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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine Perle.

die sie sich besann, wie hold die dem Westen zusinkende Sonne sich auch im
Mincio spiegelte, es war Scham, es war etwas von der Buonacolsischen Zähig¬
keit, was sie noch einmal trotzig ihr Haupt aufrichten hieß.




Vierundzwanzigstes Kapitel.

Als eine von neuem an das Leben und sein Joch gekettete erhob sie sich.
Wohin? Gleichviel! Im Wandern werde ich's vielleicht noch erklügeln, redete
sie vor sich hin. Noch einmal blickte sie sich nach der spicgclklarcu Wasserfläche
wu. Und kann, rief sie, kann denn der Traum nicht doch von der guten Hei¬
ligen mir bescheert worden sein, kann mir nicht der Geliebte erscheinen, mich
wohl gar in die himmlischen Gefilde mit sich von hinnen nehmen? Sie spähte
lange aus. Ein paarmal war es ihr, als sehe sie eine lichtumflossene Gestalt
über die Wasserfläche daherkommen, und unwillkürlich breitete Florida die Arme
sehnend nach ihr aus. Aber es war ein weißes Segel, dann wieder ein weißer
Schwan, zuletzt ein bloßer Schemen, der ihrer Phantasie entstieg. Geliebter!
rief sie, erscheine mir, hilf mir fort, hilf mir aus dem Leben hinaus! So
starrte sie, bis der letzte Sonnenstrahl verglüht war und weiße Nebeldünste zu
ziehen begannen. Dann zog sie zusammenschauernd den langen schwarzen Seidcn-
schleier so fest um Haupt und Schultern, wie nur Tieftrauernde zu thun pflegten,
entfernte sich von dem Wasser, blickte, eingedenk der ihr empfohlenen Unermüd¬
lichkeit in Bittgängen, sich nach allen Seiten um, und folgte endlich einer fest¬
lich mit grünen Kränzen geschmückten Kinderschar, die, mit Kerzen in den Händen,
unter Führung einer graugclleidcten Matrone, singend im Abendscheine einem
abseits gelegenen Kirchlein znwallte.

Nie in bessern Tagen hatte Florida ihre Vaterstadt ganz durchstreift. Ihre
täglichen Gänge waren meistens auf wenige Kirchen beschränkt gewesen. Aber
wenn sie sich früher kaum allein aus dem Palazzo hinausgewagt hatte, seit
langem und auch jetzt wieder ließ sie sich von dem Winde des Zufalls umher¬
treiben, wie ein Blatt, das, seines Haltes am Zweige beraubt, nirgends mehr
heimisch ist.

Es war ein äußerlich armseliges Kirchlein, wohin Florida der singenden
Kinderschar folgte, aber draußen saßen schier alle armen Blinden, die sich sonst
auf ganz Mantnci verteilten, und die von ihnen ausgehenden Anrufe um Al¬
mosen nahmen alle auf Santa Lucia, auf die Helferin der Blinden, bezug.

Drinnen flammten unzählige Kerzen. Die Heilige, eine zu Ehren ihres
Festes in reiche und bunte Stoffe gehüllte Figur aus Marmor, stand auf dem
Altar in einem Walde von grünen Blattgewächsen und blühenden Pflanzen,
in deren lieblichen Duft sich der Geruch der Wachskerzen und des Weihrauchs
mischte.


Um eine Perle.

die sie sich besann, wie hold die dem Westen zusinkende Sonne sich auch im
Mincio spiegelte, es war Scham, es war etwas von der Buonacolsischen Zähig¬
keit, was sie noch einmal trotzig ihr Haupt aufrichten hieß.




Vierundzwanzigstes Kapitel.

Als eine von neuem an das Leben und sein Joch gekettete erhob sie sich.
Wohin? Gleichviel! Im Wandern werde ich's vielleicht noch erklügeln, redete
sie vor sich hin. Noch einmal blickte sie sich nach der spicgclklarcu Wasserfläche
wu. Und kann, rief sie, kann denn der Traum nicht doch von der guten Hei¬
ligen mir bescheert worden sein, kann mir nicht der Geliebte erscheinen, mich
wohl gar in die himmlischen Gefilde mit sich von hinnen nehmen? Sie spähte
lange aus. Ein paarmal war es ihr, als sehe sie eine lichtumflossene Gestalt
über die Wasserfläche daherkommen, und unwillkürlich breitete Florida die Arme
sehnend nach ihr aus. Aber es war ein weißes Segel, dann wieder ein weißer
Schwan, zuletzt ein bloßer Schemen, der ihrer Phantasie entstieg. Geliebter!
rief sie, erscheine mir, hilf mir fort, hilf mir aus dem Leben hinaus! So
starrte sie, bis der letzte Sonnenstrahl verglüht war und weiße Nebeldünste zu
ziehen begannen. Dann zog sie zusammenschauernd den langen schwarzen Seidcn-
schleier so fest um Haupt und Schultern, wie nur Tieftrauernde zu thun pflegten,
entfernte sich von dem Wasser, blickte, eingedenk der ihr empfohlenen Unermüd¬
lichkeit in Bittgängen, sich nach allen Seiten um, und folgte endlich einer fest¬
lich mit grünen Kränzen geschmückten Kinderschar, die, mit Kerzen in den Händen,
unter Führung einer graugclleidcten Matrone, singend im Abendscheine einem
abseits gelegenen Kirchlein znwallte.

Nie in bessern Tagen hatte Florida ihre Vaterstadt ganz durchstreift. Ihre
täglichen Gänge waren meistens auf wenige Kirchen beschränkt gewesen. Aber
wenn sie sich früher kaum allein aus dem Palazzo hinausgewagt hatte, seit
langem und auch jetzt wieder ließ sie sich von dem Winde des Zufalls umher¬
treiben, wie ein Blatt, das, seines Haltes am Zweige beraubt, nirgends mehr
heimisch ist.

Es war ein äußerlich armseliges Kirchlein, wohin Florida der singenden
Kinderschar folgte, aber draußen saßen schier alle armen Blinden, die sich sonst
auf ganz Mantnci verteilten, und die von ihnen ausgehenden Anrufe um Al¬
mosen nahmen alle auf Santa Lucia, auf die Helferin der Blinden, bezug.

Drinnen flammten unzählige Kerzen. Die Heilige, eine zu Ehren ihres
Festes in reiche und bunte Stoffe gehüllte Figur aus Marmor, stand auf dem
Altar in einem Walde von grünen Blattgewächsen und blühenden Pflanzen,
in deren lieblichen Duft sich der Geruch der Wachskerzen und des Weihrauchs
mischte.


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[0436] Um eine Perle. die sie sich besann, wie hold die dem Westen zusinkende Sonne sich auch im Mincio spiegelte, es war Scham, es war etwas von der Buonacolsischen Zähig¬ keit, was sie noch einmal trotzig ihr Haupt aufrichten hieß. Vierundzwanzigstes Kapitel. Als eine von neuem an das Leben und sein Joch gekettete erhob sie sich. Wohin? Gleichviel! Im Wandern werde ich's vielleicht noch erklügeln, redete sie vor sich hin. Noch einmal blickte sie sich nach der spicgclklarcu Wasserfläche wu. Und kann, rief sie, kann denn der Traum nicht doch von der guten Hei¬ ligen mir bescheert worden sein, kann mir nicht der Geliebte erscheinen, mich wohl gar in die himmlischen Gefilde mit sich von hinnen nehmen? Sie spähte lange aus. Ein paarmal war es ihr, als sehe sie eine lichtumflossene Gestalt über die Wasserfläche daherkommen, und unwillkürlich breitete Florida die Arme sehnend nach ihr aus. Aber es war ein weißes Segel, dann wieder ein weißer Schwan, zuletzt ein bloßer Schemen, der ihrer Phantasie entstieg. Geliebter! rief sie, erscheine mir, hilf mir fort, hilf mir aus dem Leben hinaus! So starrte sie, bis der letzte Sonnenstrahl verglüht war und weiße Nebeldünste zu ziehen begannen. Dann zog sie zusammenschauernd den langen schwarzen Seidcn- schleier so fest um Haupt und Schultern, wie nur Tieftrauernde zu thun pflegten, entfernte sich von dem Wasser, blickte, eingedenk der ihr empfohlenen Unermüd¬ lichkeit in Bittgängen, sich nach allen Seiten um, und folgte endlich einer fest¬ lich mit grünen Kränzen geschmückten Kinderschar, die, mit Kerzen in den Händen, unter Führung einer graugclleidcten Matrone, singend im Abendscheine einem abseits gelegenen Kirchlein znwallte. Nie in bessern Tagen hatte Florida ihre Vaterstadt ganz durchstreift. Ihre täglichen Gänge waren meistens auf wenige Kirchen beschränkt gewesen. Aber wenn sie sich früher kaum allein aus dem Palazzo hinausgewagt hatte, seit langem und auch jetzt wieder ließ sie sich von dem Winde des Zufalls umher¬ treiben, wie ein Blatt, das, seines Haltes am Zweige beraubt, nirgends mehr heimisch ist. Es war ein äußerlich armseliges Kirchlein, wohin Florida der singenden Kinderschar folgte, aber draußen saßen schier alle armen Blinden, die sich sonst auf ganz Mantnci verteilten, und die von ihnen ausgehenden Anrufe um Al¬ mosen nahmen alle auf Santa Lucia, auf die Helferin der Blinden, bezug. Drinnen flammten unzählige Kerzen. Die Heilige, eine zu Ehren ihres Festes in reiche und bunte Stoffe gehüllte Figur aus Marmor, stand auf dem Altar in einem Walde von grünen Blattgewächsen und blühenden Pflanzen, in deren lieblichen Duft sich der Geruch der Wachskerzen und des Weihrauchs mischte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/436>, abgerufen am 22.07.2024.