Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Ans den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments,

Der nächste Tag schon machte den wechselnden Erwartungen nach beiden
Seiten hin ein Ende. Ans Sachsen brachte der Telegraph am 10. Mai die
Nachricht von der Unterwerfung Dresdens (8. Mai), und in Frankfurt blieb
der Reichsverweser, aber er lehnte die Annahme des Programms gegenüber
der Pfalz und Sachsen ab, und das Ministerium Gagern fiel.

Von der ganzen bewegten Sitzung giebt ein während derselben teils in der
Wohnung, teils in der Paulskirche in mehreren Absätzen geschriebener Brief ein
anschauliches Bild. Während der Stimmenauszählung für die Präsidentenwahl,
aus der wieder Simson hervorging, schreibt N,: "Die heutige Sitzung wurde
mit der Bekanntmachung eröffnet, daß das Reichsministerium abgetreten sei.
Der Reichsverweser will die Bildung eines neuen Ministeritims versuchen; er
selbst also weicht noch nicht. Indes sagte man gestern Abend, daß er sein
Silberzeug wcggesandt habe und das Glasgeschirr seiner Haushaltung eingepackt
werde. Wahrscheinlich hat er von Wien und Berlin die Weisung, so lange als
möglich auszuhalten, um den Übergang anzubahnen. Freilich ist bellte bereits
der Antrag gestellt, eine Deputation von zwölf Mitgliedern an ihn abzusenden,
ob er für Durchführung der Reichsverfassung wirken wolle oder nicht. Der
Antrag wird jedoch, wie ich glaube, nicht durchdringen, und man wird beschließen
zu warten, bis ein neues Ministerium vorhanden ist. . . . Ich fahre in der
Paulskirche fort. Die Bewegung im westlichen Deutschland greift immer weiter
um sich, geht immer mehr in Thaten über. Die südwestdeutschen Regierungen
haben sich aufs entschiedenste für die Nationalversammlung erklärt und deren
Beschlüsse anzuerkennen und durchzuführen versprochen. Die würtenbergische Re¬
gierung hat bereits zwei Bataillone nach Frankfurt gesendet, um uns zu schützen.
Auf beideu Seiten des Rheins bewaffnet sich das Volk; in Rhcinpreußeu haben
sich die Städte im Grunde bereits gegen die Negierung in Berlin erklärt; ans
manchen Punkten bilden sich Freischareu. Dreimal Wehe über diejenigen, welche
das deutsche Volk in die Schrecken eines Bürgerkrieges sich stürzen lassen! . . .
Der vorhin erwähnte Antrag ist wirklich durchgegangen. Eben wird eine De¬
putation gewählt, die sich zum Erzherzog-Reichsverweser verfügen soll, tun ihn
zu befragen, ob er sich entschließen könne, den vorher gefaßten Beschluß aus¬
zuführen, welcher das Einrücken der Preußen in Sachsen für eiuen Bruch des
Reichsfriedens erklärt und diesem mit allen Mitteln entgegengetreten wisse"
will.")

Die Deputation ist ernannt; die Nationalversammlung hat die Sitzung bis
zur Entscheidung der Krisis, die mit dem Sturze des Reichsverwesers endigen
kann oder vielmehr endigen muß, für permanent erklärt. Alles ist in höchster
Spannung. . . .



") Auf den Antrag von Redens, der mit 188 gegen 147 Stimmen angenommen wurde.
Stenographischer Bericht IX, 6503 ff.
Ans den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments,

Der nächste Tag schon machte den wechselnden Erwartungen nach beiden
Seiten hin ein Ende. Ans Sachsen brachte der Telegraph am 10. Mai die
Nachricht von der Unterwerfung Dresdens (8. Mai), und in Frankfurt blieb
der Reichsverweser, aber er lehnte die Annahme des Programms gegenüber
der Pfalz und Sachsen ab, und das Ministerium Gagern fiel.

Von der ganzen bewegten Sitzung giebt ein während derselben teils in der
Wohnung, teils in der Paulskirche in mehreren Absätzen geschriebener Brief ein
anschauliches Bild. Während der Stimmenauszählung für die Präsidentenwahl,
aus der wieder Simson hervorging, schreibt N,: „Die heutige Sitzung wurde
mit der Bekanntmachung eröffnet, daß das Reichsministerium abgetreten sei.
Der Reichsverweser will die Bildung eines neuen Ministeritims versuchen; er
selbst also weicht noch nicht. Indes sagte man gestern Abend, daß er sein
Silberzeug wcggesandt habe und das Glasgeschirr seiner Haushaltung eingepackt
werde. Wahrscheinlich hat er von Wien und Berlin die Weisung, so lange als
möglich auszuhalten, um den Übergang anzubahnen. Freilich ist bellte bereits
der Antrag gestellt, eine Deputation von zwölf Mitgliedern an ihn abzusenden,
ob er für Durchführung der Reichsverfassung wirken wolle oder nicht. Der
Antrag wird jedoch, wie ich glaube, nicht durchdringen, und man wird beschließen
zu warten, bis ein neues Ministerium vorhanden ist. . . . Ich fahre in der
Paulskirche fort. Die Bewegung im westlichen Deutschland greift immer weiter
um sich, geht immer mehr in Thaten über. Die südwestdeutschen Regierungen
haben sich aufs entschiedenste für die Nationalversammlung erklärt und deren
Beschlüsse anzuerkennen und durchzuführen versprochen. Die würtenbergische Re¬
gierung hat bereits zwei Bataillone nach Frankfurt gesendet, um uns zu schützen.
Auf beideu Seiten des Rheins bewaffnet sich das Volk; in Rhcinpreußeu haben
sich die Städte im Grunde bereits gegen die Negierung in Berlin erklärt; ans
manchen Punkten bilden sich Freischareu. Dreimal Wehe über diejenigen, welche
das deutsche Volk in die Schrecken eines Bürgerkrieges sich stürzen lassen! . . .
Der vorhin erwähnte Antrag ist wirklich durchgegangen. Eben wird eine De¬
putation gewählt, die sich zum Erzherzog-Reichsverweser verfügen soll, tun ihn
zu befragen, ob er sich entschließen könne, den vorher gefaßten Beschluß aus¬
zuführen, welcher das Einrücken der Preußen in Sachsen für eiuen Bruch des
Reichsfriedens erklärt und diesem mit allen Mitteln entgegengetreten wisse»
will.")

Die Deputation ist ernannt; die Nationalversammlung hat die Sitzung bis
zur Entscheidung der Krisis, die mit dem Sturze des Reichsverwesers endigen
kann oder vielmehr endigen muß, für permanent erklärt. Alles ist in höchster
Spannung. . . .



") Auf den Antrag von Redens, der mit 188 gegen 147 Stimmen angenommen wurde.
Stenographischer Bericht IX, 6503 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195692"/>
          <fw type="header" place="top"> Ans den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1058"> Der nächste Tag schon machte den wechselnden Erwartungen nach beiden<lb/>
Seiten hin ein Ende. Ans Sachsen brachte der Telegraph am 10. Mai die<lb/>
Nachricht von der Unterwerfung Dresdens (8. Mai), und in Frankfurt blieb<lb/>
der Reichsverweser, aber er lehnte die Annahme des Programms gegenüber<lb/>
der Pfalz und Sachsen ab, und das Ministerium Gagern fiel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1059"> Von der ganzen bewegten Sitzung giebt ein während derselben teils in der<lb/>
Wohnung, teils in der Paulskirche in mehreren Absätzen geschriebener Brief ein<lb/>
anschauliches Bild. Während der Stimmenauszählung für die Präsidentenwahl,<lb/>
aus der wieder Simson hervorging, schreibt N,: &#x201E;Die heutige Sitzung wurde<lb/>
mit der Bekanntmachung eröffnet, daß das Reichsministerium abgetreten sei.<lb/>
Der Reichsverweser will die Bildung eines neuen Ministeritims versuchen; er<lb/>
selbst also weicht noch nicht. Indes sagte man gestern Abend, daß er sein<lb/>
Silberzeug wcggesandt habe und das Glasgeschirr seiner Haushaltung eingepackt<lb/>
werde. Wahrscheinlich hat er von Wien und Berlin die Weisung, so lange als<lb/>
möglich auszuhalten, um den Übergang anzubahnen. Freilich ist bellte bereits<lb/>
der Antrag gestellt, eine Deputation von zwölf Mitgliedern an ihn abzusenden,<lb/>
ob er für Durchführung der Reichsverfassung wirken wolle oder nicht. Der<lb/>
Antrag wird jedoch, wie ich glaube, nicht durchdringen, und man wird beschließen<lb/>
zu warten, bis ein neues Ministerium vorhanden ist. . . . Ich fahre in der<lb/>
Paulskirche fort. Die Bewegung im westlichen Deutschland greift immer weiter<lb/>
um sich, geht immer mehr in Thaten über. Die südwestdeutschen Regierungen<lb/>
haben sich aufs entschiedenste für die Nationalversammlung erklärt und deren<lb/>
Beschlüsse anzuerkennen und durchzuführen versprochen. Die würtenbergische Re¬<lb/>
gierung hat bereits zwei Bataillone nach Frankfurt gesendet, um uns zu schützen.<lb/>
Auf beideu Seiten des Rheins bewaffnet sich das Volk; in Rhcinpreußeu haben<lb/>
sich die Städte im Grunde bereits gegen die Negierung in Berlin erklärt; ans<lb/>
manchen Punkten bilden sich Freischareu. Dreimal Wehe über diejenigen, welche<lb/>
das deutsche Volk in die Schrecken eines Bürgerkrieges sich stürzen lassen! . . .<lb/>
Der vorhin erwähnte Antrag ist wirklich durchgegangen. Eben wird eine De¬<lb/>
putation gewählt, die sich zum Erzherzog-Reichsverweser verfügen soll, tun ihn<lb/>
zu befragen, ob er sich entschließen könne, den vorher gefaßten Beschluß aus¬<lb/>
zuführen, welcher das Einrücken der Preußen in Sachsen für eiuen Bruch des<lb/>
Reichsfriedens erklärt und diesem mit allen Mitteln entgegengetreten wisse»<lb/>
will.")</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1060"> Die Deputation ist ernannt; die Nationalversammlung hat die Sitzung bis<lb/>
zur Entscheidung der Krisis, die mit dem Sturze des Reichsverwesers endigen<lb/>
kann oder vielmehr endigen muß, für permanent erklärt. Alles ist in höchster<lb/>
Spannung. . . .</p><lb/>
          <note xml:id="FID_33" place="foot"> ") Auf den Antrag von Redens, der mit 188 gegen 147 Stimmen angenommen wurde.<lb/>
Stenographischer Bericht IX, 6503 ff.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0303] Ans den letzten Tagen des Frankfurter Parlaments, Der nächste Tag schon machte den wechselnden Erwartungen nach beiden Seiten hin ein Ende. Ans Sachsen brachte der Telegraph am 10. Mai die Nachricht von der Unterwerfung Dresdens (8. Mai), und in Frankfurt blieb der Reichsverweser, aber er lehnte die Annahme des Programms gegenüber der Pfalz und Sachsen ab, und das Ministerium Gagern fiel. Von der ganzen bewegten Sitzung giebt ein während derselben teils in der Wohnung, teils in der Paulskirche in mehreren Absätzen geschriebener Brief ein anschauliches Bild. Während der Stimmenauszählung für die Präsidentenwahl, aus der wieder Simson hervorging, schreibt N,: „Die heutige Sitzung wurde mit der Bekanntmachung eröffnet, daß das Reichsministerium abgetreten sei. Der Reichsverweser will die Bildung eines neuen Ministeritims versuchen; er selbst also weicht noch nicht. Indes sagte man gestern Abend, daß er sein Silberzeug wcggesandt habe und das Glasgeschirr seiner Haushaltung eingepackt werde. Wahrscheinlich hat er von Wien und Berlin die Weisung, so lange als möglich auszuhalten, um den Übergang anzubahnen. Freilich ist bellte bereits der Antrag gestellt, eine Deputation von zwölf Mitgliedern an ihn abzusenden, ob er für Durchführung der Reichsverfassung wirken wolle oder nicht. Der Antrag wird jedoch, wie ich glaube, nicht durchdringen, und man wird beschließen zu warten, bis ein neues Ministerium vorhanden ist. . . . Ich fahre in der Paulskirche fort. Die Bewegung im westlichen Deutschland greift immer weiter um sich, geht immer mehr in Thaten über. Die südwestdeutschen Regierungen haben sich aufs entschiedenste für die Nationalversammlung erklärt und deren Beschlüsse anzuerkennen und durchzuführen versprochen. Die würtenbergische Re¬ gierung hat bereits zwei Bataillone nach Frankfurt gesendet, um uns zu schützen. Auf beideu Seiten des Rheins bewaffnet sich das Volk; in Rhcinpreußeu haben sich die Städte im Grunde bereits gegen die Negierung in Berlin erklärt; ans manchen Punkten bilden sich Freischareu. Dreimal Wehe über diejenigen, welche das deutsche Volk in die Schrecken eines Bürgerkrieges sich stürzen lassen! . . . Der vorhin erwähnte Antrag ist wirklich durchgegangen. Eben wird eine De¬ putation gewählt, die sich zum Erzherzog-Reichsverweser verfügen soll, tun ihn zu befragen, ob er sich entschließen könne, den vorher gefaßten Beschluß aus¬ zuführen, welcher das Einrücken der Preußen in Sachsen für eiuen Bruch des Reichsfriedens erklärt und diesem mit allen Mitteln entgegengetreten wisse» will.") Die Deputation ist ernannt; die Nationalversammlung hat die Sitzung bis zur Entscheidung der Krisis, die mit dem Sturze des Reichsverwesers endigen kann oder vielmehr endigen muß, für permanent erklärt. Alles ist in höchster Spannung. . . . ") Auf den Antrag von Redens, der mit 188 gegen 147 Stimmen angenommen wurde. Stenographischer Bericht IX, 6503 ff.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/303
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/303>, abgerufen am 22.07.2024.