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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

mir vertretenen vorherrschenden Stimmung anzusehen wäre. Wenn also nicht
schnell noch ein Ausweg gefunden werden kann, wenn die Mehrheit der National¬
versammlung nicht noch dafür sich entscheidet, dem ersten ordentlichen Reichstage
eine Revision der Verfassung zu überlassen, fo bin ich mit meiner Thätigkeit
zu Ende.

Freilich kann ein solcher Antrag aus mehr als einem Gründe kaum noch
durchgehen, viel eher ist zu erwarten, daß die Entschlossenen zum Äußersten
greifen, die auf beiden Seiten des Rheins bereits begonnene Revolution fort¬
führen, also den Kampf gegen die widerstrebenden Regierungen, einen Kampf auf
Leben und Tod wagen werden. -- -- Wenn nicht Wunder geschehen, so wird
die deutsche Erde Schauplatz eines gräßlichen Bürgerkrieges. Und doch hätte
nicht viel Verstand und guter Wille dazu gehört, das Entsetzliche zu verhüten.
Herrliche Kräfte, welche für die Erhebung des Vaterlandes hätten verwendet
werden können, werden sich zum Ruin desselben bekämpfen; die besten Männer
werden nutzlos fallen, Ohnmacht unsers Volkes wird in jedem Falle das Er¬
gebnis der ungeheuersten Anstrengungen sein. Es ist möglich, daß ich zu trübe
sehe; wer aber mitten in der Bewegung steht und das Getriebe der Leiden¬
schaften so ansehen kann wie ich, ist außer stände, rosenfarbene Bilder sich vor
das Auge zu zaubern. Die Erfahrungen, welche ich in deu letzten Wochen
meines Hierseins eingesammelt habe, sind teuer bezahlt; aber ich möchte sie doch
um keinen Preis hingeben. Ich betrachte meine hiesige Thätigkeit als eine Vorbe¬
reitung für ele großen Kämpfe, welche in der Zukunft werden zu bestehen sein."

Die schmerzliche Resignation, die aus solchen Worten spricht, war nur zu
sehr gerechtfertigt. In jener Nachmittagssitznng des 17. Mai teilte das Mini¬
sterium Grävell sein Programm mit; es erklärte, daß es die Durchführung der
Reichsverfassung uicht für die Aufgabe der Zentralgewalt halte und den unge¬
setzlichen Bestrebungen nach diesem Ziele hin entgegentreten werde. Die Folge
war ein scharfes Mißtrauensvotum, welches nach dein Antrage Biedermanns mit
191 gegen 12 Stimmen Annahme fand. Umsonst hatte Wilhelm Jordan von
Berlin das Haus zur Maßhaltuug gemahnt, umsonst ihm sein berühmtes Wort
entgegengeworfen, die Versammlung zeige schon die takivs tüppooratikÄ, das Toten-
nntlitz. Noch in spätern Jahren stand N. die emphatische Szene mit lebendiger
Deutlichkeit vor der Seele. Da nnn das Ministerium Grävell dem Mißtrauens¬
votum keineswegs wich, so wurden an? 18. und 19. Mai, wie N. schreibt, "noch
einmal die besten Kräfte aufgeboten, um eine Änderung der Zentralgewalt herbei¬
zuführen, d. h. den Reichsverweser zu beseitigen." Nachdem der Antrag Zachariä
auf motivirte Tagesordnung gefallen war, entschied sich das Haus mit 126
gegen 116 Stimmen für den Antrag Welckers, eine Neichsstatthalterschaft einzu¬
setzen und jeden gewaltsamen Angriff auf die Reichsverfassung mit Gewalt zu
begegnen. Es war die offne Revolution, aber ihr erstes Opfer war das Par¬
lament selber.


Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

mir vertretenen vorherrschenden Stimmung anzusehen wäre. Wenn also nicht
schnell noch ein Ausweg gefunden werden kann, wenn die Mehrheit der National¬
versammlung nicht noch dafür sich entscheidet, dem ersten ordentlichen Reichstage
eine Revision der Verfassung zu überlassen, fo bin ich mit meiner Thätigkeit
zu Ende.

Freilich kann ein solcher Antrag aus mehr als einem Gründe kaum noch
durchgehen, viel eher ist zu erwarten, daß die Entschlossenen zum Äußersten
greifen, die auf beiden Seiten des Rheins bereits begonnene Revolution fort¬
führen, also den Kampf gegen die widerstrebenden Regierungen, einen Kampf auf
Leben und Tod wagen werden. — — Wenn nicht Wunder geschehen, so wird
die deutsche Erde Schauplatz eines gräßlichen Bürgerkrieges. Und doch hätte
nicht viel Verstand und guter Wille dazu gehört, das Entsetzliche zu verhüten.
Herrliche Kräfte, welche für die Erhebung des Vaterlandes hätten verwendet
werden können, werden sich zum Ruin desselben bekämpfen; die besten Männer
werden nutzlos fallen, Ohnmacht unsers Volkes wird in jedem Falle das Er¬
gebnis der ungeheuersten Anstrengungen sein. Es ist möglich, daß ich zu trübe
sehe; wer aber mitten in der Bewegung steht und das Getriebe der Leiden¬
schaften so ansehen kann wie ich, ist außer stände, rosenfarbene Bilder sich vor
das Auge zu zaubern. Die Erfahrungen, welche ich in deu letzten Wochen
meines Hierseins eingesammelt habe, sind teuer bezahlt; aber ich möchte sie doch
um keinen Preis hingeben. Ich betrachte meine hiesige Thätigkeit als eine Vorbe¬
reitung für ele großen Kämpfe, welche in der Zukunft werden zu bestehen sein."

Die schmerzliche Resignation, die aus solchen Worten spricht, war nur zu
sehr gerechtfertigt. In jener Nachmittagssitznng des 17. Mai teilte das Mini¬
sterium Grävell sein Programm mit; es erklärte, daß es die Durchführung der
Reichsverfassung uicht für die Aufgabe der Zentralgewalt halte und den unge¬
setzlichen Bestrebungen nach diesem Ziele hin entgegentreten werde. Die Folge
war ein scharfes Mißtrauensvotum, welches nach dein Antrage Biedermanns mit
191 gegen 12 Stimmen Annahme fand. Umsonst hatte Wilhelm Jordan von
Berlin das Haus zur Maßhaltuug gemahnt, umsonst ihm sein berühmtes Wort
entgegengeworfen, die Versammlung zeige schon die takivs tüppooratikÄ, das Toten-
nntlitz. Noch in spätern Jahren stand N. die emphatische Szene mit lebendiger
Deutlichkeit vor der Seele. Da nnn das Ministerium Grävell dem Mißtrauens¬
votum keineswegs wich, so wurden an? 18. und 19. Mai, wie N. schreibt, „noch
einmal die besten Kräfte aufgeboten, um eine Änderung der Zentralgewalt herbei¬
zuführen, d. h. den Reichsverweser zu beseitigen." Nachdem der Antrag Zachariä
auf motivirte Tagesordnung gefallen war, entschied sich das Haus mit 126
gegen 116 Stimmen für den Antrag Welckers, eine Neichsstatthalterschaft einzu¬
setzen und jeden gewaltsamen Angriff auf die Reichsverfassung mit Gewalt zu
begegnen. Es war die offne Revolution, aber ihr erstes Opfer war das Par¬
lament selber.


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[0307] Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments. mir vertretenen vorherrschenden Stimmung anzusehen wäre. Wenn also nicht schnell noch ein Ausweg gefunden werden kann, wenn die Mehrheit der National¬ versammlung nicht noch dafür sich entscheidet, dem ersten ordentlichen Reichstage eine Revision der Verfassung zu überlassen, fo bin ich mit meiner Thätigkeit zu Ende. Freilich kann ein solcher Antrag aus mehr als einem Gründe kaum noch durchgehen, viel eher ist zu erwarten, daß die Entschlossenen zum Äußersten greifen, die auf beiden Seiten des Rheins bereits begonnene Revolution fort¬ führen, also den Kampf gegen die widerstrebenden Regierungen, einen Kampf auf Leben und Tod wagen werden. — — Wenn nicht Wunder geschehen, so wird die deutsche Erde Schauplatz eines gräßlichen Bürgerkrieges. Und doch hätte nicht viel Verstand und guter Wille dazu gehört, das Entsetzliche zu verhüten. Herrliche Kräfte, welche für die Erhebung des Vaterlandes hätten verwendet werden können, werden sich zum Ruin desselben bekämpfen; die besten Männer werden nutzlos fallen, Ohnmacht unsers Volkes wird in jedem Falle das Er¬ gebnis der ungeheuersten Anstrengungen sein. Es ist möglich, daß ich zu trübe sehe; wer aber mitten in der Bewegung steht und das Getriebe der Leiden¬ schaften so ansehen kann wie ich, ist außer stände, rosenfarbene Bilder sich vor das Auge zu zaubern. Die Erfahrungen, welche ich in deu letzten Wochen meines Hierseins eingesammelt habe, sind teuer bezahlt; aber ich möchte sie doch um keinen Preis hingeben. Ich betrachte meine hiesige Thätigkeit als eine Vorbe¬ reitung für ele großen Kämpfe, welche in der Zukunft werden zu bestehen sein." Die schmerzliche Resignation, die aus solchen Worten spricht, war nur zu sehr gerechtfertigt. In jener Nachmittagssitznng des 17. Mai teilte das Mini¬ sterium Grävell sein Programm mit; es erklärte, daß es die Durchführung der Reichsverfassung uicht für die Aufgabe der Zentralgewalt halte und den unge¬ setzlichen Bestrebungen nach diesem Ziele hin entgegentreten werde. Die Folge war ein scharfes Mißtrauensvotum, welches nach dein Antrage Biedermanns mit 191 gegen 12 Stimmen Annahme fand. Umsonst hatte Wilhelm Jordan von Berlin das Haus zur Maßhaltuug gemahnt, umsonst ihm sein berühmtes Wort entgegengeworfen, die Versammlung zeige schon die takivs tüppooratikÄ, das Toten- nntlitz. Noch in spätern Jahren stand N. die emphatische Szene mit lebendiger Deutlichkeit vor der Seele. Da nnn das Ministerium Grävell dem Mißtrauens¬ votum keineswegs wich, so wurden an? 18. und 19. Mai, wie N. schreibt, „noch einmal die besten Kräfte aufgeboten, um eine Änderung der Zentralgewalt herbei¬ zuführen, d. h. den Reichsverweser zu beseitigen." Nachdem der Antrag Zachariä auf motivirte Tagesordnung gefallen war, entschied sich das Haus mit 126 gegen 116 Stimmen für den Antrag Welckers, eine Neichsstatthalterschaft einzu¬ setzen und jeden gewaltsamen Angriff auf die Reichsverfassung mit Gewalt zu begegnen. Es war die offne Revolution, aber ihr erstes Opfer war das Par¬ lament selber.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/307>, abgerufen am 22.07.2024.