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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Wie aber, "wenn die Natur nicht gewarnt hat"? wenn sich zwei junge, edle
Menschen in aller Unschuld kennen und lieben gelernt haben, ohne die mindeste
Ahnung ihrer geschwisterlichen Abkunft von einem gemeinsamen Vater zu haben,
wenn sie sich als Mann und Weib verbunden haben -- die Natur hat nicht
gewarnt! sie lieben sich leidenschaftlich! wie dann? Soll man sie über ihre
verwandtschaftlichen Beziehungen aufklären? ihren Bund trennen? vollends
dann, wenn beide aus Verzweiflung zu sterben drohen? So steht der Fall in
der neuesten Erfindung des galizischen Knlturschilderers, Er giebt eine doppelte
Antwort darauf. Theoretisch verneint er sie, aber sie thatsächlich durchzuführen
hat er doch nicht den Mut, und der Tod erlöst eins der Geschwister, sodaß
die ganze Frage dann von selbst wegfällt. Wozu der Lärm? fragt am Schlüsse
der enttäuschte Leser, und ist sich uur darüber klar, daß es dem Autor darum
zu thun gewesen ist, das Bekenntnis der Humanität ausi-mal mönnz auszusprechen.

Die Geschichte ist kurz die. Vor zwanzig und einigen Jahren war der
österreichische Husarenvffizier Egon Graf Hallsee mit seinem Regiment an der
rmnänisch-bukowiuaischen Grenze stationirt. Da er ein flotter junger Leutnant
war, nicht besser und nicht schlimmer als tausend andre seines Berufes, so fehlte
es ihm nicht an Glück bei Frauen, das er in der Langeweile des friedlichen
Lagerlebens auch gern versuchte. Zu der schönen und edeln Bojarin Sophie
von Barlettn trat er, trotz ihrer Tugend, bald in ein intimeres Verhältnis,
welches in ihrer unglücklichen Ehe sie uoch besonders leidenschaftlich ergriff.
Als die Folgen ihres ehebrecherischen Verkehrs sichtbar wurden, wollte der junge
Graf sie zur Trennung von ihrem rohen Gatten veranlassen oder ein Duell mit
diesem provoziren, bei dem einer von beiden hätte auf dem Platze bleiben müssen.
Der schurkische Gatte aber mied das eine wie das andre; das Duell mied er
aus Feigheit, in die Ehescheidung wollte er nicht wegen des Skandals in der
Gesellschaft willige"; seinem Rachedurst leistete er durch marterndes Benehmen
gegen seine schone, unglückliche Frau Genüge. Als der Knabe Stefan, der jenem
Liebesverkehre entsproß, in das schulfähige Alter kam, wurde er in eine rumä¬
nische Erziehungsanstalt gegeben, die aufs vorteilhafteste für ihn sorgte. Als
enthusiastischer Landwirt wuchs er heran.

Indes hatte sich der freundschaftliche Verkehr zwischen dein Grafen Hallsec
und der Sophie Barletta in sein Gegenteil verkehrt, sodaß selbst nach dem Tode
des Bojaren von einer nachträglichen Ehe der beiden nicht mehr die Rede sein
konnte. Und dies war so gekommen. Einer Nebenbuhlerin Sophiens, einer leicht¬
fertigen und räukevolleu, aber gleichfalls sehr schönen Witwe gelang es, den
Grafen Hallsce, kurz uach seinem Verkehre mit der ersteren, für kurze Zeit in
ihre Netze zu bringen. Das Verhältnis war durchaus kein gemütlich ernstes.
Aber mit der Freundschaft Egons und Sophiens war es für immer aus, denn
jene Witwe hatte vorher dem Bojaren Barletta den Liebeshandel seiner Fran
verraten und diese dadurch so unglücklich gemacht. Aber auch ans dem Ver-


Wie aber, „wenn die Natur nicht gewarnt hat"? wenn sich zwei junge, edle
Menschen in aller Unschuld kennen und lieben gelernt haben, ohne die mindeste
Ahnung ihrer geschwisterlichen Abkunft von einem gemeinsamen Vater zu haben,
wenn sie sich als Mann und Weib verbunden haben — die Natur hat nicht
gewarnt! sie lieben sich leidenschaftlich! wie dann? Soll man sie über ihre
verwandtschaftlichen Beziehungen aufklären? ihren Bund trennen? vollends
dann, wenn beide aus Verzweiflung zu sterben drohen? So steht der Fall in
der neuesten Erfindung des galizischen Knlturschilderers, Er giebt eine doppelte
Antwort darauf. Theoretisch verneint er sie, aber sie thatsächlich durchzuführen
hat er doch nicht den Mut, und der Tod erlöst eins der Geschwister, sodaß
die ganze Frage dann von selbst wegfällt. Wozu der Lärm? fragt am Schlüsse
der enttäuschte Leser, und ist sich uur darüber klar, daß es dem Autor darum
zu thun gewesen ist, das Bekenntnis der Humanität ausi-mal mönnz auszusprechen.

Die Geschichte ist kurz die. Vor zwanzig und einigen Jahren war der
österreichische Husarenvffizier Egon Graf Hallsee mit seinem Regiment an der
rmnänisch-bukowiuaischen Grenze stationirt. Da er ein flotter junger Leutnant
war, nicht besser und nicht schlimmer als tausend andre seines Berufes, so fehlte
es ihm nicht an Glück bei Frauen, das er in der Langeweile des friedlichen
Lagerlebens auch gern versuchte. Zu der schönen und edeln Bojarin Sophie
von Barlettn trat er, trotz ihrer Tugend, bald in ein intimeres Verhältnis,
welches in ihrer unglücklichen Ehe sie uoch besonders leidenschaftlich ergriff.
Als die Folgen ihres ehebrecherischen Verkehrs sichtbar wurden, wollte der junge
Graf sie zur Trennung von ihrem rohen Gatten veranlassen oder ein Duell mit
diesem provoziren, bei dem einer von beiden hätte auf dem Platze bleiben müssen.
Der schurkische Gatte aber mied das eine wie das andre; das Duell mied er
aus Feigheit, in die Ehescheidung wollte er nicht wegen des Skandals in der
Gesellschaft willige»; seinem Rachedurst leistete er durch marterndes Benehmen
gegen seine schone, unglückliche Frau Genüge. Als der Knabe Stefan, der jenem
Liebesverkehre entsproß, in das schulfähige Alter kam, wurde er in eine rumä¬
nische Erziehungsanstalt gegeben, die aufs vorteilhafteste für ihn sorgte. Als
enthusiastischer Landwirt wuchs er heran.

Indes hatte sich der freundschaftliche Verkehr zwischen dein Grafen Hallsec
und der Sophie Barletta in sein Gegenteil verkehrt, sodaß selbst nach dem Tode
des Bojaren von einer nachträglichen Ehe der beiden nicht mehr die Rede sein
konnte. Und dies war so gekommen. Einer Nebenbuhlerin Sophiens, einer leicht¬
fertigen und räukevolleu, aber gleichfalls sehr schönen Witwe gelang es, den
Grafen Hallsce, kurz uach seinem Verkehre mit der ersteren, für kurze Zeit in
ihre Netze zu bringen. Das Verhältnis war durchaus kein gemütlich ernstes.
Aber mit der Freundschaft Egons und Sophiens war es für immer aus, denn
jene Witwe hatte vorher dem Bojaren Barletta den Liebeshandel seiner Fran
verraten und diese dadurch so unglücklich gemacht. Aber auch ans dem Ver-


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[0316] Wie aber, „wenn die Natur nicht gewarnt hat"? wenn sich zwei junge, edle Menschen in aller Unschuld kennen und lieben gelernt haben, ohne die mindeste Ahnung ihrer geschwisterlichen Abkunft von einem gemeinsamen Vater zu haben, wenn sie sich als Mann und Weib verbunden haben — die Natur hat nicht gewarnt! sie lieben sich leidenschaftlich! wie dann? Soll man sie über ihre verwandtschaftlichen Beziehungen aufklären? ihren Bund trennen? vollends dann, wenn beide aus Verzweiflung zu sterben drohen? So steht der Fall in der neuesten Erfindung des galizischen Knlturschilderers, Er giebt eine doppelte Antwort darauf. Theoretisch verneint er sie, aber sie thatsächlich durchzuführen hat er doch nicht den Mut, und der Tod erlöst eins der Geschwister, sodaß die ganze Frage dann von selbst wegfällt. Wozu der Lärm? fragt am Schlüsse der enttäuschte Leser, und ist sich uur darüber klar, daß es dem Autor darum zu thun gewesen ist, das Bekenntnis der Humanität ausi-mal mönnz auszusprechen. Die Geschichte ist kurz die. Vor zwanzig und einigen Jahren war der österreichische Husarenvffizier Egon Graf Hallsee mit seinem Regiment an der rmnänisch-bukowiuaischen Grenze stationirt. Da er ein flotter junger Leutnant war, nicht besser und nicht schlimmer als tausend andre seines Berufes, so fehlte es ihm nicht an Glück bei Frauen, das er in der Langeweile des friedlichen Lagerlebens auch gern versuchte. Zu der schönen und edeln Bojarin Sophie von Barlettn trat er, trotz ihrer Tugend, bald in ein intimeres Verhältnis, welches in ihrer unglücklichen Ehe sie uoch besonders leidenschaftlich ergriff. Als die Folgen ihres ehebrecherischen Verkehrs sichtbar wurden, wollte der junge Graf sie zur Trennung von ihrem rohen Gatten veranlassen oder ein Duell mit diesem provoziren, bei dem einer von beiden hätte auf dem Platze bleiben müssen. Der schurkische Gatte aber mied das eine wie das andre; das Duell mied er aus Feigheit, in die Ehescheidung wollte er nicht wegen des Skandals in der Gesellschaft willige»; seinem Rachedurst leistete er durch marterndes Benehmen gegen seine schone, unglückliche Frau Genüge. Als der Knabe Stefan, der jenem Liebesverkehre entsproß, in das schulfähige Alter kam, wurde er in eine rumä¬ nische Erziehungsanstalt gegeben, die aufs vorteilhafteste für ihn sorgte. Als enthusiastischer Landwirt wuchs er heran. Indes hatte sich der freundschaftliche Verkehr zwischen dein Grafen Hallsec und der Sophie Barletta in sein Gegenteil verkehrt, sodaß selbst nach dem Tode des Bojaren von einer nachträglichen Ehe der beiden nicht mehr die Rede sein konnte. Und dies war so gekommen. Einer Nebenbuhlerin Sophiens, einer leicht¬ fertigen und räukevolleu, aber gleichfalls sehr schönen Witwe gelang es, den Grafen Hallsce, kurz uach seinem Verkehre mit der ersteren, für kurze Zeit in ihre Netze zu bringen. Das Verhältnis war durchaus kein gemütlich ernstes. Aber mit der Freundschaft Egons und Sophiens war es für immer aus, denn jene Witwe hatte vorher dem Bojaren Barletta den Liebeshandel seiner Fran verraten und diese dadurch so unglücklich gemacht. Aber auch ans dem Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/316>, abgerufen am 22.07.2024.