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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Freunde Englands.

halten, kaum Vertrauen verdienen würden? Mit Ägypten, das man nicht zu
verschenken hätte? Wenn englische Blätter auf die Abneigung der Griechen
gegen Nußland hinweisen und daraufhin auf eine Diversion des Kabinets von
Athen zu gunsten Englands hoffen, so weiß man kaum, ob das ernstlich ge¬
meint ist; es erinnert gar zu sehr an das Sprichwort: In der Not frißt der
Teufel Fliegen. So bliebe denn bei der Umschau nach europäischen Mächten,
auf deren Freundschaft für England zu rechnen wäre, nur noch Italien übrig,
und hier verwahrt sich die Regieruugspresse gegenwärtig mit allem Eifer gegen
die Stimmen, welche dem jungen Königreiche zumuten, in dem Kampfe zwischen
Rußland und England eine Rolle zu spielen. Dieselbe sollte bekanntlich darin
bestehen, daß italienische Truppen die englischen Heere im Sudan abzulösen und
so deren Abgang nach Indien zu ermöglichen hätten. Das aber wäre ein
Wagnis, sür das England kaum etwas zu bieten hätte, was es lohnte. Die
Engländer haben dort nichts auszurichten vermocht, würden die Italiener mehr
Glück haben? Und wäre das der Fall, würde England in seinem Interesse
ihnen die Frucht ihrer Siege lassen können? Würde der Mohr nicht über kurz
oder laug, nachdem er seine Arbeit gethan, gehen tonnen, weil man ihn
so wenig wie andre Leute am Hauptthore der Straße nach Indien dulden
dürfte? Die Italiener verstehen sich auf ihren Vorteil ziemlich gut, sodaß sie
ihrer Begehrlichkeit hier wohl von selbst Vorsicht auferlegen werden. Es ist
aber auch Grund vorhanden, zu glauben, daß ihnen Andeutungen zugegangen
sind, nach deuen sie sich eine Einmischung in die hier betrachtete Angelegenheit
nicht erlauben könnten, ohne gegen den Geist jener Verständigung zu verstoßen,
auf welche sich Italiens Stellung zu den Mächten Mitteleuropas und seit
den Tagen von Skjernewiee wohl eines zu Rußland gründet. Auch aus Paris
scheinen Einwendungen gegen eine ägyptische Aktion der Italiener erfolgt zu
sein, die der Beachtung würdig befunden wurden. Kurz, die betreffenden Ver¬
handlungen zwischen Rom und London sind abgebrochen worden, und England
hat zur Stunde auch von Italien nichts zu erwarten.

England besitzt in Europa keine Freunde, wenn man nicht die ohnmächtige
Sympathie gewisser Liberalen für die Heimat des Parlamentarismus und der
Mnnchesterweisheit in Rechnung stellen will. "Hier hat, so läßt sich der it-rily
1'ston'g.xll ans Wien berichten, die Rede Gladstones vom vorigen Montag eine
unwiderstehliche Strömung der öffentlichen Meinung zu gunsten Englands her¬
vorgerufen. Die Wiener Presse ist beinahe ausschließlich liberal, und mit augen¬
fälliger Befriedigung sahen sich die leitenden Blätter wieder einmal in die Lage
versetzt, in dem englisch-russischen Konflikte Stellung auf der Seite Englands
zu nehmen. . . . Wenn hier noch irgendwelche Zweifel obwalteten, welchen Bor¬
ten eine freie Verfassung im Vergleiche mit dem Zäsarismus bietet, so mußten
sie durch die beiden grundverschiedenen Methoden zerstreut werden, nach denen
England und Rußland nicht bloß mit der afghanischen Schwierigkeit, sondern

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Die Freunde Englands.

halten, kaum Vertrauen verdienen würden? Mit Ägypten, das man nicht zu
verschenken hätte? Wenn englische Blätter auf die Abneigung der Griechen
gegen Nußland hinweisen und daraufhin auf eine Diversion des Kabinets von
Athen zu gunsten Englands hoffen, so weiß man kaum, ob das ernstlich ge¬
meint ist; es erinnert gar zu sehr an das Sprichwort: In der Not frißt der
Teufel Fliegen. So bliebe denn bei der Umschau nach europäischen Mächten,
auf deren Freundschaft für England zu rechnen wäre, nur noch Italien übrig,
und hier verwahrt sich die Regieruugspresse gegenwärtig mit allem Eifer gegen
die Stimmen, welche dem jungen Königreiche zumuten, in dem Kampfe zwischen
Rußland und England eine Rolle zu spielen. Dieselbe sollte bekanntlich darin
bestehen, daß italienische Truppen die englischen Heere im Sudan abzulösen und
so deren Abgang nach Indien zu ermöglichen hätten. Das aber wäre ein
Wagnis, sür das England kaum etwas zu bieten hätte, was es lohnte. Die
Engländer haben dort nichts auszurichten vermocht, würden die Italiener mehr
Glück haben? Und wäre das der Fall, würde England in seinem Interesse
ihnen die Frucht ihrer Siege lassen können? Würde der Mohr nicht über kurz
oder laug, nachdem er seine Arbeit gethan, gehen tonnen, weil man ihn
so wenig wie andre Leute am Hauptthore der Straße nach Indien dulden
dürfte? Die Italiener verstehen sich auf ihren Vorteil ziemlich gut, sodaß sie
ihrer Begehrlichkeit hier wohl von selbst Vorsicht auferlegen werden. Es ist
aber auch Grund vorhanden, zu glauben, daß ihnen Andeutungen zugegangen
sind, nach deuen sie sich eine Einmischung in die hier betrachtete Angelegenheit
nicht erlauben könnten, ohne gegen den Geist jener Verständigung zu verstoßen,
auf welche sich Italiens Stellung zu den Mächten Mitteleuropas und seit
den Tagen von Skjernewiee wohl eines zu Rußland gründet. Auch aus Paris
scheinen Einwendungen gegen eine ägyptische Aktion der Italiener erfolgt zu
sein, die der Beachtung würdig befunden wurden. Kurz, die betreffenden Ver¬
handlungen zwischen Rom und London sind abgebrochen worden, und England
hat zur Stunde auch von Italien nichts zu erwarten.

England besitzt in Europa keine Freunde, wenn man nicht die ohnmächtige
Sympathie gewisser Liberalen für die Heimat des Parlamentarismus und der
Mnnchesterweisheit in Rechnung stellen will. „Hier hat, so läßt sich der it-rily
1'ston'g.xll ans Wien berichten, die Rede Gladstones vom vorigen Montag eine
unwiderstehliche Strömung der öffentlichen Meinung zu gunsten Englands her¬
vorgerufen. Die Wiener Presse ist beinahe ausschließlich liberal, und mit augen¬
fälliger Befriedigung sahen sich die leitenden Blätter wieder einmal in die Lage
versetzt, in dem englisch-russischen Konflikte Stellung auf der Seite Englands
zu nehmen. . . . Wenn hier noch irgendwelche Zweifel obwalteten, welchen Bor¬
ten eine freie Verfassung im Vergleiche mit dem Zäsarismus bietet, so mußten
sie durch die beiden grundverschiedenen Methoden zerstreut werden, nach denen
England und Rußland nicht bloß mit der afghanischen Schwierigkeit, sondern

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[0285] Die Freunde Englands. halten, kaum Vertrauen verdienen würden? Mit Ägypten, das man nicht zu verschenken hätte? Wenn englische Blätter auf die Abneigung der Griechen gegen Nußland hinweisen und daraufhin auf eine Diversion des Kabinets von Athen zu gunsten Englands hoffen, so weiß man kaum, ob das ernstlich ge¬ meint ist; es erinnert gar zu sehr an das Sprichwort: In der Not frißt der Teufel Fliegen. So bliebe denn bei der Umschau nach europäischen Mächten, auf deren Freundschaft für England zu rechnen wäre, nur noch Italien übrig, und hier verwahrt sich die Regieruugspresse gegenwärtig mit allem Eifer gegen die Stimmen, welche dem jungen Königreiche zumuten, in dem Kampfe zwischen Rußland und England eine Rolle zu spielen. Dieselbe sollte bekanntlich darin bestehen, daß italienische Truppen die englischen Heere im Sudan abzulösen und so deren Abgang nach Indien zu ermöglichen hätten. Das aber wäre ein Wagnis, sür das England kaum etwas zu bieten hätte, was es lohnte. Die Engländer haben dort nichts auszurichten vermocht, würden die Italiener mehr Glück haben? Und wäre das der Fall, würde England in seinem Interesse ihnen die Frucht ihrer Siege lassen können? Würde der Mohr nicht über kurz oder laug, nachdem er seine Arbeit gethan, gehen tonnen, weil man ihn so wenig wie andre Leute am Hauptthore der Straße nach Indien dulden dürfte? Die Italiener verstehen sich auf ihren Vorteil ziemlich gut, sodaß sie ihrer Begehrlichkeit hier wohl von selbst Vorsicht auferlegen werden. Es ist aber auch Grund vorhanden, zu glauben, daß ihnen Andeutungen zugegangen sind, nach deuen sie sich eine Einmischung in die hier betrachtete Angelegenheit nicht erlauben könnten, ohne gegen den Geist jener Verständigung zu verstoßen, auf welche sich Italiens Stellung zu den Mächten Mitteleuropas und seit den Tagen von Skjernewiee wohl eines zu Rußland gründet. Auch aus Paris scheinen Einwendungen gegen eine ägyptische Aktion der Italiener erfolgt zu sein, die der Beachtung würdig befunden wurden. Kurz, die betreffenden Ver¬ handlungen zwischen Rom und London sind abgebrochen worden, und England hat zur Stunde auch von Italien nichts zu erwarten. England besitzt in Europa keine Freunde, wenn man nicht die ohnmächtige Sympathie gewisser Liberalen für die Heimat des Parlamentarismus und der Mnnchesterweisheit in Rechnung stellen will. „Hier hat, so läßt sich der it-rily 1'ston'g.xll ans Wien berichten, die Rede Gladstones vom vorigen Montag eine unwiderstehliche Strömung der öffentlichen Meinung zu gunsten Englands her¬ vorgerufen. Die Wiener Presse ist beinahe ausschließlich liberal, und mit augen¬ fälliger Befriedigung sahen sich die leitenden Blätter wieder einmal in die Lage versetzt, in dem englisch-russischen Konflikte Stellung auf der Seite Englands zu nehmen. . . . Wenn hier noch irgendwelche Zweifel obwalteten, welchen Bor¬ ten eine freie Verfassung im Vergleiche mit dem Zäsarismus bietet, so mußten sie durch die beiden grundverschiedenen Methoden zerstreut werden, nach denen England und Rußland nicht bloß mit der afghanischen Schwierigkeit, sondern ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/285>, abgerufen am 22.07.2024.