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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Lehrer überhaupt nichts geschieht, wenn sie keinen solchen Ruf vorzuweisen
haben, und so setzt man sich in diesem Falle einen in Szene, Von den wirk¬
lichen Berufungen aber weist unsre Schrift mich, daß sie ohne aktuelle Mitwirkung
eines einflußreichen Lehrers, Verwandten oder Freundes heutzutage garnicht
mehr möglich sind. Mächtige Männer -- wir brauchen sie Kennern des
Univcrsitätslebens nicht zu nennen -- haben jahrelang fast alle Professuren
Deutschlands besetzt, einflußreiche Väter haben ihre unbedeutenden Söhne in
die Fakultäten hineingeschmuggelt oder ihren Schwiegersöhnen zu vorteilhaften
Stellen verholfen, auch existiren Fakultäten, in denen immer ein guter Freund
den andern nach sich gezogen hat. "Unter dreißig Berufungen giebt es heute
kaum eine, die aus rein sachlichen Motiven und ohne persönliche Beziehungen
erfolgt," behauptet unsre Schrift, und wer wollte das Übertreibung nennen?

Wir pflichten dem Verfasser bei, wenn er zu dem Schlüsse gelaugt, das
heutige Berufungssystem habe sich überlebt und sei ehedem vielleicht vortrefflich
gewesen, jeick aber zu einer Gefahr geworden, und wir finden die Vorschläge,
die er zu einer Reform macht, mindestens diskutabel. Nur die Macht einer
vernünftigen Regierung wird den akademischen Unfug ausrotten können, der
die deutsche Solidität an unsern Hochschulen zu untergraben begonnen hat. Und
wie soll diese Macht verfahren? Unsre Schrift antwortet: "Der Ministerialrat, der
die Avancements und die Berufungen im Kultusministerium besorgt, soll mit
einem Referenten, den die Fakultät aus ihrem Schoße wählt, und mit zwei
andern Experten, deren einen der Minister aus einer praktischen Stellung und
deren andern die Fakultät aus einer verwandten Fakultät oder auch aus
Praktischer Stellung auswählt, zu einer Kommission zusammentreten, die sich
auf drei Vorzuschlagende einigt, welche dann der Fakultät zur Begutachtung
übergeben werden. Die letztere darf ohne zwingende Gründe von dieser Auswahl
nicht abgehen, anch nur unter sorgfältigster sachlicher Motivirung von der
Reihenfolge, welche die Kommission vorschlägt, abweichen. Die Regierung be¬
werkstelligt alsdann die Ernennung dessen, der ihr der beste zu sein scheint. In
der Kommission hat sie bei Stimmengleichheit die Entscheidung. Die Senate
sollen naturgemäß von deu Berufuugsangelegcuheiteu vollständig befreit werden.
Bei Avancements an der gleichen Hochschule kann der Minister sein Recht auf¬
geben und der Fakultät die Entscheidung über den Vorschlag überlassen. Liegt
aber der Verdacht nahe, daß ein Dozent vou der eignen Fakultät unterdrückt
werde, so soll der Minister eine andre Fakultät um ein Gutachten ersuchen oder
auch vom Dozenten selbst ein Memorandum einfordern, was ihm oft einen
klareren Einblick in die wirklichen Verhältnisse gewähren wird als das Gutachten
der Fakultät. Besonders soll der Minister in allen Fällen, wo ein bekannter
tüchtiger Gelehrter an der eignen Fakultät nicht vorwärts kommt, weil diese
es aus kleinlichen Gründen nicht zuläßt, sofort von einem andern Kollegium ein
Gutachten einziehen und darnach ohne Berücksichtigung der Fakultät Verfahren."


Lehrer überhaupt nichts geschieht, wenn sie keinen solchen Ruf vorzuweisen
haben, und so setzt man sich in diesem Falle einen in Szene, Von den wirk¬
lichen Berufungen aber weist unsre Schrift mich, daß sie ohne aktuelle Mitwirkung
eines einflußreichen Lehrers, Verwandten oder Freundes heutzutage garnicht
mehr möglich sind. Mächtige Männer — wir brauchen sie Kennern des
Univcrsitätslebens nicht zu nennen — haben jahrelang fast alle Professuren
Deutschlands besetzt, einflußreiche Väter haben ihre unbedeutenden Söhne in
die Fakultäten hineingeschmuggelt oder ihren Schwiegersöhnen zu vorteilhaften
Stellen verholfen, auch existiren Fakultäten, in denen immer ein guter Freund
den andern nach sich gezogen hat. „Unter dreißig Berufungen giebt es heute
kaum eine, die aus rein sachlichen Motiven und ohne persönliche Beziehungen
erfolgt," behauptet unsre Schrift, und wer wollte das Übertreibung nennen?

Wir pflichten dem Verfasser bei, wenn er zu dem Schlüsse gelaugt, das
heutige Berufungssystem habe sich überlebt und sei ehedem vielleicht vortrefflich
gewesen, jeick aber zu einer Gefahr geworden, und wir finden die Vorschläge,
die er zu einer Reform macht, mindestens diskutabel. Nur die Macht einer
vernünftigen Regierung wird den akademischen Unfug ausrotten können, der
die deutsche Solidität an unsern Hochschulen zu untergraben begonnen hat. Und
wie soll diese Macht verfahren? Unsre Schrift antwortet: „Der Ministerialrat, der
die Avancements und die Berufungen im Kultusministerium besorgt, soll mit
einem Referenten, den die Fakultät aus ihrem Schoße wählt, und mit zwei
andern Experten, deren einen der Minister aus einer praktischen Stellung und
deren andern die Fakultät aus einer verwandten Fakultät oder auch aus
Praktischer Stellung auswählt, zu einer Kommission zusammentreten, die sich
auf drei Vorzuschlagende einigt, welche dann der Fakultät zur Begutachtung
übergeben werden. Die letztere darf ohne zwingende Gründe von dieser Auswahl
nicht abgehen, anch nur unter sorgfältigster sachlicher Motivirung von der
Reihenfolge, welche die Kommission vorschlägt, abweichen. Die Regierung be¬
werkstelligt alsdann die Ernennung dessen, der ihr der beste zu sein scheint. In
der Kommission hat sie bei Stimmengleichheit die Entscheidung. Die Senate
sollen naturgemäß von deu Berufuugsangelegcuheiteu vollständig befreit werden.
Bei Avancements an der gleichen Hochschule kann der Minister sein Recht auf¬
geben und der Fakultät die Entscheidung über den Vorschlag überlassen. Liegt
aber der Verdacht nahe, daß ein Dozent vou der eignen Fakultät unterdrückt
werde, so soll der Minister eine andre Fakultät um ein Gutachten ersuchen oder
auch vom Dozenten selbst ein Memorandum einfordern, was ihm oft einen
klareren Einblick in die wirklichen Verhältnisse gewähren wird als das Gutachten
der Fakultät. Besonders soll der Minister in allen Fällen, wo ein bekannter
tüchtiger Gelehrter an der eignen Fakultät nicht vorwärts kommt, weil diese
es aus kleinlichen Gründen nicht zuläßt, sofort von einem andern Kollegium ein
Gutachten einziehen und darnach ohne Berücksichtigung der Fakultät Verfahren."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/322>, abgerufen am 22.07.2024.