige Bemerkungen in den Briefen widerlegen diese Deutung: "Dieser
Krieg, schreibt Turgenjew am 20. Juli 1870 an die Exmiuisterin Miljutin,
war unvermeidlich, das haben die Deutschen selber gefühlt. Eine patriotische
Begeisterung hat sie erfaßt, wie im Jahre 1813." In einem am 18. August,
uach der Schlacht von Rezouville, an dieselbe Dame gerichteten Briefe heißt es:
"Man muß zugeben, daß die Unfähigkeit und die mangelhafte Kriegführung
der französische" Generäle noch um hundert Prozent unsre Unfertigkeit im Krim¬
kriege übertrifft. Es fragt sich nur, ob sie aus ihrem Unglück eine Lehre ziehen
werden, wie wir es seinerzeit gethan haben. Bei der Selbstüberhebung der
Franzose" und ihrem Mangel an Wahrheitsliebe ist das freilich zweifelhaft."
Am 6. September schreibt er: "Wir leben in einer bedeutungsvollen Zeit:
vor unsern Augen geht die geschichtliche Führerrolle von einem romanischen
Volke auf ein germanisches über. Der Zusammensturz des widerwärtigen na-
poleonischen Regiments hat mir viel Freude gemacht, mich mit sittlicher Ge¬
nugthuung erfüllt. Freilich muß ich gestehen, daß die Zukunft mir nicht gerade
in rosigem Lichte erscheint. Der kriegerische Geist, der sich ganz Deutschlands
bemächtigt hat, bietet keinen allzu freundlichen Ausblick. Aber welche Heraus-


Iivnn Turgenjew in seinen Briefen.

Hafenstadt ebenso eingedenk bleibe wie diese der ihrigen gegen das Reich, an
welches sie nicht nur halbtausendjährige Bande, sondern die Grundbedingungen
ihrer Existenz fesseln. Möge man sich in den entscheidenden Kreisen nicht dnrch
vorübergehend verstimmende Erscheinungen den Blick für diese feststehende That¬
sache trüben lassen!




Iwan Turgenjew in seinen Briefen.
von August Scholz. (Schluss.) 5.

ahlreiche Stellen in den Briefen zeigen Turgenjew als einen
scharfen Beobachter von Menschen und Dingen, dessen Urteile
dnrch vielseitige Bildung und unbestechliche Gesinnung dop¬
pelten Wert erhalten. Interessant ist es, wie er über den auro^
püischen Westen urteilte, dessen ständiger Gast er in seinen
letzten Lebensjahren gewesen war. Seine beim Ausbruch des siebziger Krieges
erfolgte Abreise von Baden-Baden wurde mehrfach in deutschfeindlichem Sinne
gedeutet. Einige Bemerkungen in den Briefen widerlegen diese Deutung: „Dieser
Krieg, schreibt Turgenjew am 20. Juli 1870 an die Exmiuisterin Miljutin,
war unvermeidlich, das haben die Deutschen selber gefühlt. Eine patriotische
Begeisterung hat sie erfaßt, wie im Jahre 1813." In einem am 18. August,
uach der Schlacht von Rezouville, an dieselbe Dame gerichteten Briefe heißt es:
„Man muß zugeben, daß die Unfähigkeit und die mangelhafte Kriegführung
der französische« Generäle noch um hundert Prozent unsre Unfertigkeit im Krim¬
kriege übertrifft. Es fragt sich nur, ob sie aus ihrem Unglück eine Lehre ziehen
werden, wie wir es seinerzeit gethan haben. Bei der Selbstüberhebung der
Franzose» und ihrem Mangel an Wahrheitsliebe ist das freilich zweifelhaft."
Am 6. September schreibt er: „Wir leben in einer bedeutungsvollen Zeit:
vor unsern Augen geht die geschichtliche Führerrolle von einem romanischen
Volke auf ein germanisches über. Der Zusammensturz des widerwärtigen na-
poleonischen Regiments hat mir viel Freude gemacht, mich mit sittlicher Ge¬
nugthuung erfüllt. Freilich muß ich gestehen, daß die Zukunft mir nicht gerade
in rosigem Lichte erscheint. Der kriegerische Geist, der sich ganz Deutschlands
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[0469] Iivnn Turgenjew in seinen Briefen. Hafenstadt ebenso eingedenk bleibe wie diese der ihrigen gegen das Reich, an welches sie nicht nur halbtausendjährige Bande, sondern die Grundbedingungen ihrer Existenz fesseln. Möge man sich in den entscheidenden Kreisen nicht dnrch vorübergehend verstimmende Erscheinungen den Blick für diese feststehende That¬ sache trüben lassen! Iwan Turgenjew in seinen Briefen. von August Scholz. (Schluss.) 5. ahlreiche Stellen in den Briefen zeigen Turgenjew als einen scharfen Beobachter von Menschen und Dingen, dessen Urteile dnrch vielseitige Bildung und unbestechliche Gesinnung dop¬ pelten Wert erhalten. Interessant ist es, wie er über den auro^ püischen Westen urteilte, dessen ständiger Gast er in seinen letzten Lebensjahren gewesen war. Seine beim Ausbruch des siebziger Krieges erfolgte Abreise von Baden-Baden wurde mehrfach in deutschfeindlichem Sinne gedeutet. Einige Bemerkungen in den Briefen widerlegen diese Deutung: „Dieser Krieg, schreibt Turgenjew am 20. Juli 1870 an die Exmiuisterin Miljutin, war unvermeidlich, das haben die Deutschen selber gefühlt. Eine patriotische Begeisterung hat sie erfaßt, wie im Jahre 1813." In einem am 18. August, uach der Schlacht von Rezouville, an dieselbe Dame gerichteten Briefe heißt es: „Man muß zugeben, daß die Unfähigkeit und die mangelhafte Kriegführung der französische« Generäle noch um hundert Prozent unsre Unfertigkeit im Krim¬ kriege übertrifft. Es fragt sich nur, ob sie aus ihrem Unglück eine Lehre ziehen werden, wie wir es seinerzeit gethan haben. Bei der Selbstüberhebung der Franzose» und ihrem Mangel an Wahrheitsliebe ist das freilich zweifelhaft." Am 6. September schreibt er: „Wir leben in einer bedeutungsvollen Zeit: vor unsern Augen geht die geschichtliche Führerrolle von einem romanischen Volke auf ein germanisches über. Der Zusammensturz des widerwärtigen na- poleonischen Regiments hat mir viel Freude gemacht, mich mit sittlicher Ge¬ nugthuung erfüllt. Freilich muß ich gestehen, daß die Zukunft mir nicht gerade in rosigem Lichte erscheint. Der kriegerische Geist, der sich ganz Deutschlands bemächtigt hat, bietet keinen allzu freundlichen Ausblick. Aber welche Heraus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/469>, abgerufen am 22.07.2024.