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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Fleiß und Intelligenz ist es endlich gelungen, edle und stilgerechte Modelle im
Renaissancestil herzustellen und dadurch der mächtigen Bronzewaarenindustrie
Frankreichs die Spitze zu bieten, und jetzt verlangt alle Welt in Deutschland
nach bronzenen Gebrauchs- und Ziergegcnstcindcn im Barock- und Rokokostil,
Die in Massen produzirten Renaissancesachen bleiben liegen, die Kosten für die
Modelle sind weggeworfen, und der Fabrikant kann von vorn beginnen, um,
wenn er wiederum glücklich aus Ziel gelangt ist, vielleicht die Wahrnehmung
zu machen, daß inzwischen Japan oder Indien Mode geworden sind (oder der
Zopf! Auch dieser wird sich unausbleiblich einstellen. D. Red,),

Der Grund dieser betrübenden Erscheinung liegt natürlich darin, daß es
unsrer Zeit trotz ihres aufs höchste gesteigerten technischen Vermögens nicht ge¬
lingen will, für ihre Schöpfungen auch eine eigne ästhetische Erscheinungsform
zu finden, welche zugleich die Keime einer organischen Entwicklung in sich trüge.
Auch die Ausstellung der Entwürfe für das Neichsgerichtsgebcinde in Leipzig
hat diese Thatsache von neuem bestätigt, und wir dürfen uns darüber garnicht
wundern, da nirgends Ansätze zu einem neuen Stile zu bemerken sind. Wichtiger
sür uns ist die wiederum gemachte Beobachtung, daß sich von hundertundneunzehn
Bewerbern nur vier oder fünf für die deutsche Renaissance und ebensoviele für die
Gothik entschieden haben, und von diesen acht oder zehn Architekten haben nur
zwei, je einer in jedem der beiden Stile, ihre Aufgabe so ernst genommen, daß
man sie ernsthaft behandeln kann. Der Renaisfanceentwurf rührt vom Baurat
Güldenpfennig in Paderborn, der gothische vom Architekten Plüddemann in
Potsdam her. Dem erster" muß man das Zeugnis ausstellen, daß er in der
Hauptfront alle Elemente vereinigt hat, welche sich innerhalb der deutschen
Renaissance vorfinden, um eine monumentale Wirkung zu erzielen. Er hat die
Zierformen wie alle rein malerischen Zuthaten so weit als möglich zurückge¬
drängt, und doch ist es ihm nicht gelungen, über das Spielende und Elegante
hinauszukommen. Die Giebel der deutschen Renaissance sind und bleiben rein
dekorative Schaustücke, und ebensowenig spricht sich in den spitzen und schlanken
Türmen monumentale Würde aus. Einer solchen ist Plüddemann durch die
Anlage eines mächtigen, beffroi-artigen Turmes und durch eine wirksame Grup-
pirung der Baukörper auf unregelmäßigem Grundriß viel näher gekommen, wie
denn die Gothik überhaupt ganz andre Mittel besitzt, um zum Ausdruck der
Monumentalität zu gelangen. Beide Künstler haben auf Grund der einmal
gewählten Stilformen vielleicht das Höchste erreicht, was überhaupt mit ihnen
zu erreichen ist, Sie haben aber nicht vermocht, ihren Entwürfen einen Cha¬
rakter zu geben, welcher die Bestimmung des Gebändes deutlich ausdrückt. Sie
haben malerisch wirkende, glücklich komponirte Rathäuser geschaffen, aber keine
Justizpaläste.

Daß ein gothischer Entwurf ebensowenig Aussicht ans Erfolg haben konnte
wie ein im Stile der deutschen Renaissance gehaltener, liegt in dem architekto-


Fleiß und Intelligenz ist es endlich gelungen, edle und stilgerechte Modelle im
Renaissancestil herzustellen und dadurch der mächtigen Bronzewaarenindustrie
Frankreichs die Spitze zu bieten, und jetzt verlangt alle Welt in Deutschland
nach bronzenen Gebrauchs- und Ziergegcnstcindcn im Barock- und Rokokostil,
Die in Massen produzirten Renaissancesachen bleiben liegen, die Kosten für die
Modelle sind weggeworfen, und der Fabrikant kann von vorn beginnen, um,
wenn er wiederum glücklich aus Ziel gelangt ist, vielleicht die Wahrnehmung
zu machen, daß inzwischen Japan oder Indien Mode geworden sind (oder der
Zopf! Auch dieser wird sich unausbleiblich einstellen. D. Red,),

Der Grund dieser betrübenden Erscheinung liegt natürlich darin, daß es
unsrer Zeit trotz ihres aufs höchste gesteigerten technischen Vermögens nicht ge¬
lingen will, für ihre Schöpfungen auch eine eigne ästhetische Erscheinungsform
zu finden, welche zugleich die Keime einer organischen Entwicklung in sich trüge.
Auch die Ausstellung der Entwürfe für das Neichsgerichtsgebcinde in Leipzig
hat diese Thatsache von neuem bestätigt, und wir dürfen uns darüber garnicht
wundern, da nirgends Ansätze zu einem neuen Stile zu bemerken sind. Wichtiger
sür uns ist die wiederum gemachte Beobachtung, daß sich von hundertundneunzehn
Bewerbern nur vier oder fünf für die deutsche Renaissance und ebensoviele für die
Gothik entschieden haben, und von diesen acht oder zehn Architekten haben nur
zwei, je einer in jedem der beiden Stile, ihre Aufgabe so ernst genommen, daß
man sie ernsthaft behandeln kann. Der Renaisfanceentwurf rührt vom Baurat
Güldenpfennig in Paderborn, der gothische vom Architekten Plüddemann in
Potsdam her. Dem erster» muß man das Zeugnis ausstellen, daß er in der
Hauptfront alle Elemente vereinigt hat, welche sich innerhalb der deutschen
Renaissance vorfinden, um eine monumentale Wirkung zu erzielen. Er hat die
Zierformen wie alle rein malerischen Zuthaten so weit als möglich zurückge¬
drängt, und doch ist es ihm nicht gelungen, über das Spielende und Elegante
hinauszukommen. Die Giebel der deutschen Renaissance sind und bleiben rein
dekorative Schaustücke, und ebensowenig spricht sich in den spitzen und schlanken
Türmen monumentale Würde aus. Einer solchen ist Plüddemann durch die
Anlage eines mächtigen, beffroi-artigen Turmes und durch eine wirksame Grup-
pirung der Baukörper auf unregelmäßigem Grundriß viel näher gekommen, wie
denn die Gothik überhaupt ganz andre Mittel besitzt, um zum Ausdruck der
Monumentalität zu gelangen. Beide Künstler haben auf Grund der einmal
gewählten Stilformen vielleicht das Höchste erreicht, was überhaupt mit ihnen
zu erreichen ist, Sie haben aber nicht vermocht, ihren Entwürfen einen Cha¬
rakter zu geben, welcher die Bestimmung des Gebändes deutlich ausdrückt. Sie
haben malerisch wirkende, glücklich komponirte Rathäuser geschaffen, aber keine
Justizpaläste.

Daß ein gothischer Entwurf ebensowenig Aussicht ans Erfolg haben konnte
wie ein im Stile der deutschen Renaissance gehaltener, liegt in dem architekto-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/44>, abgerufen am 22.07.2024.