Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

Zweifellos war es mehr der moralische Druck als der materielle, den Tur¬
genjew bei diesen ihm durch seinen Schwiegersohn Bruyere bereiteten Ungelegen-
heiten empfand. Von Haus aus reich und unabhängig, hat er die banale Sorge
ums tägliche Brot niemals ernsthaft kennen gelernt -- abgesehen von ein paar
prekären Tagen in der Jugendzeit, wenn die launenhafte Mutter mit den Rubeln
nicht herausrücken wollte. Turgenjew war, wenn auch kein Millionär, so doch
ohne Zweifel reich. Sein im Kreise Mzensk, Gouvernement Orel, gelegenes
Stammgut Spaßkoje umfaßte etwa 1300 Desjcitinen (6000 preußische Morgen).
Er schätzte es selbst im Jahre 1876 auf mehr als 150 000 Rubel. In der¬
selben Gegend besaß er auch noch einige kleinere Güter. Von Zeitschriften und
Verlegern bezog Turgenjew Honorare, wie sie selten ein Schriftsteller erhalten
hat. A. F. Marx, Herausgeber der Zeitung Moa, bietet ihm 1882 für den
ersten Abdruck eiuer neuen Novelle den enormen Preis von 2000 Rubel für
den Druckbogen. In ähnlichem Verhältnis honorirte ihn der Mjsswilc -levrox^,
der in den letzten Jahren die meisten Dichtungen Turgenjews zuerst brachte.
Die Stereotypausgabe seiner "Skizzen ans dem Tagebuch eines Jägers" trug
ihm jährlich 1000 Rudel ein. Die in den ersten Anflogen bei Salajew in
Moskau erscheinende Gesamtausgabe seiner Schriften warf ein Einkommen von
etwa 6000 Rubeln jährlich ab. Im Jahre 1882, wenige Wochen vor seinem
Tode, verkaufte Turgenjew das ausschließliche Publikativnsrecht seiner Werke in
Bausch und Bogen an die Petersburger Firma I. I. Glcisunow für die Summe
von 80 000 Nudeln. Große Schätze hat aber Turgenjew trotz dieser bedeutenden
Einkünfte niemals gesammelt. Er lebte, ohne Verschwendung, mit allem Komfort,
that ein Übriges für die Kunst und hatte stets eine offene Börse für Hilfs¬
bedürftige. Man erzählte sich viel von seiner Gemäldegalerie. Eine solche hat
er jedoch nie besessen, nur etliche wertvolle Stücke erwarb er nach und nach,
um sie in einem kritischen Moment mit einem Verlust von mehreren tausend
Franken wieder zu veräußern. Die Pariser Auktionssalons, in denen man ihn
allgemein als den ZranÄ (Zog-o russs kannte, hat er mehr als Liebhaber und
Kenner besucht.

War Turgenjews Vermögenslage nach allem Gesagten eine günstige, so hatte
er, namentlich in den beiden letzten Jahrzehnten seines Lebens, umsomehr mit
körperlichen Leiden zu kämpfen. Die russischen Journale haben bei Besprechung
der Briefe tadelnd darauf hingewiesen, daß dieselben sich wie eine Serie von
Krankheitsbulletins lesen. In der That tritt das medizinisch-pathologische
Element, namentlich im zweiten Teile der Briefe, sehr stark hervor; man könnte
aus den Mitteilungen, die der Dichter hier beständig über seinen Körperzustand
macht, eine ausführliche Krankengeschichte Turgenjews schreiben. Die aus dem
letzten Lebensjahre des Dichters stammenden zwölf Berichte an den Petersburger
Arzt Bertenson geben eine genaue Schilderung der Krankheitskomplikation, welche
schließlich das Ende des Dichters herbeiführte. Auch die fast zweihundert


Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

Zweifellos war es mehr der moralische Druck als der materielle, den Tur¬
genjew bei diesen ihm durch seinen Schwiegersohn Bruyere bereiteten Ungelegen-
heiten empfand. Von Haus aus reich und unabhängig, hat er die banale Sorge
ums tägliche Brot niemals ernsthaft kennen gelernt — abgesehen von ein paar
prekären Tagen in der Jugendzeit, wenn die launenhafte Mutter mit den Rubeln
nicht herausrücken wollte. Turgenjew war, wenn auch kein Millionär, so doch
ohne Zweifel reich. Sein im Kreise Mzensk, Gouvernement Orel, gelegenes
Stammgut Spaßkoje umfaßte etwa 1300 Desjcitinen (6000 preußische Morgen).
Er schätzte es selbst im Jahre 1876 auf mehr als 150 000 Rubel. In der¬
selben Gegend besaß er auch noch einige kleinere Güter. Von Zeitschriften und
Verlegern bezog Turgenjew Honorare, wie sie selten ein Schriftsteller erhalten
hat. A. F. Marx, Herausgeber der Zeitung Moa, bietet ihm 1882 für den
ersten Abdruck eiuer neuen Novelle den enormen Preis von 2000 Rubel für
den Druckbogen. In ähnlichem Verhältnis honorirte ihn der Mjsswilc -levrox^,
der in den letzten Jahren die meisten Dichtungen Turgenjews zuerst brachte.
Die Stereotypausgabe seiner „Skizzen ans dem Tagebuch eines Jägers" trug
ihm jährlich 1000 Rudel ein. Die in den ersten Anflogen bei Salajew in
Moskau erscheinende Gesamtausgabe seiner Schriften warf ein Einkommen von
etwa 6000 Rubeln jährlich ab. Im Jahre 1882, wenige Wochen vor seinem
Tode, verkaufte Turgenjew das ausschließliche Publikativnsrecht seiner Werke in
Bausch und Bogen an die Petersburger Firma I. I. Glcisunow für die Summe
von 80 000 Nudeln. Große Schätze hat aber Turgenjew trotz dieser bedeutenden
Einkünfte niemals gesammelt. Er lebte, ohne Verschwendung, mit allem Komfort,
that ein Übriges für die Kunst und hatte stets eine offene Börse für Hilfs¬
bedürftige. Man erzählte sich viel von seiner Gemäldegalerie. Eine solche hat
er jedoch nie besessen, nur etliche wertvolle Stücke erwarb er nach und nach,
um sie in einem kritischen Moment mit einem Verlust von mehreren tausend
Franken wieder zu veräußern. Die Pariser Auktionssalons, in denen man ihn
allgemein als den ZranÄ (Zog-o russs kannte, hat er mehr als Liebhaber und
Kenner besucht.

War Turgenjews Vermögenslage nach allem Gesagten eine günstige, so hatte
er, namentlich in den beiden letzten Jahrzehnten seines Lebens, umsomehr mit
körperlichen Leiden zu kämpfen. Die russischen Journale haben bei Besprechung
der Briefe tadelnd darauf hingewiesen, daß dieselben sich wie eine Serie von
Krankheitsbulletins lesen. In der That tritt das medizinisch-pathologische
Element, namentlich im zweiten Teile der Briefe, sehr stark hervor; man könnte
aus den Mitteilungen, die der Dichter hier beständig über seinen Körperzustand
macht, eine ausführliche Krankengeschichte Turgenjews schreiben. Die aus dem
letzten Lebensjahre des Dichters stammenden zwölf Berichte an den Petersburger
Arzt Bertenson geben eine genaue Schilderung der Krankheitskomplikation, welche
schließlich das Ende des Dichters herbeiführte. Auch die fast zweihundert


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0357" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195746"/>
            <fw type="header" place="top"> Iwan Turgenjew in seinen Briefen.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1222"> Zweifellos war es mehr der moralische Druck als der materielle, den Tur¬<lb/>
genjew bei diesen ihm durch seinen Schwiegersohn Bruyere bereiteten Ungelegen-<lb/>
heiten empfand. Von Haus aus reich und unabhängig, hat er die banale Sorge<lb/>
ums tägliche Brot niemals ernsthaft kennen gelernt &#x2014; abgesehen von ein paar<lb/>
prekären Tagen in der Jugendzeit, wenn die launenhafte Mutter mit den Rubeln<lb/>
nicht herausrücken wollte. Turgenjew war, wenn auch kein Millionär, so doch<lb/>
ohne Zweifel reich. Sein im Kreise Mzensk, Gouvernement Orel, gelegenes<lb/>
Stammgut Spaßkoje umfaßte etwa 1300 Desjcitinen (6000 preußische Morgen).<lb/>
Er schätzte es selbst im Jahre 1876 auf mehr als 150 000 Rubel. In der¬<lb/>
selben Gegend besaß er auch noch einige kleinere Güter. Von Zeitschriften und<lb/>
Verlegern bezog Turgenjew Honorare, wie sie selten ein Schriftsteller erhalten<lb/>
hat. A. F. Marx, Herausgeber der Zeitung Moa, bietet ihm 1882 für den<lb/>
ersten Abdruck eiuer neuen Novelle den enormen Preis von 2000 Rubel für<lb/>
den Druckbogen. In ähnlichem Verhältnis honorirte ihn der Mjsswilc -levrox^,<lb/>
der in den letzten Jahren die meisten Dichtungen Turgenjews zuerst brachte.<lb/>
Die Stereotypausgabe seiner &#x201E;Skizzen ans dem Tagebuch eines Jägers" trug<lb/>
ihm jährlich 1000 Rudel ein. Die in den ersten Anflogen bei Salajew in<lb/>
Moskau erscheinende Gesamtausgabe seiner Schriften warf ein Einkommen von<lb/>
etwa 6000 Rubeln jährlich ab. Im Jahre 1882, wenige Wochen vor seinem<lb/>
Tode, verkaufte Turgenjew das ausschließliche Publikativnsrecht seiner Werke in<lb/>
Bausch und Bogen an die Petersburger Firma I. I. Glcisunow für die Summe<lb/>
von 80 000 Nudeln. Große Schätze hat aber Turgenjew trotz dieser bedeutenden<lb/>
Einkünfte niemals gesammelt. Er lebte, ohne Verschwendung, mit allem Komfort,<lb/>
that ein Übriges für die Kunst und hatte stets eine offene Börse für Hilfs¬<lb/>
bedürftige. Man erzählte sich viel von seiner Gemäldegalerie. Eine solche hat<lb/>
er jedoch nie besessen, nur etliche wertvolle Stücke erwarb er nach und nach,<lb/>
um sie in einem kritischen Moment mit einem Verlust von mehreren tausend<lb/>
Franken wieder zu veräußern. Die Pariser Auktionssalons, in denen man ihn<lb/>
allgemein als den ZranÄ (Zog-o russs kannte, hat er mehr als Liebhaber und<lb/>
Kenner besucht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1223" next="#ID_1224"> War Turgenjews Vermögenslage nach allem Gesagten eine günstige, so hatte<lb/>
er, namentlich in den beiden letzten Jahrzehnten seines Lebens, umsomehr mit<lb/>
körperlichen Leiden zu kämpfen. Die russischen Journale haben bei Besprechung<lb/>
der Briefe tadelnd darauf hingewiesen, daß dieselben sich wie eine Serie von<lb/>
Krankheitsbulletins lesen. In der That tritt das medizinisch-pathologische<lb/>
Element, namentlich im zweiten Teile der Briefe, sehr stark hervor; man könnte<lb/>
aus den Mitteilungen, die der Dichter hier beständig über seinen Körperzustand<lb/>
macht, eine ausführliche Krankengeschichte Turgenjews schreiben. Die aus dem<lb/>
letzten Lebensjahre des Dichters stammenden zwölf Berichte an den Petersburger<lb/>
Arzt Bertenson geben eine genaue Schilderung der Krankheitskomplikation, welche<lb/>
schließlich das Ende des Dichters herbeiführte.  Auch die fast zweihundert</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0357] Iwan Turgenjew in seinen Briefen. Zweifellos war es mehr der moralische Druck als der materielle, den Tur¬ genjew bei diesen ihm durch seinen Schwiegersohn Bruyere bereiteten Ungelegen- heiten empfand. Von Haus aus reich und unabhängig, hat er die banale Sorge ums tägliche Brot niemals ernsthaft kennen gelernt — abgesehen von ein paar prekären Tagen in der Jugendzeit, wenn die launenhafte Mutter mit den Rubeln nicht herausrücken wollte. Turgenjew war, wenn auch kein Millionär, so doch ohne Zweifel reich. Sein im Kreise Mzensk, Gouvernement Orel, gelegenes Stammgut Spaßkoje umfaßte etwa 1300 Desjcitinen (6000 preußische Morgen). Er schätzte es selbst im Jahre 1876 auf mehr als 150 000 Rubel. In der¬ selben Gegend besaß er auch noch einige kleinere Güter. Von Zeitschriften und Verlegern bezog Turgenjew Honorare, wie sie selten ein Schriftsteller erhalten hat. A. F. Marx, Herausgeber der Zeitung Moa, bietet ihm 1882 für den ersten Abdruck eiuer neuen Novelle den enormen Preis von 2000 Rubel für den Druckbogen. In ähnlichem Verhältnis honorirte ihn der Mjsswilc -levrox^, der in den letzten Jahren die meisten Dichtungen Turgenjews zuerst brachte. Die Stereotypausgabe seiner „Skizzen ans dem Tagebuch eines Jägers" trug ihm jährlich 1000 Rudel ein. Die in den ersten Anflogen bei Salajew in Moskau erscheinende Gesamtausgabe seiner Schriften warf ein Einkommen von etwa 6000 Rubeln jährlich ab. Im Jahre 1882, wenige Wochen vor seinem Tode, verkaufte Turgenjew das ausschließliche Publikativnsrecht seiner Werke in Bausch und Bogen an die Petersburger Firma I. I. Glcisunow für die Summe von 80 000 Nudeln. Große Schätze hat aber Turgenjew trotz dieser bedeutenden Einkünfte niemals gesammelt. Er lebte, ohne Verschwendung, mit allem Komfort, that ein Übriges für die Kunst und hatte stets eine offene Börse für Hilfs¬ bedürftige. Man erzählte sich viel von seiner Gemäldegalerie. Eine solche hat er jedoch nie besessen, nur etliche wertvolle Stücke erwarb er nach und nach, um sie in einem kritischen Moment mit einem Verlust von mehreren tausend Franken wieder zu veräußern. Die Pariser Auktionssalons, in denen man ihn allgemein als den ZranÄ (Zog-o russs kannte, hat er mehr als Liebhaber und Kenner besucht. War Turgenjews Vermögenslage nach allem Gesagten eine günstige, so hatte er, namentlich in den beiden letzten Jahrzehnten seines Lebens, umsomehr mit körperlichen Leiden zu kämpfen. Die russischen Journale haben bei Besprechung der Briefe tadelnd darauf hingewiesen, daß dieselben sich wie eine Serie von Krankheitsbulletins lesen. In der That tritt das medizinisch-pathologische Element, namentlich im zweiten Teile der Briefe, sehr stark hervor; man könnte aus den Mitteilungen, die der Dichter hier beständig über seinen Körperzustand macht, eine ausführliche Krankengeschichte Turgenjews schreiben. Die aus dem letzten Lebensjahre des Dichters stammenden zwölf Berichte an den Petersburger Arzt Bertenson geben eine genaue Schilderung der Krankheitskomplikation, welche schließlich das Ende des Dichters herbeiführte. Auch die fast zweihundert

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/357
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/357>, abgerufen am 22.07.2024.