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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

des Verhaltens der Zentralgewalt gegenüber der sächsischen und pfälzischen Er¬
hebung; schließlich wurde die Entscheidung auf die nächste Sitzung vertagt.

"Daß hier alles in unsäglicher Aufregung ist, schrieb N, an diesem Tage,
brauche ich nicht zu sagen. Und vorzugsweise durch die Nachrichten aus Sachsen.
Es gehen die schrecklichsten Gerüchte durch die Stadt, die hoffentlich nicht wahr
find. Man spricht von einem gräßlichen Kampfe, der noch immer in Dresden
fortdatiere; daß Schloß, das Theater follen in Flammen stehen, Hunderte von
Soldaten sollen gefallen sein."

Auch der 9. Mai brachte die Entscheidung noch nicht, vielmehr vertagte das
Haus die Beratung über den schon am 8. gestellten Antrag Simons und Vogts,
die Volkserhebungen in der bairischen Pfalz und in Sachsen zur Durchführung
der Reichsverfassung thatkräftig zu stützen und zu schützen, abermals um vier¬
undzwanzig Stunden, weil Gagern erklärte, erst den Bericht des Neichskvm-
missars (von Watzdorf) aus Sachsen und die Entschließung des Reichsverwesers
abwarten zu müssen, der sich selbst erst über das ihm vom Ministerium betreffs
der Bewegungen in Sachsen und der Pfalz vorgeschlagene Verhalten der Zentral-
gewalt entscheide" müsse und dasür sich Bedenkzeit ausgebeten habe. "Ich er¬
warte nun, äußerte sich N. nach der Sitzung, daß der Reichsverweser morgen
seine Wurde entweder niederlegt oder gegen die Bewegungen in Sachsen und
Rheinbniern sich ausspricht. Im ersteren Falle kann auch das jetzige Reichs¬
ministerium sich nicht mehr halten, was wieder deu Austritt vieler Mitglieder
der Nationalversammlung, das Übergewicht der entschlossenen Parteien, die Ein¬
setzung einer provisorischen Neichsregierung, den Beginn eines allgemeinen
Kampfes zur Folge haben kann; im andern Falle werden die Entschlossenen
alles aufbieten, das Ministerium doch zu stürzen oder, wenn dies nicht gelingt,
in andrer Weise den Durchbruch herbeizuführen suchen. Was mir in beiden
Füllen zu thun übrig bleibt, ist leicht zu sehen. Wer einem Wahlbezirke von
70000 Menschen verantwortlich ist, der kann nicht gewissenhaft genug die
Schritte überlegen, welche er thut, und da ich nun obendrein mir sagen muß,
daß unter jenen 70 000 sicher nicht tausend sind, welche im vollen, schrecklichen
Ernste eilte gewaltsame Durchführung der Reichsverfassung wollen -- wie könnte
ich schwanken, auch wenn ich persönlich von den Vorzügen derselben lebendiger
überzeugt wäre und zu leidenschaftlichen Thaten mehr innern Beruf empfände,
als dies der Fall ist! Vielleicht bringt eine unerwartete Wendung noch Hilfe
und neue Aussichten. Aber ich gestehe, daß meine Hoffnung sehr schwach ist."

Die Nachrichten, die inzwischen aus Sachsen eingingen, konnten ihn in
dieser Auffassung uur bestärke". "Man glaubt hier schou sehr stark, daß der
Kampf nicht der Reichsverfassung halber unternommen, sondern als eine Er¬
hebung der Besitzlosen gegen die Besitzenden, als eine Wiederholung der Pariser
Junitage anzusehen sei. In so weiter Entfernung kann man nur mit Mühe
zu einer klaren Anschauung der Dinge kommen."


Grenzlwten II. IWö, 38
Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments.

des Verhaltens der Zentralgewalt gegenüber der sächsischen und pfälzischen Er¬
hebung; schließlich wurde die Entscheidung auf die nächste Sitzung vertagt.

„Daß hier alles in unsäglicher Aufregung ist, schrieb N, an diesem Tage,
brauche ich nicht zu sagen. Und vorzugsweise durch die Nachrichten aus Sachsen.
Es gehen die schrecklichsten Gerüchte durch die Stadt, die hoffentlich nicht wahr
find. Man spricht von einem gräßlichen Kampfe, der noch immer in Dresden
fortdatiere; daß Schloß, das Theater follen in Flammen stehen, Hunderte von
Soldaten sollen gefallen sein."

Auch der 9. Mai brachte die Entscheidung noch nicht, vielmehr vertagte das
Haus die Beratung über den schon am 8. gestellten Antrag Simons und Vogts,
die Volkserhebungen in der bairischen Pfalz und in Sachsen zur Durchführung
der Reichsverfassung thatkräftig zu stützen und zu schützen, abermals um vier¬
undzwanzig Stunden, weil Gagern erklärte, erst den Bericht des Neichskvm-
missars (von Watzdorf) aus Sachsen und die Entschließung des Reichsverwesers
abwarten zu müssen, der sich selbst erst über das ihm vom Ministerium betreffs
der Bewegungen in Sachsen und der Pfalz vorgeschlagene Verhalten der Zentral-
gewalt entscheide» müsse und dasür sich Bedenkzeit ausgebeten habe. „Ich er¬
warte nun, äußerte sich N. nach der Sitzung, daß der Reichsverweser morgen
seine Wurde entweder niederlegt oder gegen die Bewegungen in Sachsen und
Rheinbniern sich ausspricht. Im ersteren Falle kann auch das jetzige Reichs¬
ministerium sich nicht mehr halten, was wieder deu Austritt vieler Mitglieder
der Nationalversammlung, das Übergewicht der entschlossenen Parteien, die Ein¬
setzung einer provisorischen Neichsregierung, den Beginn eines allgemeinen
Kampfes zur Folge haben kann; im andern Falle werden die Entschlossenen
alles aufbieten, das Ministerium doch zu stürzen oder, wenn dies nicht gelingt,
in andrer Weise den Durchbruch herbeizuführen suchen. Was mir in beiden
Füllen zu thun übrig bleibt, ist leicht zu sehen. Wer einem Wahlbezirke von
70000 Menschen verantwortlich ist, der kann nicht gewissenhaft genug die
Schritte überlegen, welche er thut, und da ich nun obendrein mir sagen muß,
daß unter jenen 70 000 sicher nicht tausend sind, welche im vollen, schrecklichen
Ernste eilte gewaltsame Durchführung der Reichsverfassung wollen — wie könnte
ich schwanken, auch wenn ich persönlich von den Vorzügen derselben lebendiger
überzeugt wäre und zu leidenschaftlichen Thaten mehr innern Beruf empfände,
als dies der Fall ist! Vielleicht bringt eine unerwartete Wendung noch Hilfe
und neue Aussichten. Aber ich gestehe, daß meine Hoffnung sehr schwach ist."

Die Nachrichten, die inzwischen aus Sachsen eingingen, konnten ihn in
dieser Auffassung uur bestärke». „Man glaubt hier schou sehr stark, daß der
Kampf nicht der Reichsverfassung halber unternommen, sondern als eine Er¬
hebung der Besitzlosen gegen die Besitzenden, als eine Wiederholung der Pariser
Junitage anzusehen sei. In so weiter Entfernung kann man nur mit Mühe
zu einer klaren Anschauung der Dinge kommen."


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[0302] Aus den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments. des Verhaltens der Zentralgewalt gegenüber der sächsischen und pfälzischen Er¬ hebung; schließlich wurde die Entscheidung auf die nächste Sitzung vertagt. „Daß hier alles in unsäglicher Aufregung ist, schrieb N, an diesem Tage, brauche ich nicht zu sagen. Und vorzugsweise durch die Nachrichten aus Sachsen. Es gehen die schrecklichsten Gerüchte durch die Stadt, die hoffentlich nicht wahr find. Man spricht von einem gräßlichen Kampfe, der noch immer in Dresden fortdatiere; daß Schloß, das Theater follen in Flammen stehen, Hunderte von Soldaten sollen gefallen sein." Auch der 9. Mai brachte die Entscheidung noch nicht, vielmehr vertagte das Haus die Beratung über den schon am 8. gestellten Antrag Simons und Vogts, die Volkserhebungen in der bairischen Pfalz und in Sachsen zur Durchführung der Reichsverfassung thatkräftig zu stützen und zu schützen, abermals um vier¬ undzwanzig Stunden, weil Gagern erklärte, erst den Bericht des Neichskvm- missars (von Watzdorf) aus Sachsen und die Entschließung des Reichsverwesers abwarten zu müssen, der sich selbst erst über das ihm vom Ministerium betreffs der Bewegungen in Sachsen und der Pfalz vorgeschlagene Verhalten der Zentral- gewalt entscheide» müsse und dasür sich Bedenkzeit ausgebeten habe. „Ich er¬ warte nun, äußerte sich N. nach der Sitzung, daß der Reichsverweser morgen seine Wurde entweder niederlegt oder gegen die Bewegungen in Sachsen und Rheinbniern sich ausspricht. Im ersteren Falle kann auch das jetzige Reichs¬ ministerium sich nicht mehr halten, was wieder deu Austritt vieler Mitglieder der Nationalversammlung, das Übergewicht der entschlossenen Parteien, die Ein¬ setzung einer provisorischen Neichsregierung, den Beginn eines allgemeinen Kampfes zur Folge haben kann; im andern Falle werden die Entschlossenen alles aufbieten, das Ministerium doch zu stürzen oder, wenn dies nicht gelingt, in andrer Weise den Durchbruch herbeizuführen suchen. Was mir in beiden Füllen zu thun übrig bleibt, ist leicht zu sehen. Wer einem Wahlbezirke von 70000 Menschen verantwortlich ist, der kann nicht gewissenhaft genug die Schritte überlegen, welche er thut, und da ich nun obendrein mir sagen muß, daß unter jenen 70 000 sicher nicht tausend sind, welche im vollen, schrecklichen Ernste eilte gewaltsame Durchführung der Reichsverfassung wollen — wie könnte ich schwanken, auch wenn ich persönlich von den Vorzügen derselben lebendiger überzeugt wäre und zu leidenschaftlichen Thaten mehr innern Beruf empfände, als dies der Fall ist! Vielleicht bringt eine unerwartete Wendung noch Hilfe und neue Aussichten. Aber ich gestehe, daß meine Hoffnung sehr schwach ist." Die Nachrichten, die inzwischen aus Sachsen eingingen, konnten ihn in dieser Auffassung uur bestärke». „Man glaubt hier schou sehr stark, daß der Kampf nicht der Reichsverfassung halber unternommen, sondern als eine Er¬ hebung der Besitzlosen gegen die Besitzenden, als eine Wiederholung der Pariser Junitage anzusehen sei. In so weiter Entfernung kann man nur mit Mühe zu einer klaren Anschauung der Dinge kommen." Grenzlwten II. IWö, 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/302>, abgerufen am 22.07.2024.