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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Iwan Turgenjew in seinen Briefen,

forderungeu mußte dieses Land auch erdulden!" Wie klar und nüchtern Tur¬
genjew die preußische Politik begriff, und wie sehr er den politischen Utopien
seiner Landsleute feind war, beweist eine kurz vor Ausbruch des russisch-türkischen
Krieges gegen Polvnski gethane Äußerung: "Du fragst mich, schreibt er diesem,
ob Deutschland geistig zurückgeblieben war, als es die Franzosen niederwarf.
Nun, mein Lieber -- es kommt eben ganz darauf an, von welchem Gesichts¬
punkte man das Ding betrachtet. Ganz Deutschland von der Weser bis zur
Donau würde hell auflachen, wenn man ihm einreden wollte, daß Kriege um
einer sittlichen Selbstreinigung willen geführt würden. Die Deutschen schlugen
sich mit den Franzosen, um ihr Gebiet abzurunden, um zur Einigkeit zu ge¬
langen, um dem Feinde Elsaß-Lothringen zu entreißen. Wir wollen durch einen
Krieg die verdorbenen Säfte aus unserm Körper vertreiben -- welcher Unsinn,
welche Albernheit und Unreife!"

Obwohl Turgenjew oft und meist für längere Zeit in Paris verweilte,
fühlte er sich doch niemals dort recht heimisch. Öfters kehren in den Briefen
Ausdrücke wie die folgenden wieder: "Niemals ist mir Paris so prosaisch-flach
erschienen" -- "Ich hoffe wieder in bessere Laune zu kommen, wenn ich dieses
Paris im Rücken habe, das mir so versalzen worden ist" -- "Diese Metro-
Pole der Welt ist mir durchaus zuwider" u. a. Im allgemeinen urteilte Tur¬
genjew über die Franzosen nüchtern und kühl, ohne jene Begeisterung, welche
die Russen in neuerer Zeit für Frankreich empfinden. Mit Interesse ver¬
folgt er die Entwicklung Frankreichs nach dem Kriege und sieht sein Heil
einzig in der Republik. Als Bannerträger derselben galt ihm Gambettcu
"In seinen Händen, schreibt er an den Satiriker Saltykow-Schtschedrin, liegt
die Zukunft der Republik und ganz Frankreichs; wenn er, wie Sie ihn nennen,
ein geistiger Kastrat ist, so sind die andern Kastraten mit der Regimentsbrand-
mnrke."

Manches beachtenswerte Wort hat Turgenjew über die Größen der fran¬
zösischen Literatur gesprochen. Georges Sand, mit der er jahrelang in persön¬
lichem Verkehr stand, nennt er 1873 "eine überaus gutmütige, überaus ein¬
fache und überaus anständige Dame," und drei Jahre später äußert er sich
beim Tode der großen Französin gegen Suworin, den Herausgeber des Xovc>.jo
^rourjii: "Mir war das Glück beschieden, Georges Sand persönlich zu kennen.
Nehmen Sie diesen Ausdruck nicht sür eine gewöhnliche Phrase; wer dieses
seltene Geschöpf in der Nähe sehen durfte, der muß sich in der That glücklich
schätzen. Als ich vor acht Jahren in nähere Beziehungen zu ihr trat, war die
enthusiastische Bewunderung, die sie einst in mir erregt hatte, längst ver¬
schwunden; ich beugte vor ihr nicht mehr das Knie. In den Kreis ihres Privat¬
lebens jedoch konnte man nicht eintreten, ohne in einem andern, vielleicht
höhern Sinne ihr Bewunderer zu werden. Jedermann fühlte sogleich, daß er
sich in der Nähe eines Wesens von unbegrenzter Selbstlosigkeit und unbegrenztem


Grenzboten II. 1885, 5.9
Iwan Turgenjew in seinen Briefen,

forderungeu mußte dieses Land auch erdulden!" Wie klar und nüchtern Tur¬
genjew die preußische Politik begriff, und wie sehr er den politischen Utopien
seiner Landsleute feind war, beweist eine kurz vor Ausbruch des russisch-türkischen
Krieges gegen Polvnski gethane Äußerung: „Du fragst mich, schreibt er diesem,
ob Deutschland geistig zurückgeblieben war, als es die Franzosen niederwarf.
Nun, mein Lieber — es kommt eben ganz darauf an, von welchem Gesichts¬
punkte man das Ding betrachtet. Ganz Deutschland von der Weser bis zur
Donau würde hell auflachen, wenn man ihm einreden wollte, daß Kriege um
einer sittlichen Selbstreinigung willen geführt würden. Die Deutschen schlugen
sich mit den Franzosen, um ihr Gebiet abzurunden, um zur Einigkeit zu ge¬
langen, um dem Feinde Elsaß-Lothringen zu entreißen. Wir wollen durch einen
Krieg die verdorbenen Säfte aus unserm Körper vertreiben — welcher Unsinn,
welche Albernheit und Unreife!"

Obwohl Turgenjew oft und meist für längere Zeit in Paris verweilte,
fühlte er sich doch niemals dort recht heimisch. Öfters kehren in den Briefen
Ausdrücke wie die folgenden wieder: „Niemals ist mir Paris so prosaisch-flach
erschienen" — „Ich hoffe wieder in bessere Laune zu kommen, wenn ich dieses
Paris im Rücken habe, das mir so versalzen worden ist" — „Diese Metro-
Pole der Welt ist mir durchaus zuwider" u. a. Im allgemeinen urteilte Tur¬
genjew über die Franzosen nüchtern und kühl, ohne jene Begeisterung, welche
die Russen in neuerer Zeit für Frankreich empfinden. Mit Interesse ver¬
folgt er die Entwicklung Frankreichs nach dem Kriege und sieht sein Heil
einzig in der Republik. Als Bannerträger derselben galt ihm Gambettcu
„In seinen Händen, schreibt er an den Satiriker Saltykow-Schtschedrin, liegt
die Zukunft der Republik und ganz Frankreichs; wenn er, wie Sie ihn nennen,
ein geistiger Kastrat ist, so sind die andern Kastraten mit der Regimentsbrand-
mnrke."

Manches beachtenswerte Wort hat Turgenjew über die Größen der fran¬
zösischen Literatur gesprochen. Georges Sand, mit der er jahrelang in persön¬
lichem Verkehr stand, nennt er 1873 „eine überaus gutmütige, überaus ein¬
fache und überaus anständige Dame," und drei Jahre später äußert er sich
beim Tode der großen Französin gegen Suworin, den Herausgeber des Xovc>.jo
^rourjii: „Mir war das Glück beschieden, Georges Sand persönlich zu kennen.
Nehmen Sie diesen Ausdruck nicht sür eine gewöhnliche Phrase; wer dieses
seltene Geschöpf in der Nähe sehen durfte, der muß sich in der That glücklich
schätzen. Als ich vor acht Jahren in nähere Beziehungen zu ihr trat, war die
enthusiastische Bewunderung, die sie einst in mir erregt hatte, längst ver¬
schwunden; ich beugte vor ihr nicht mehr das Knie. In den Kreis ihres Privat¬
lebens jedoch konnte man nicht eintreten, ohne in einem andern, vielleicht
höhern Sinne ihr Bewunderer zu werden. Jedermann fühlte sogleich, daß er
sich in der Nähe eines Wesens von unbegrenzter Selbstlosigkeit und unbegrenztem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/470>, abgerufen am 22.07.2024.