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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um Porto.

Simia nicht mehr mächtig, ach, daß es selbst zum Sterben noch so vieler Kräfte
braucht! -- Mechanisch griff sie in die Tasche; wieder hatte Eufemia sich's wie
allmorgentlich nicht nehmen lassen, die Tasche mit Wanderproviant zu füllen,
aber es fehlte der im Umfinken begriffenen schon die Kraft, den Bissen, den
ihre Hand mühsam hervorzog, zum Munde zu sichren. Ohnmächtig schlössen
sich ihre Augen. Sie sank in das Gras des Ufers nieder.

In einiger Entfernung hatten Kinder nach bunten Ufersteinchcn gesucht.
Sie kamen furchtsam näher, sahen die schöne junge Dame wie leblos daliegen,
erschraken und stoben auseinander. Ein kleines Mädchen hatte indessen den
guten Bissen in der Hand der Bewußtlosen bemerkt und kehrte zurück, um zu
sehen, was hier zu thun sei. Ein zweites, ein drittes wagten sich ebenfalls
wieder heran. Sie gelangten endlich soweit, daß sie in der hohlen Hand Wasser
herbeitrugen, und als sie die Regungslose damit eine Weile eifrig beträufelt
hatten, öffnete Florida müden Blickes die Augen.

Es verstrich eine gute Weile, ehe sie begriff, was mit ihr vorgegangen
war. Wie in einer Nebelumhüllung, nichts deutlich sehend, saß sie, halb nur
erst vom Boden aufgerichtet, im Grase da. In der einen Hand hielt sie das
Gebäck, das sie nicht zum Munde zu führen vermocht hatte, in der andern das
Fläschchen, das zu öffnen ihr nicht gelungen war. Die Kinder umstanden sie mit
großen Augen, die Welle rauschte ans Ufer, von fern klang das Geräusch der
Stadt, in größerer Nähe das Klappern der Wassermühlen.

Endlich wurde ihr aus den begehrlichen Blicken der Kinder klar, daß sie auf
etwas warteten. Florida reichte ihnen das Gebäck hin, und sie machten sich
damit vergnüglich aus dem Staube.

Mechanisch holte Florida. fast ohne zu wissen, was sie that, den Rest des
Mundvorrath, den sie der Fürsorge der Friaulerin verdankte, ans der Tasche.
Woher nur diese grenzenlose Mattigkeit? redete sie vor sich hin, habe ich nur
geträumt, daß ich in den See sprang, und daß er mich widerwillig ans Ufer
warf? Was in aller Welt ist mit mir vorgegangen?

Während sie so im Grase saß und gedankenlos Eufemias Proviant ver¬
zehrte, kehrte ihr Bewußtsein mehr und mehr zurück, mit ihm zugleich ein Teil
ihrer Kräfte.

Die körperliche Fähigkeit, aus diesem Leben zu scheiden, war jetzt zu ihrer
Verfügung.

Florida erhob sich, mühsam zwar, doch sie stand wieder auf ihren Füßen,
sie war Herrin ihres Willens.

Was soll nun werden? fragte sie sich, aber ihr Ton war nicht der vorige.
Sie blickte sich nach den in der Ferne wieder wohlgemut am Ufer spielenden
Kindern um, und je länger sie ihnen zuschaute, desto mehr fühlte sie, daß ihre
grenzenlose Mutlosigkeit sich in Scham über ihr Unterliegen, über ihr Fliehen
vor dem Kampfe umstimmte. Es war nicht die Schönheit des Daseins, ans


Um Porto.

Simia nicht mehr mächtig, ach, daß es selbst zum Sterben noch so vieler Kräfte
braucht! — Mechanisch griff sie in die Tasche; wieder hatte Eufemia sich's wie
allmorgentlich nicht nehmen lassen, die Tasche mit Wanderproviant zu füllen,
aber es fehlte der im Umfinken begriffenen schon die Kraft, den Bissen, den
ihre Hand mühsam hervorzog, zum Munde zu sichren. Ohnmächtig schlössen
sich ihre Augen. Sie sank in das Gras des Ufers nieder.

In einiger Entfernung hatten Kinder nach bunten Ufersteinchcn gesucht.
Sie kamen furchtsam näher, sahen die schöne junge Dame wie leblos daliegen,
erschraken und stoben auseinander. Ein kleines Mädchen hatte indessen den
guten Bissen in der Hand der Bewußtlosen bemerkt und kehrte zurück, um zu
sehen, was hier zu thun sei. Ein zweites, ein drittes wagten sich ebenfalls
wieder heran. Sie gelangten endlich soweit, daß sie in der hohlen Hand Wasser
herbeitrugen, und als sie die Regungslose damit eine Weile eifrig beträufelt
hatten, öffnete Florida müden Blickes die Augen.

Es verstrich eine gute Weile, ehe sie begriff, was mit ihr vorgegangen
war. Wie in einer Nebelumhüllung, nichts deutlich sehend, saß sie, halb nur
erst vom Boden aufgerichtet, im Grase da. In der einen Hand hielt sie das
Gebäck, das sie nicht zum Munde zu führen vermocht hatte, in der andern das
Fläschchen, das zu öffnen ihr nicht gelungen war. Die Kinder umstanden sie mit
großen Augen, die Welle rauschte ans Ufer, von fern klang das Geräusch der
Stadt, in größerer Nähe das Klappern der Wassermühlen.

Endlich wurde ihr aus den begehrlichen Blicken der Kinder klar, daß sie auf
etwas warteten. Florida reichte ihnen das Gebäck hin, und sie machten sich
damit vergnüglich aus dem Staube.

Mechanisch holte Florida. fast ohne zu wissen, was sie that, den Rest des
Mundvorrath, den sie der Fürsorge der Friaulerin verdankte, ans der Tasche.
Woher nur diese grenzenlose Mattigkeit? redete sie vor sich hin, habe ich nur
geträumt, daß ich in den See sprang, und daß er mich widerwillig ans Ufer
warf? Was in aller Welt ist mit mir vorgegangen?

Während sie so im Grase saß und gedankenlos Eufemias Proviant ver¬
zehrte, kehrte ihr Bewußtsein mehr und mehr zurück, mit ihm zugleich ein Teil
ihrer Kräfte.

Die körperliche Fähigkeit, aus diesem Leben zu scheiden, war jetzt zu ihrer
Verfügung.

Florida erhob sich, mühsam zwar, doch sie stand wieder auf ihren Füßen,
sie war Herrin ihres Willens.

Was soll nun werden? fragte sie sich, aber ihr Ton war nicht der vorige.
Sie blickte sich nach den in der Ferne wieder wohlgemut am Ufer spielenden
Kindern um, und je länger sie ihnen zuschaute, desto mehr fühlte sie, daß ihre
grenzenlose Mutlosigkeit sich in Scham über ihr Unterliegen, über ihr Fliehen
vor dem Kampfe umstimmte. Es war nicht die Schönheit des Daseins, ans


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[0435] Um Porto. Simia nicht mehr mächtig, ach, daß es selbst zum Sterben noch so vieler Kräfte braucht! — Mechanisch griff sie in die Tasche; wieder hatte Eufemia sich's wie allmorgentlich nicht nehmen lassen, die Tasche mit Wanderproviant zu füllen, aber es fehlte der im Umfinken begriffenen schon die Kraft, den Bissen, den ihre Hand mühsam hervorzog, zum Munde zu sichren. Ohnmächtig schlössen sich ihre Augen. Sie sank in das Gras des Ufers nieder. In einiger Entfernung hatten Kinder nach bunten Ufersteinchcn gesucht. Sie kamen furchtsam näher, sahen die schöne junge Dame wie leblos daliegen, erschraken und stoben auseinander. Ein kleines Mädchen hatte indessen den guten Bissen in der Hand der Bewußtlosen bemerkt und kehrte zurück, um zu sehen, was hier zu thun sei. Ein zweites, ein drittes wagten sich ebenfalls wieder heran. Sie gelangten endlich soweit, daß sie in der hohlen Hand Wasser herbeitrugen, und als sie die Regungslose damit eine Weile eifrig beträufelt hatten, öffnete Florida müden Blickes die Augen. Es verstrich eine gute Weile, ehe sie begriff, was mit ihr vorgegangen war. Wie in einer Nebelumhüllung, nichts deutlich sehend, saß sie, halb nur erst vom Boden aufgerichtet, im Grase da. In der einen Hand hielt sie das Gebäck, das sie nicht zum Munde zu führen vermocht hatte, in der andern das Fläschchen, das zu öffnen ihr nicht gelungen war. Die Kinder umstanden sie mit großen Augen, die Welle rauschte ans Ufer, von fern klang das Geräusch der Stadt, in größerer Nähe das Klappern der Wassermühlen. Endlich wurde ihr aus den begehrlichen Blicken der Kinder klar, daß sie auf etwas warteten. Florida reichte ihnen das Gebäck hin, und sie machten sich damit vergnüglich aus dem Staube. Mechanisch holte Florida. fast ohne zu wissen, was sie that, den Rest des Mundvorrath, den sie der Fürsorge der Friaulerin verdankte, ans der Tasche. Woher nur diese grenzenlose Mattigkeit? redete sie vor sich hin, habe ich nur geträumt, daß ich in den See sprang, und daß er mich widerwillig ans Ufer warf? Was in aller Welt ist mit mir vorgegangen? Während sie so im Grase saß und gedankenlos Eufemias Proviant ver¬ zehrte, kehrte ihr Bewußtsein mehr und mehr zurück, mit ihm zugleich ein Teil ihrer Kräfte. Die körperliche Fähigkeit, aus diesem Leben zu scheiden, war jetzt zu ihrer Verfügung. Florida erhob sich, mühsam zwar, doch sie stand wieder auf ihren Füßen, sie war Herrin ihres Willens. Was soll nun werden? fragte sie sich, aber ihr Ton war nicht der vorige. Sie blickte sich nach den in der Ferne wieder wohlgemut am Ufer spielenden Kindern um, und je länger sie ihnen zuschaute, desto mehr fühlte sie, daß ihre grenzenlose Mutlosigkeit sich in Scham über ihr Unterliegen, über ihr Fliehen vor dem Kampfe umstimmte. Es war nicht die Schönheit des Daseins, ans

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/435>, abgerufen am 25.08.2024.