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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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nischen Charakter Leipzigs begründet. Die Architektur der Stadt steht in um¬
gekehrtem Verhältnisse zu ihrem Wohlstande und zu ihrer kommerziellen Be¬
deutung. Aus der gothischen Epoche sind uns in Leipzig nur Baudenkmäler
erhalten, welche Riegen ihrer Dürftigkeit und Nüchternheit ganz vereinzelt im
deutschen Reiche dastehen, und von dem üppigen Reichtum und der Dekorations¬
lust der deutschen Renaissance ist auf Leipzig nur ein spärlicher Abglanz ge¬
fallen. Manches mag ja durch Krieg und sonstige Kalamitäten und durch den
Unverstand der spätern Generationen zu gründe gegangen sein. In den er¬
haltenen Resten spricht sich aber der Geist der Sparsamkeit und Schmucklosigkeit
so deutlich aus, daß man in dieser Erscheinung keinen Zufall sehen möchte.
Jedenfalls hat weder die Gothik noch die Renaissance trotz der Wirksamkeit
eines Hieronymus Lotter der architektonischen Physiognomie Leipzigs so wesentliche
Charakterzüge eingetragen, daß der eine oder der andre Stil für die Neuge¬
staltung der Stadt aus diesem Grunde maßgebend sein könnte. Die moderne
Entwicklung Leipzigs, die etwa mit den Bauten am Augustusplatze beginnt,
hat deun auch einen andern Weg eingeschlagen, und auf diesem Wege wird
man, wenigstens in bezug auf Monumentalbauten, schon der Konsequenz
wegen fortschreiten müssen, wenn anders man die Stadt nicht zu einer
bunten Musterkarte, zu eiuer Beispielsammlung für architektonische Stilarten
machen will.

Hinsichtlich des Reichsgerichtsgebändes lag noch ein andrer Grund vor,
welcher den Anschluß an die italienische Renaissance verlangte. An der West¬
seite des für den Justizpalast bestimmten Bauplatzes erhebt sich bereits in dem
von Gropius und Schmieden errichteten Konzerthaus ein Renaissancebau und
an der Nordseite, jenseits der Pleiße, liegt ein Gerichtsgebäude, an dessen
Fassade, wenn auch mit äußerster Zurückhaltung, ebenfalls Renaissanceformen
verwendet worden sind. Diese beiden Bauwerke machen zwar einen nichts we¬
niger als imponirenden und durch Monumentalität zwingenden Eindruck; aber
sie sind einmal da und müssen um ihrer Existenz willen respektirt werden.
Auf die Preisrichter scheinen sie auch insofern eingewirkt zu haben, als die
Jury, vermutlich um die Harmonie nicht zu stören, das in seiner äußern Er¬
scheinung nüchternste und ärmlichste Projekt, eine gemeinsame Arbeit der Archi¬
tekten Ludwig Hoffmann in Darmstadt und Peter Dybwad in Berlin, mit dem
ersten Preise gekrönt hat. Wenn dieses Projekt wirklich zur Ausführung ge¬
langen sollte, so dürfen die Leipziger mit Fug und Recht behaupten, daß sie
in allem, was monumentale Kunst betrifft, von einem beständigen Mißgeschick
verfolgt werden. Es giebt stets über ein Zuviel oder über ein Zuwenig zu
klagen, meist über das letztere, und wenn zufällig einmal die goldene Mittel¬
straße gefunden worden ist, kommt, wie z. B. bei der neuen Börse, ein kurioser
oder bizarrer Gedanke dazwischen, um das mühsam errungene Gleichgewicht
wieder aufzuheben.


nischen Charakter Leipzigs begründet. Die Architektur der Stadt steht in um¬
gekehrtem Verhältnisse zu ihrem Wohlstande und zu ihrer kommerziellen Be¬
deutung. Aus der gothischen Epoche sind uns in Leipzig nur Baudenkmäler
erhalten, welche Riegen ihrer Dürftigkeit und Nüchternheit ganz vereinzelt im
deutschen Reiche dastehen, und von dem üppigen Reichtum und der Dekorations¬
lust der deutschen Renaissance ist auf Leipzig nur ein spärlicher Abglanz ge¬
fallen. Manches mag ja durch Krieg und sonstige Kalamitäten und durch den
Unverstand der spätern Generationen zu gründe gegangen sein. In den er¬
haltenen Resten spricht sich aber der Geist der Sparsamkeit und Schmucklosigkeit
so deutlich aus, daß man in dieser Erscheinung keinen Zufall sehen möchte.
Jedenfalls hat weder die Gothik noch die Renaissance trotz der Wirksamkeit
eines Hieronymus Lotter der architektonischen Physiognomie Leipzigs so wesentliche
Charakterzüge eingetragen, daß der eine oder der andre Stil für die Neuge¬
staltung der Stadt aus diesem Grunde maßgebend sein könnte. Die moderne
Entwicklung Leipzigs, die etwa mit den Bauten am Augustusplatze beginnt,
hat deun auch einen andern Weg eingeschlagen, und auf diesem Wege wird
man, wenigstens in bezug auf Monumentalbauten, schon der Konsequenz
wegen fortschreiten müssen, wenn anders man die Stadt nicht zu einer
bunten Musterkarte, zu eiuer Beispielsammlung für architektonische Stilarten
machen will.

Hinsichtlich des Reichsgerichtsgebändes lag noch ein andrer Grund vor,
welcher den Anschluß an die italienische Renaissance verlangte. An der West¬
seite des für den Justizpalast bestimmten Bauplatzes erhebt sich bereits in dem
von Gropius und Schmieden errichteten Konzerthaus ein Renaissancebau und
an der Nordseite, jenseits der Pleiße, liegt ein Gerichtsgebäude, an dessen
Fassade, wenn auch mit äußerster Zurückhaltung, ebenfalls Renaissanceformen
verwendet worden sind. Diese beiden Bauwerke machen zwar einen nichts we¬
niger als imponirenden und durch Monumentalität zwingenden Eindruck; aber
sie sind einmal da und müssen um ihrer Existenz willen respektirt werden.
Auf die Preisrichter scheinen sie auch insofern eingewirkt zu haben, als die
Jury, vermutlich um die Harmonie nicht zu stören, das in seiner äußern Er¬
scheinung nüchternste und ärmlichste Projekt, eine gemeinsame Arbeit der Archi¬
tekten Ludwig Hoffmann in Darmstadt und Peter Dybwad in Berlin, mit dem
ersten Preise gekrönt hat. Wenn dieses Projekt wirklich zur Ausführung ge¬
langen sollte, so dürfen die Leipziger mit Fug und Recht behaupten, daß sie
in allem, was monumentale Kunst betrifft, von einem beständigen Mißgeschick
verfolgt werden. Es giebt stets über ein Zuviel oder über ein Zuwenig zu
klagen, meist über das letztere, und wenn zufällig einmal die goldene Mittel¬
straße gefunden worden ist, kommt, wie z. B. bei der neuen Börse, ein kurioser
oder bizarrer Gedanke dazwischen, um das mühsam errungene Gleichgewicht
wieder aufzuheben.


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[0045] nischen Charakter Leipzigs begründet. Die Architektur der Stadt steht in um¬ gekehrtem Verhältnisse zu ihrem Wohlstande und zu ihrer kommerziellen Be¬ deutung. Aus der gothischen Epoche sind uns in Leipzig nur Baudenkmäler erhalten, welche Riegen ihrer Dürftigkeit und Nüchternheit ganz vereinzelt im deutschen Reiche dastehen, und von dem üppigen Reichtum und der Dekorations¬ lust der deutschen Renaissance ist auf Leipzig nur ein spärlicher Abglanz ge¬ fallen. Manches mag ja durch Krieg und sonstige Kalamitäten und durch den Unverstand der spätern Generationen zu gründe gegangen sein. In den er¬ haltenen Resten spricht sich aber der Geist der Sparsamkeit und Schmucklosigkeit so deutlich aus, daß man in dieser Erscheinung keinen Zufall sehen möchte. Jedenfalls hat weder die Gothik noch die Renaissance trotz der Wirksamkeit eines Hieronymus Lotter der architektonischen Physiognomie Leipzigs so wesentliche Charakterzüge eingetragen, daß der eine oder der andre Stil für die Neuge¬ staltung der Stadt aus diesem Grunde maßgebend sein könnte. Die moderne Entwicklung Leipzigs, die etwa mit den Bauten am Augustusplatze beginnt, hat deun auch einen andern Weg eingeschlagen, und auf diesem Wege wird man, wenigstens in bezug auf Monumentalbauten, schon der Konsequenz wegen fortschreiten müssen, wenn anders man die Stadt nicht zu einer bunten Musterkarte, zu eiuer Beispielsammlung für architektonische Stilarten machen will. Hinsichtlich des Reichsgerichtsgebändes lag noch ein andrer Grund vor, welcher den Anschluß an die italienische Renaissance verlangte. An der West¬ seite des für den Justizpalast bestimmten Bauplatzes erhebt sich bereits in dem von Gropius und Schmieden errichteten Konzerthaus ein Renaissancebau und an der Nordseite, jenseits der Pleiße, liegt ein Gerichtsgebäude, an dessen Fassade, wenn auch mit äußerster Zurückhaltung, ebenfalls Renaissanceformen verwendet worden sind. Diese beiden Bauwerke machen zwar einen nichts we¬ niger als imponirenden und durch Monumentalität zwingenden Eindruck; aber sie sind einmal da und müssen um ihrer Existenz willen respektirt werden. Auf die Preisrichter scheinen sie auch insofern eingewirkt zu haben, als die Jury, vermutlich um die Harmonie nicht zu stören, das in seiner äußern Er¬ scheinung nüchternste und ärmlichste Projekt, eine gemeinsame Arbeit der Archi¬ tekten Ludwig Hoffmann in Darmstadt und Peter Dybwad in Berlin, mit dem ersten Preise gekrönt hat. Wenn dieses Projekt wirklich zur Ausführung ge¬ langen sollte, so dürfen die Leipziger mit Fug und Recht behaupten, daß sie in allem, was monumentale Kunst betrifft, von einem beständigen Mißgeschick verfolgt werden. Es giebt stets über ein Zuviel oder über ein Zuwenig zu klagen, meist über das letztere, und wenn zufällig einmal die goldene Mittel¬ straße gefunden worden ist, kommt, wie z. B. bei der neuen Börse, ein kurioser oder bizarrer Gedanke dazwischen, um das mühsam errungene Gleichgewicht wieder aufzuheben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/45>, abgerufen am 25.08.2024.