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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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"Sie wollen erfahren, schreibt er im Juli 1882 an die Frau seines Freundes
Polonsti, wer mir hier Gesellschaft leistet. Wohlan: Madame Viardot und
ihr Gemahl, ihre Tochter Claudie mit ihrem Gatten Chamcrot und zwei
Töchterchen von sieben und drei Jahren, ihre zweite Tochter Marianne mit
ihrem Gatten Duvernois und einem drei Monate alten Töchterchen; endlich
der Vionilist Paul Viardot, Sohn der Frau Viardot." Von schweren Leiden
heimgesucht, fand der Dichter in deu letzten Lebensjahren einen Trost in der
Hingebung und Liebe, welche er in der Mitte dieser liebenswürdigen, ihm nahe¬
stehenden Menschen erfuhr.

Dieses behagliche Familienglück sollte indessen nicht ohne ernsthafte Trübung
bleiben. Noch im letzten Lebensjahr -- 1882 -- brach eine Katastrophe über
Turgenjew herein, die ihm arge Verlegenheiten und schwere Beunruhigungen
schuf. Im Anfang der vierziger Jahre war Turgenjew, damals ein junger
Student, zu einer jungen Moskaner Bürgerstochter, Awdotja Jermvlajewna
Jwanow.i, in intime Beziehungen getreten. Awdotja gebar im Mai 1842 eine
Tochter, die Turgenjew als die seinige anerkannte und später auf seine Kosten
in Paris erziehen ließ. Er gab der kleinen Pelagia eine treffliche Ausbildung
und wohnte auch eine Zeit lang in Paris mit ihr zusammen. Im Jahre 1863
verheiratete sich Pelagia mit einem Mr. Gaston Brnyöre. Die Ehe war un¬
glücklich, wie es scheint, durch die Schuld des Gatten. Turgenjew mußte be¬
ständig mit helfender Hand eingreifen, um die Not von dem jungen Paare ab¬
zuhalten. Im Jahre 1871 bittet ihn Pelagia um 40000 Franken, "wenn sie
nicht samt ihrem Gatten untergehen soll." Turgenjew befriedigt ihr Verlangen;
er verkauft sogar im Laufe der nächsten Jahre seine Gemälde, darunter einen
vortrefflichen Theodore Rousseau im Werte von 25000 Franken, um die be¬
ständigen Differenzen im Hause Bruyere zu beseitigen. Aber vergeblich -- nach
siebzehnjähriger Ehe ist die Scheidung notwendig geworden. Pelagia flüchtet
mit ihren beiden Kindern aus dem Hanse des Gatten, und Turgenjew muß sie
verbergen, um sie vor Bruyercs Brutalität zu schützen. "Und die Not fängt
erst an, schreibt der gequälte kranke Dichter an Frau Polouskaja, die Kon¬
sultation der Advokaten n. s. w. Der Prozeß kann sich ein Jahr und länger
hinziehen, meine Tochter muß sich mit ihren Kindern versteckt halten, vielleicht
gar für immer aus Frankreich fliehen. Alles, was sie besessen hat, ist für
immer verloren. Mir ist, als ob mich ein Schwungrad ergriffen hätte und
mit Gewalt in die Maschine hineinziehen wollte. Die häßliche Zlffäre ist mir
umso peinlicher, als ich, wie Sie wissen, niemals eine besonders tiefe Zu¬
neigung zu meiner Tochter empfunden habe und alles, was ich für sie that
und noch thun werde, lediglich aus Pflichtgefühl geschieht." Nähere Aufklärung
über die Angelegenheit geben die Briefe nicht; wie eine unheimliche, düstre
Wolke schwebt sie über dem letzten Lebensjahre des Dichters, den neben allen
Qualen körperlichen Leidens nun mich die schwere Last häuslicher Sorgen drückte.


„Sie wollen erfahren, schreibt er im Juli 1882 an die Frau seines Freundes
Polonsti, wer mir hier Gesellschaft leistet. Wohlan: Madame Viardot und
ihr Gemahl, ihre Tochter Claudie mit ihrem Gatten Chamcrot und zwei
Töchterchen von sieben und drei Jahren, ihre zweite Tochter Marianne mit
ihrem Gatten Duvernois und einem drei Monate alten Töchterchen; endlich
der Vionilist Paul Viardot, Sohn der Frau Viardot." Von schweren Leiden
heimgesucht, fand der Dichter in deu letzten Lebensjahren einen Trost in der
Hingebung und Liebe, welche er in der Mitte dieser liebenswürdigen, ihm nahe¬
stehenden Menschen erfuhr.

Dieses behagliche Familienglück sollte indessen nicht ohne ernsthafte Trübung
bleiben. Noch im letzten Lebensjahr — 1882 — brach eine Katastrophe über
Turgenjew herein, die ihm arge Verlegenheiten und schwere Beunruhigungen
schuf. Im Anfang der vierziger Jahre war Turgenjew, damals ein junger
Student, zu einer jungen Moskaner Bürgerstochter, Awdotja Jermvlajewna
Jwanow.i, in intime Beziehungen getreten. Awdotja gebar im Mai 1842 eine
Tochter, die Turgenjew als die seinige anerkannte und später auf seine Kosten
in Paris erziehen ließ. Er gab der kleinen Pelagia eine treffliche Ausbildung
und wohnte auch eine Zeit lang in Paris mit ihr zusammen. Im Jahre 1863
verheiratete sich Pelagia mit einem Mr. Gaston Brnyöre. Die Ehe war un¬
glücklich, wie es scheint, durch die Schuld des Gatten. Turgenjew mußte be¬
ständig mit helfender Hand eingreifen, um die Not von dem jungen Paare ab¬
zuhalten. Im Jahre 1871 bittet ihn Pelagia um 40000 Franken, „wenn sie
nicht samt ihrem Gatten untergehen soll." Turgenjew befriedigt ihr Verlangen;
er verkauft sogar im Laufe der nächsten Jahre seine Gemälde, darunter einen
vortrefflichen Theodore Rousseau im Werte von 25000 Franken, um die be¬
ständigen Differenzen im Hause Bruyere zu beseitigen. Aber vergeblich — nach
siebzehnjähriger Ehe ist die Scheidung notwendig geworden. Pelagia flüchtet
mit ihren beiden Kindern aus dem Hanse des Gatten, und Turgenjew muß sie
verbergen, um sie vor Bruyercs Brutalität zu schützen. „Und die Not fängt
erst an, schreibt der gequälte kranke Dichter an Frau Polouskaja, die Kon¬
sultation der Advokaten n. s. w. Der Prozeß kann sich ein Jahr und länger
hinziehen, meine Tochter muß sich mit ihren Kindern versteckt halten, vielleicht
gar für immer aus Frankreich fliehen. Alles, was sie besessen hat, ist für
immer verloren. Mir ist, als ob mich ein Schwungrad ergriffen hätte und
mit Gewalt in die Maschine hineinziehen wollte. Die häßliche Zlffäre ist mir
umso peinlicher, als ich, wie Sie wissen, niemals eine besonders tiefe Zu¬
neigung zu meiner Tochter empfunden habe und alles, was ich für sie that
und noch thun werde, lediglich aus Pflichtgefühl geschieht." Nähere Aufklärung
über die Angelegenheit geben die Briefe nicht; wie eine unheimliche, düstre
Wolke schwebt sie über dem letzten Lebensjahre des Dichters, den neben allen
Qualen körperlichen Leidens nun mich die schwere Last häuslicher Sorgen drückte.


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[0356] „Sie wollen erfahren, schreibt er im Juli 1882 an die Frau seines Freundes Polonsti, wer mir hier Gesellschaft leistet. Wohlan: Madame Viardot und ihr Gemahl, ihre Tochter Claudie mit ihrem Gatten Chamcrot und zwei Töchterchen von sieben und drei Jahren, ihre zweite Tochter Marianne mit ihrem Gatten Duvernois und einem drei Monate alten Töchterchen; endlich der Vionilist Paul Viardot, Sohn der Frau Viardot." Von schweren Leiden heimgesucht, fand der Dichter in deu letzten Lebensjahren einen Trost in der Hingebung und Liebe, welche er in der Mitte dieser liebenswürdigen, ihm nahe¬ stehenden Menschen erfuhr. Dieses behagliche Familienglück sollte indessen nicht ohne ernsthafte Trübung bleiben. Noch im letzten Lebensjahr — 1882 — brach eine Katastrophe über Turgenjew herein, die ihm arge Verlegenheiten und schwere Beunruhigungen schuf. Im Anfang der vierziger Jahre war Turgenjew, damals ein junger Student, zu einer jungen Moskaner Bürgerstochter, Awdotja Jermvlajewna Jwanow.i, in intime Beziehungen getreten. Awdotja gebar im Mai 1842 eine Tochter, die Turgenjew als die seinige anerkannte und später auf seine Kosten in Paris erziehen ließ. Er gab der kleinen Pelagia eine treffliche Ausbildung und wohnte auch eine Zeit lang in Paris mit ihr zusammen. Im Jahre 1863 verheiratete sich Pelagia mit einem Mr. Gaston Brnyöre. Die Ehe war un¬ glücklich, wie es scheint, durch die Schuld des Gatten. Turgenjew mußte be¬ ständig mit helfender Hand eingreifen, um die Not von dem jungen Paare ab¬ zuhalten. Im Jahre 1871 bittet ihn Pelagia um 40000 Franken, „wenn sie nicht samt ihrem Gatten untergehen soll." Turgenjew befriedigt ihr Verlangen; er verkauft sogar im Laufe der nächsten Jahre seine Gemälde, darunter einen vortrefflichen Theodore Rousseau im Werte von 25000 Franken, um die be¬ ständigen Differenzen im Hause Bruyere zu beseitigen. Aber vergeblich — nach siebzehnjähriger Ehe ist die Scheidung notwendig geworden. Pelagia flüchtet mit ihren beiden Kindern aus dem Hanse des Gatten, und Turgenjew muß sie verbergen, um sie vor Bruyercs Brutalität zu schützen. „Und die Not fängt erst an, schreibt der gequälte kranke Dichter an Frau Polouskaja, die Kon¬ sultation der Advokaten n. s. w. Der Prozeß kann sich ein Jahr und länger hinziehen, meine Tochter muß sich mit ihren Kindern versteckt halten, vielleicht gar für immer aus Frankreich fliehen. Alles, was sie besessen hat, ist für immer verloren. Mir ist, als ob mich ein Schwungrad ergriffen hätte und mit Gewalt in die Maschine hineinziehen wollte. Die häßliche Zlffäre ist mir umso peinlicher, als ich, wie Sie wissen, niemals eine besonders tiefe Zu¬ neigung zu meiner Tochter empfunden habe und alles, was ich für sie that und noch thun werde, lediglich aus Pflichtgefühl geschieht." Nähere Aufklärung über die Angelegenheit geben die Briefe nicht; wie eine unheimliche, düstre Wolke schwebt sie über dem letzten Lebensjahre des Dichters, den neben allen Qualen körperlichen Leidens nun mich die schwere Last häuslicher Sorgen drückte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/356>, abgerufen am 22.07.2024.