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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine j)erke.

Zuletzt waren nur noch zwei kleine Mädchen des Singens und Knieens
nicht müde. Die aber sandte die Matrone, welche die Kinderschar hierher ge¬
leitet hatte, selbst von dannen, denn der alte Schließer klapperte ungeduldig mit
den Schlüsseln, und sein Weib, die Kerzenwürteri", war schon eifrig beim Aus¬
blasen der Lichter.

Die Matrone schickte sich zum Weggehen an, als sie die im Schatten eines
Pfeilers knieende gewahrte. Man schließt, Signora, sagte sie in gutmütigen
Tone; Battista, der Pförtner, ist schon auf dem Wege zu uns, und Ihr wißt,
auf ein Dutzend grobe Worte kommt es ihm nicht an. Die letzte fährt bei ihm
allemal schlecht. So recht, Signora, fügte sie hinzu, soll ich Euch aufhelfen?
Und sie reichte der von Thränen überströmten die Hand zum Aufstehen.

Florida erhob sich mühsam. Naäre all Oiv! seufzte die Matrone, habt
Ihr Euch die Augen rot geweint! Wo ist Euer Fazoletto? Hier ist meines.
Tupft die armen Augen damit; es ist sauber und von ganz weicher Leinwand.
Ja, Herzenskind, wollt Ihr denn blind werden? So unverständig zu weinen!
Wie soll die heilige Lucia durchkommen, wenn man selber nichts thut, um seine
Augen zu behüten!

So redend hatte sie Floridas Arm in den ihren gezogen. Willenlos ließ
die kraftlos schwankende sich aus dem dunkelnden Kirchlein ins Freie
führen.

Wohin gehört Ihr? fragte die Matrone draußen; es ist Nacht geworden.
Ihr seid ein vornehmes Frauenzimmer. Um Gott, Signora, wie wollt Ihr
ungeleitet heimkommen? Auf der Zitadelle blasen und trommeln sie schon zur
Ritirata. Jetzt rennt Euch alles wüste Gesindel über den Weg, schleppt Euch
Wohl gar mit Gewalt mit über die Zugbrücke. Da johlt schon ein Trupp be¬
trunkener Hakeuschützen heran. Kein Alter schützt gegen diese Taugenichtse.
Wir können Gott danken, wenn sie vor lauter Aqua Vita nicht mehr aus den
Augen zu sehen vermögen.

Es war in der That Zeit, den Herantaumelnden und Brüllenden aus dem
Wege zu kommen.

Nur einstweilen tretet bei mir ein, bat die Matrone und schürzte sich,
ohne Florida die Stütze ihres Armes zu entziehen. Und beide erreichten, ehe
die Schützen sie einholen konnten, einen halb vom Wasser überfluteten Steg,
über den der Weg zu einer der zwölf Strvmmühlen ging.

Wohin führt Ihr mich, gute Frau? war alles, was Florida müden Tones
fragte. Die lange Aufregung hatte sie erschöpft.

Zum heiligen Petrus, lautete die Antwort, nachdem die Matrone bei dem
glockenreinen Klänge der an ihr Ohr geklnugenen Stimme aufgehorcht hatte,
als wecke dieselbe eine entlegene Erinnerung; hier sind wir schon am Ziel.
Laßt mich jetzt vorangehen. Und noch eins: redet nicht. Es ist ein eigen Ding
um Ähnlichkeiten, und Eure Stimme hat mich selbst eben stutzig gemacht.


Grenzboten II. 1385. 5ü
Um eine j)erke.

Zuletzt waren nur noch zwei kleine Mädchen des Singens und Knieens
nicht müde. Die aber sandte die Matrone, welche die Kinderschar hierher ge¬
leitet hatte, selbst von dannen, denn der alte Schließer klapperte ungeduldig mit
den Schlüsseln, und sein Weib, die Kerzenwürteri», war schon eifrig beim Aus¬
blasen der Lichter.

Die Matrone schickte sich zum Weggehen an, als sie die im Schatten eines
Pfeilers knieende gewahrte. Man schließt, Signora, sagte sie in gutmütigen
Tone; Battista, der Pförtner, ist schon auf dem Wege zu uns, und Ihr wißt,
auf ein Dutzend grobe Worte kommt es ihm nicht an. Die letzte fährt bei ihm
allemal schlecht. So recht, Signora, fügte sie hinzu, soll ich Euch aufhelfen?
Und sie reichte der von Thränen überströmten die Hand zum Aufstehen.

Florida erhob sich mühsam. Naäre all Oiv! seufzte die Matrone, habt
Ihr Euch die Augen rot geweint! Wo ist Euer Fazoletto? Hier ist meines.
Tupft die armen Augen damit; es ist sauber und von ganz weicher Leinwand.
Ja, Herzenskind, wollt Ihr denn blind werden? So unverständig zu weinen!
Wie soll die heilige Lucia durchkommen, wenn man selber nichts thut, um seine
Augen zu behüten!

So redend hatte sie Floridas Arm in den ihren gezogen. Willenlos ließ
die kraftlos schwankende sich aus dem dunkelnden Kirchlein ins Freie
führen.

Wohin gehört Ihr? fragte die Matrone draußen; es ist Nacht geworden.
Ihr seid ein vornehmes Frauenzimmer. Um Gott, Signora, wie wollt Ihr
ungeleitet heimkommen? Auf der Zitadelle blasen und trommeln sie schon zur
Ritirata. Jetzt rennt Euch alles wüste Gesindel über den Weg, schleppt Euch
Wohl gar mit Gewalt mit über die Zugbrücke. Da johlt schon ein Trupp be¬
trunkener Hakeuschützen heran. Kein Alter schützt gegen diese Taugenichtse.
Wir können Gott danken, wenn sie vor lauter Aqua Vita nicht mehr aus den
Augen zu sehen vermögen.

Es war in der That Zeit, den Herantaumelnden und Brüllenden aus dem
Wege zu kommen.

Nur einstweilen tretet bei mir ein, bat die Matrone und schürzte sich,
ohne Florida die Stütze ihres Armes zu entziehen. Und beide erreichten, ehe
die Schützen sie einholen konnten, einen halb vom Wasser überfluteten Steg,
über den der Weg zu einer der zwölf Strvmmühlen ging.

Wohin führt Ihr mich, gute Frau? war alles, was Florida müden Tones
fragte. Die lange Aufregung hatte sie erschöpft.

Zum heiligen Petrus, lautete die Antwort, nachdem die Matrone bei dem
glockenreinen Klänge der an ihr Ohr geklnugenen Stimme aufgehorcht hatte,
als wecke dieselbe eine entlegene Erinnerung; hier sind wir schon am Ziel.
Laßt mich jetzt vorangehen. Und noch eins: redet nicht. Es ist ein eigen Ding
um Ähnlichkeiten, und Eure Stimme hat mich selbst eben stutzig gemacht.


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[0438] Um eine j)erke. Zuletzt waren nur noch zwei kleine Mädchen des Singens und Knieens nicht müde. Die aber sandte die Matrone, welche die Kinderschar hierher ge¬ leitet hatte, selbst von dannen, denn der alte Schließer klapperte ungeduldig mit den Schlüsseln, und sein Weib, die Kerzenwürteri», war schon eifrig beim Aus¬ blasen der Lichter. Die Matrone schickte sich zum Weggehen an, als sie die im Schatten eines Pfeilers knieende gewahrte. Man schließt, Signora, sagte sie in gutmütigen Tone; Battista, der Pförtner, ist schon auf dem Wege zu uns, und Ihr wißt, auf ein Dutzend grobe Worte kommt es ihm nicht an. Die letzte fährt bei ihm allemal schlecht. So recht, Signora, fügte sie hinzu, soll ich Euch aufhelfen? Und sie reichte der von Thränen überströmten die Hand zum Aufstehen. Florida erhob sich mühsam. Naäre all Oiv! seufzte die Matrone, habt Ihr Euch die Augen rot geweint! Wo ist Euer Fazoletto? Hier ist meines. Tupft die armen Augen damit; es ist sauber und von ganz weicher Leinwand. Ja, Herzenskind, wollt Ihr denn blind werden? So unverständig zu weinen! Wie soll die heilige Lucia durchkommen, wenn man selber nichts thut, um seine Augen zu behüten! So redend hatte sie Floridas Arm in den ihren gezogen. Willenlos ließ die kraftlos schwankende sich aus dem dunkelnden Kirchlein ins Freie führen. Wohin gehört Ihr? fragte die Matrone draußen; es ist Nacht geworden. Ihr seid ein vornehmes Frauenzimmer. Um Gott, Signora, wie wollt Ihr ungeleitet heimkommen? Auf der Zitadelle blasen und trommeln sie schon zur Ritirata. Jetzt rennt Euch alles wüste Gesindel über den Weg, schleppt Euch Wohl gar mit Gewalt mit über die Zugbrücke. Da johlt schon ein Trupp be¬ trunkener Hakeuschützen heran. Kein Alter schützt gegen diese Taugenichtse. Wir können Gott danken, wenn sie vor lauter Aqua Vita nicht mehr aus den Augen zu sehen vermögen. Es war in der That Zeit, den Herantaumelnden und Brüllenden aus dem Wege zu kommen. Nur einstweilen tretet bei mir ein, bat die Matrone und schürzte sich, ohne Florida die Stütze ihres Armes zu entziehen. Und beide erreichten, ehe die Schützen sie einholen konnten, einen halb vom Wasser überfluteten Steg, über den der Weg zu einer der zwölf Strvmmühlen ging. Wohin führt Ihr mich, gute Frau? war alles, was Florida müden Tones fragte. Die lange Aufregung hatte sie erschöpft. Zum heiligen Petrus, lautete die Antwort, nachdem die Matrone bei dem glockenreinen Klänge der an ihr Ohr geklnugenen Stimme aufgehorcht hatte, als wecke dieselbe eine entlegene Erinnerung; hier sind wir schon am Ziel. Laßt mich jetzt vorangehen. Und noch eins: redet nicht. Es ist ein eigen Ding um Ähnlichkeiten, und Eure Stimme hat mich selbst eben stutzig gemacht. Grenzboten II. 1385. 5ü

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/438>, abgerufen am 07.01.2025.