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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Neue Erzählungen von 1i. E. Frcinzos.

kehre des Grafen mit jener Witwe entsprang ein Kind, ein zur herrlichsten
Jungfrau erwachsendes Mädchen Mitla, welches in der Verborgenheit, selbst
seiner Abkunft unbewußt, aber mit Unterstützung der alten Witwe erzogen wurde.

Jahre vergingen, fünfzehn oder mehr Jahre. Die beiden schönen Sün¬
derinnen wurden alt, wurden fromm, und auch der flotte Husaren-
offizier wurde ein alter, von der Gicht geplagter Invalide, der sich
in den schönen Winkel der Hmterbrtthl bei Wien auf ein kleines Gütchen zu¬
rückzog, um gähnend den Tod zu erwarten; von seinen Kindern hat er seit
vielen Jahren nichts mehr erfahren, mit der bösen Mutter seiner Tochter jeden
Verkehr abgebrochen. Die Barletta war schließlich in ein Kloster getreten,
um dort in Muße ihre Sünden zu bereuen, und ans dem Sterbebette hatte
sie dem Pater Arkadius das Geheimnis ihres Sohnes anvertraut und diesem
testamentarisch die Bitte vermacht -- Mönch zu werden. Desgleichen hatte
die andre frommgewordne Dame, die noch lebt, ihr Mädchen zur Nonne
bestimmt, gleichfalls unter dem Einflüsse des merkwürdigen Paters Arkadins,
eines Gemisches von Schlauheit und mönchischen Fanatismus. Aber ver¬
gebens wendet er alle Künste seiner Beredsamkeit und Diplomatie auf,
den jungen Stefan zum Klosterleben zu bekehren; Stefan bleibt Landwirt und
führt durch diese Weigerung die Grundidee des Buches ans: Keine Schuld
ist erblich, und keiner kann den andern erlösen. Und andrerseits wird das
Mädchen Mitla im engen Kloster so krank, daß sie notwendig aufs Land
geschickt werden muß, sich zu erholen. Nun grenzen aber die beiden Güter der
Barletta und jener Witwe unmittelbar an einander, sodaß diese die Besorgnis
hegt, die zwei jungen Leute, welche beide ihre wahre Herkunft nicht kennen,
könnten sich am Ende ineinander verlieben, jung, schön, feurig wie sie sind.
Aber der Pater Arkadins beruhigt sie trügerischerweise darüber, indem er vor¬
giebt, Stefan Barletta sei jetzt nicht auf seinem Gute und sei überhaupt ein
zu elender, verkommener Geselle, um gefährlich zu werden. Arkadius verfolgt
nämlich den Plan, die voraussichtliche Liebschaft der jungen Leute entstehen zu
lassen, und gedenkt noch zu rechter Zeit mit der Entdeckung vor Stefan treten
zu können, er liebe seine eigne Schwester; diese Mitteilung, hofft er, werde den
junge" Mann, wie er ihn kennt, so niederschmettern und ihn derart welt-
schmcrzlich stimmen, daß er ihn dann leicht in die Kutte werde stecken könne".
Doch bei diesei" teuflische" Plane hat der Pater die Rechnung ohne die Macht
der erwachte" Leidenschafte" gemacht. Stefan und Mitla liebe" sich so glühend,
daß sie alle Mittel, sie zu trennen, besiegen, und als sie durch den Pater über
ihre Verwandtschaft aufgeklärt werden -- ist es zu spät, sie habe" sich schon
ehelich verbunden. Mitla verfällt in eine schwere Krankheit, und der Arzt weiß
kein andres Mittel, sie zu retten, als das, den seelischen Schmerz zu heben,
der sie niedergeworfen hat. Dazu aber weiß Stefan Barletta keinen ander"
Weg. als so schnell als möglich nach Wien z" fahre", de" alte" Grase" Hallsee


Neue Erzählungen von 1i. E. Frcinzos.

kehre des Grafen mit jener Witwe entsprang ein Kind, ein zur herrlichsten
Jungfrau erwachsendes Mädchen Mitla, welches in der Verborgenheit, selbst
seiner Abkunft unbewußt, aber mit Unterstützung der alten Witwe erzogen wurde.

Jahre vergingen, fünfzehn oder mehr Jahre. Die beiden schönen Sün¬
derinnen wurden alt, wurden fromm, und auch der flotte Husaren-
offizier wurde ein alter, von der Gicht geplagter Invalide, der sich
in den schönen Winkel der Hmterbrtthl bei Wien auf ein kleines Gütchen zu¬
rückzog, um gähnend den Tod zu erwarten; von seinen Kindern hat er seit
vielen Jahren nichts mehr erfahren, mit der bösen Mutter seiner Tochter jeden
Verkehr abgebrochen. Die Barletta war schließlich in ein Kloster getreten,
um dort in Muße ihre Sünden zu bereuen, und ans dem Sterbebette hatte
sie dem Pater Arkadius das Geheimnis ihres Sohnes anvertraut und diesem
testamentarisch die Bitte vermacht — Mönch zu werden. Desgleichen hatte
die andre frommgewordne Dame, die noch lebt, ihr Mädchen zur Nonne
bestimmt, gleichfalls unter dem Einflüsse des merkwürdigen Paters Arkadins,
eines Gemisches von Schlauheit und mönchischen Fanatismus. Aber ver¬
gebens wendet er alle Künste seiner Beredsamkeit und Diplomatie auf,
den jungen Stefan zum Klosterleben zu bekehren; Stefan bleibt Landwirt und
führt durch diese Weigerung die Grundidee des Buches ans: Keine Schuld
ist erblich, und keiner kann den andern erlösen. Und andrerseits wird das
Mädchen Mitla im engen Kloster so krank, daß sie notwendig aufs Land
geschickt werden muß, sich zu erholen. Nun grenzen aber die beiden Güter der
Barletta und jener Witwe unmittelbar an einander, sodaß diese die Besorgnis
hegt, die zwei jungen Leute, welche beide ihre wahre Herkunft nicht kennen,
könnten sich am Ende ineinander verlieben, jung, schön, feurig wie sie sind.
Aber der Pater Arkadins beruhigt sie trügerischerweise darüber, indem er vor¬
giebt, Stefan Barletta sei jetzt nicht auf seinem Gute und sei überhaupt ein
zu elender, verkommener Geselle, um gefährlich zu werden. Arkadius verfolgt
nämlich den Plan, die voraussichtliche Liebschaft der jungen Leute entstehen zu
lassen, und gedenkt noch zu rechter Zeit mit der Entdeckung vor Stefan treten
zu können, er liebe seine eigne Schwester; diese Mitteilung, hofft er, werde den
junge» Mann, wie er ihn kennt, so niederschmettern und ihn derart welt-
schmcrzlich stimmen, daß er ihn dann leicht in die Kutte werde stecken könne».
Doch bei diesei» teuflische» Plane hat der Pater die Rechnung ohne die Macht
der erwachte» Leidenschafte» gemacht. Stefan und Mitla liebe» sich so glühend,
daß sie alle Mittel, sie zu trennen, besiegen, und als sie durch den Pater über
ihre Verwandtschaft aufgeklärt werden — ist es zu spät, sie habe» sich schon
ehelich verbunden. Mitla verfällt in eine schwere Krankheit, und der Arzt weiß
kein andres Mittel, sie zu retten, als das, den seelischen Schmerz zu heben,
der sie niedergeworfen hat. Dazu aber weiß Stefan Barletta keinen ander»
Weg. als so schnell als möglich nach Wien z» fahre», de» alte» Grase» Hallsee


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[0317] Neue Erzählungen von 1i. E. Frcinzos. kehre des Grafen mit jener Witwe entsprang ein Kind, ein zur herrlichsten Jungfrau erwachsendes Mädchen Mitla, welches in der Verborgenheit, selbst seiner Abkunft unbewußt, aber mit Unterstützung der alten Witwe erzogen wurde. Jahre vergingen, fünfzehn oder mehr Jahre. Die beiden schönen Sün¬ derinnen wurden alt, wurden fromm, und auch der flotte Husaren- offizier wurde ein alter, von der Gicht geplagter Invalide, der sich in den schönen Winkel der Hmterbrtthl bei Wien auf ein kleines Gütchen zu¬ rückzog, um gähnend den Tod zu erwarten; von seinen Kindern hat er seit vielen Jahren nichts mehr erfahren, mit der bösen Mutter seiner Tochter jeden Verkehr abgebrochen. Die Barletta war schließlich in ein Kloster getreten, um dort in Muße ihre Sünden zu bereuen, und ans dem Sterbebette hatte sie dem Pater Arkadius das Geheimnis ihres Sohnes anvertraut und diesem testamentarisch die Bitte vermacht — Mönch zu werden. Desgleichen hatte die andre frommgewordne Dame, die noch lebt, ihr Mädchen zur Nonne bestimmt, gleichfalls unter dem Einflüsse des merkwürdigen Paters Arkadins, eines Gemisches von Schlauheit und mönchischen Fanatismus. Aber ver¬ gebens wendet er alle Künste seiner Beredsamkeit und Diplomatie auf, den jungen Stefan zum Klosterleben zu bekehren; Stefan bleibt Landwirt und führt durch diese Weigerung die Grundidee des Buches ans: Keine Schuld ist erblich, und keiner kann den andern erlösen. Und andrerseits wird das Mädchen Mitla im engen Kloster so krank, daß sie notwendig aufs Land geschickt werden muß, sich zu erholen. Nun grenzen aber die beiden Güter der Barletta und jener Witwe unmittelbar an einander, sodaß diese die Besorgnis hegt, die zwei jungen Leute, welche beide ihre wahre Herkunft nicht kennen, könnten sich am Ende ineinander verlieben, jung, schön, feurig wie sie sind. Aber der Pater Arkadins beruhigt sie trügerischerweise darüber, indem er vor¬ giebt, Stefan Barletta sei jetzt nicht auf seinem Gute und sei überhaupt ein zu elender, verkommener Geselle, um gefährlich zu werden. Arkadius verfolgt nämlich den Plan, die voraussichtliche Liebschaft der jungen Leute entstehen zu lassen, und gedenkt noch zu rechter Zeit mit der Entdeckung vor Stefan treten zu können, er liebe seine eigne Schwester; diese Mitteilung, hofft er, werde den junge» Mann, wie er ihn kennt, so niederschmettern und ihn derart welt- schmcrzlich stimmen, daß er ihn dann leicht in die Kutte werde stecken könne». Doch bei diesei» teuflische» Plane hat der Pater die Rechnung ohne die Macht der erwachte» Leidenschafte» gemacht. Stefan und Mitla liebe» sich so glühend, daß sie alle Mittel, sie zu trennen, besiegen, und als sie durch den Pater über ihre Verwandtschaft aufgeklärt werden — ist es zu spät, sie habe» sich schon ehelich verbunden. Mitla verfällt in eine schwere Krankheit, und der Arzt weiß kein andres Mittel, sie zu retten, als das, den seelischen Schmerz zu heben, der sie niedergeworfen hat. Dazu aber weiß Stefan Barletta keinen ander» Weg. als so schnell als möglich nach Wien z» fahre», de» alte» Grase» Hallsee

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/317>, abgerufen am 22.07.2024.