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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine'Perle.

Florida blickte umher. Die meisten Lichter waren schon tief herabgebrannt,
der Dunst beengte ihr doch die Brust, und ihr Mut begann von neuem zu
sinken. Ach! wollte sie seufzen, ginge es so doch auch mit mir zu Ende! Aber
möchte ich denn mit so schuldbeladenem Herzen von hinnen gehen? zürnte sie
gegen ihr immer neues Nückfälligwerden, und sie besann sich auf alles, was ihr
der gute Pater Vigilio an Fehltritten vorgehalten hatte: gegen ihren Vater
das Verschweigen des unfreiwilligen Ringtausches, gegen die Gesetze der jung¬
fräulichen Sitte der nächtliche Empfang des kühnen Werders, gegen die heilige
Kirche das Unterlassen der sofortigen reuigen Beichte. Für jeden dieser Fehl¬
tritte hatte sie damals rechtfertigende Gründe zu haben geglaubt, wenigstens
entschuldigende, mildernde. Aber Pater Vigilio hat meine Vergehen richtiger
beurteilt, sagte sie sich jetzt mit zerknirschtem Herzen; ich habe schwer gesündigt;
wies ich den Ring zurück, so band ich Giuseppe Gonzaga uicht an die Verlorne,
hoffnungslose Sache unsers Hauses, so zog ich ihn aus dem himmlischen Verona
nicht mir nach in dies mordbefleckte Mantua. -- Und jetzt! Und jetzt! Mi߬
achte ich nicht im Herzen noch immer als eine bloße Gaukelei, was mir der
Traum verhieß? Wenn ich der Lichterscheinung, die mir werden sollte, noch je
einmal gedenke, verlange ich nicht ungenügsamen und unbußfertigen Sinnes, daß
sie seine Züge trage? So liebevolle Worte hat die heilige Agata zu mir ge¬
sprochen, soviele Mühe hatte sie sich's kosten lassen, mich auf das Wesen eiuer
bloß geistigen Botschaft vorzubereiten, und immer wieder öffne ich begehrlich
die Arme! Wer weiß, ob jene Nebel nichts waren als Wasserdunst? Ob sich
ans ihnen nicht die Erscheinung entwickeln wollte, die mir verheißen worden
war! Ich habe ja schon widerrufen -- jetzt kam es darauf an, mich vor dem
Erliegen zu behüten, mich für die weiteren Schritte mit Kraft zu erfüllen!
Und statt mich gläubig dem vorbereitenden Wunder gegenüber auf die Kniee
zu werfen, wende ich ihm in selbstüberhebender Zweifelsucht den Rücken! --
Florida rang die Hände; sie wollte fast verzagen. Endlich aber überkam
sie, kaum daß sie auf die Kniee gesunken war, ein so heftiges und zugleich fo
erlösendes Weinen, daß sie sich allem Irdischen wie entrückt fühlte und sich von
der Hoffnung erfüllen ließ, sie verströme in ihren Thränen ihr junges Leben,
wie der verwundete Krieger in seinem Blut das seinige.

Währenddessen klangen immerfort die unschuldigen Kinderstimmen in ihr
Ohr, und wenn die in Thränen aufgelöste zu der heiligen Lucia aufblickte, sah
sie dieselbe bald mitleidig ihr zulächeln, bald tröstend winken, bald hörte sie
Töne überirdischer Art neben, hinter und über sich, und alle Wunderwirkungen,
von denen ihr je erzählt worden war, gewannen wieder Gewalt über sie.

Nach und nach wurde die Kirche leerer, und immer schwächer wurde der
Gesang. Ein Kind nach dem andern blies sein Kerzlein aus, lieferte das Licht-
stümpfchen an das Weib des Schließers ab, knickste vor der Heiligen und machte
sich ans dem Stande.


Um eine'Perle.

Florida blickte umher. Die meisten Lichter waren schon tief herabgebrannt,
der Dunst beengte ihr doch die Brust, und ihr Mut begann von neuem zu
sinken. Ach! wollte sie seufzen, ginge es so doch auch mit mir zu Ende! Aber
möchte ich denn mit so schuldbeladenem Herzen von hinnen gehen? zürnte sie
gegen ihr immer neues Nückfälligwerden, und sie besann sich auf alles, was ihr
der gute Pater Vigilio an Fehltritten vorgehalten hatte: gegen ihren Vater
das Verschweigen des unfreiwilligen Ringtausches, gegen die Gesetze der jung¬
fräulichen Sitte der nächtliche Empfang des kühnen Werders, gegen die heilige
Kirche das Unterlassen der sofortigen reuigen Beichte. Für jeden dieser Fehl¬
tritte hatte sie damals rechtfertigende Gründe zu haben geglaubt, wenigstens
entschuldigende, mildernde. Aber Pater Vigilio hat meine Vergehen richtiger
beurteilt, sagte sie sich jetzt mit zerknirschtem Herzen; ich habe schwer gesündigt;
wies ich den Ring zurück, so band ich Giuseppe Gonzaga uicht an die Verlorne,
hoffnungslose Sache unsers Hauses, so zog ich ihn aus dem himmlischen Verona
nicht mir nach in dies mordbefleckte Mantua. — Und jetzt! Und jetzt! Mi߬
achte ich nicht im Herzen noch immer als eine bloße Gaukelei, was mir der
Traum verhieß? Wenn ich der Lichterscheinung, die mir werden sollte, noch je
einmal gedenke, verlange ich nicht ungenügsamen und unbußfertigen Sinnes, daß
sie seine Züge trage? So liebevolle Worte hat die heilige Agata zu mir ge¬
sprochen, soviele Mühe hatte sie sich's kosten lassen, mich auf das Wesen eiuer
bloß geistigen Botschaft vorzubereiten, und immer wieder öffne ich begehrlich
die Arme! Wer weiß, ob jene Nebel nichts waren als Wasserdunst? Ob sich
ans ihnen nicht die Erscheinung entwickeln wollte, die mir verheißen worden
war! Ich habe ja schon widerrufen — jetzt kam es darauf an, mich vor dem
Erliegen zu behüten, mich für die weiteren Schritte mit Kraft zu erfüllen!
Und statt mich gläubig dem vorbereitenden Wunder gegenüber auf die Kniee
zu werfen, wende ich ihm in selbstüberhebender Zweifelsucht den Rücken! —
Florida rang die Hände; sie wollte fast verzagen. Endlich aber überkam
sie, kaum daß sie auf die Kniee gesunken war, ein so heftiges und zugleich fo
erlösendes Weinen, daß sie sich allem Irdischen wie entrückt fühlte und sich von
der Hoffnung erfüllen ließ, sie verströme in ihren Thränen ihr junges Leben,
wie der verwundete Krieger in seinem Blut das seinige.

Währenddessen klangen immerfort die unschuldigen Kinderstimmen in ihr
Ohr, und wenn die in Thränen aufgelöste zu der heiligen Lucia aufblickte, sah
sie dieselbe bald mitleidig ihr zulächeln, bald tröstend winken, bald hörte sie
Töne überirdischer Art neben, hinter und über sich, und alle Wunderwirkungen,
von denen ihr je erzählt worden war, gewannen wieder Gewalt über sie.

Nach und nach wurde die Kirche leerer, und immer schwächer wurde der
Gesang. Ein Kind nach dem andern blies sein Kerzlein aus, lieferte das Licht-
stümpfchen an das Weib des Schließers ab, knickste vor der Heiligen und machte
sich ans dem Stande.


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[0437] Um eine'Perle. Florida blickte umher. Die meisten Lichter waren schon tief herabgebrannt, der Dunst beengte ihr doch die Brust, und ihr Mut begann von neuem zu sinken. Ach! wollte sie seufzen, ginge es so doch auch mit mir zu Ende! Aber möchte ich denn mit so schuldbeladenem Herzen von hinnen gehen? zürnte sie gegen ihr immer neues Nückfälligwerden, und sie besann sich auf alles, was ihr der gute Pater Vigilio an Fehltritten vorgehalten hatte: gegen ihren Vater das Verschweigen des unfreiwilligen Ringtausches, gegen die Gesetze der jung¬ fräulichen Sitte der nächtliche Empfang des kühnen Werders, gegen die heilige Kirche das Unterlassen der sofortigen reuigen Beichte. Für jeden dieser Fehl¬ tritte hatte sie damals rechtfertigende Gründe zu haben geglaubt, wenigstens entschuldigende, mildernde. Aber Pater Vigilio hat meine Vergehen richtiger beurteilt, sagte sie sich jetzt mit zerknirschtem Herzen; ich habe schwer gesündigt; wies ich den Ring zurück, so band ich Giuseppe Gonzaga uicht an die Verlorne, hoffnungslose Sache unsers Hauses, so zog ich ihn aus dem himmlischen Verona nicht mir nach in dies mordbefleckte Mantua. — Und jetzt! Und jetzt! Mi߬ achte ich nicht im Herzen noch immer als eine bloße Gaukelei, was mir der Traum verhieß? Wenn ich der Lichterscheinung, die mir werden sollte, noch je einmal gedenke, verlange ich nicht ungenügsamen und unbußfertigen Sinnes, daß sie seine Züge trage? So liebevolle Worte hat die heilige Agata zu mir ge¬ sprochen, soviele Mühe hatte sie sich's kosten lassen, mich auf das Wesen eiuer bloß geistigen Botschaft vorzubereiten, und immer wieder öffne ich begehrlich die Arme! Wer weiß, ob jene Nebel nichts waren als Wasserdunst? Ob sich ans ihnen nicht die Erscheinung entwickeln wollte, die mir verheißen worden war! Ich habe ja schon widerrufen — jetzt kam es darauf an, mich vor dem Erliegen zu behüten, mich für die weiteren Schritte mit Kraft zu erfüllen! Und statt mich gläubig dem vorbereitenden Wunder gegenüber auf die Kniee zu werfen, wende ich ihm in selbstüberhebender Zweifelsucht den Rücken! — Florida rang die Hände; sie wollte fast verzagen. Endlich aber überkam sie, kaum daß sie auf die Kniee gesunken war, ein so heftiges und zugleich fo erlösendes Weinen, daß sie sich allem Irdischen wie entrückt fühlte und sich von der Hoffnung erfüllen ließ, sie verströme in ihren Thränen ihr junges Leben, wie der verwundete Krieger in seinem Blut das seinige. Währenddessen klangen immerfort die unschuldigen Kinderstimmen in ihr Ohr, und wenn die in Thränen aufgelöste zu der heiligen Lucia aufblickte, sah sie dieselbe bald mitleidig ihr zulächeln, bald tröstend winken, bald hörte sie Töne überirdischer Art neben, hinter und über sich, und alle Wunderwirkungen, von denen ihr je erzählt worden war, gewannen wieder Gewalt über sie. Nach und nach wurde die Kirche leerer, und immer schwächer wurde der Gesang. Ein Kind nach dem andern blies sein Kerzlein aus, lieferte das Licht- stümpfchen an das Weib des Schließers ab, knickste vor der Heiligen und machte sich ans dem Stande.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/437>, abgerufen am 22.07.2024.