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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Freunde Englands.

endlich ein Verhalten gegen Österreich-Ungarn und Deutschland, welches auch
diese Mächte verstimmen und abstoßen mußte. Gladstone wies bald nach dem
Antritte seines Amtes, wo er noch Vertrauen auf sein Geschick einflößen konnte,
Deutschlands Annäherung zurück, er hat seitdem Englands Ausehen in jeder
Richtung gemindert, dessen Stellung ungünstiger gestaltet, dessen Macht ge¬
schwächt, und wer stellte sich wohl an die Seite eines Schwache", zumal wenn
derselbe sich durch Wankelmut, Wollen und Nichttvuncn und fortdauerndes
Fehlgreifen seiner Politik weiter um seinen Kredit zu bringen droht? Wer be¬
antwortete Abgunst mit Gunst? Wer wäre so thöricht, sich gegen Ungefälligkeit
gefällig zu verhalten, wo er überdies Gefahr liefe, sich dnrch solche Gefälligkeit
bei vertrauenswerteren mächtigeren Nachbarn Argwohn und Mißstimmung zu
erwecken, vielleicht offne Gegnerschaft vorzubereiten? Wir haben uns gehütet,
dies zu thun, als in England ein energischer Wille am Nuder stand, und wir
sollten jetzt dazu Neigung empfinden? Ganz wie jetzt, so sollte vor Ausbruch
des letzten russisch-türkischen Krieges Deutschland sich für das dabei in Frage
gestellte englische Interesse ins Mittel schlagen, Rußland abmahnen, ihm ver¬
bieten, das Schwert zu ziehen. Die Königin Viktoria schrieb deshalb an den
Kaiser Wilhelm, an Bismarck, andre Wege wurden eingeschlagen, und es fehlte
nicht an hoher Fürsprache. Mit vollstem Rechte blieb man aber in Berlin
enthaltsam und erklärte, nicht dienen zu können. Englands Interesse war hier
nicht das unsre, es war nicht gleichbedeutend mit dem Weltfrieden. Anders
wurde das zur Zeit des Berliner Kongresses, wo eine Zeit lang das Interesse
einer uns näherstehenden Macht bis zu einem gewissen Maße mit dem eng¬
lischen zusammenfiel, gefährdet erschien und durch Ausgleich mit dem russischen
gesichert werden mußte. In dieser Zeit war Vermittlung geboten, aber wenn
sie erfolgte, so ging ihre Richtung nur auf Ziele, die für uus Bedürfnis
waren. Wo läge jetzt ein derartiges Bedürfnis vor? Was hat der Besitz
eines Stückes Afghanistans oder die Frage, ob ein russischer General heraus¬
gefordert und berechtigt angegriffen hat oder nicht, mit den deutschen Interessen
zu schaffen? Wichtig ist hier nur, daß der Streit die Grenzen Europas nicht
überschreitet, und das kann in der Hauptsache nur geschehen, wenn England
gegen die Verträge die Dardanellen und den Bosporus forcirt und seine Krieg¬
führung auf das Schwarze Meer und dessen Küsten ausdehnt. Die limW
und andre Londoner Blätter irren, wenn sie meinen, England werde im Laufe
eines Krieges Bundesgenossen an Mächten finden, die den Russen alten Haß
nachtrügen, und wenn sie dabei an Deutschland und Österreich denken. Dieser
"Haß," der näher betrachtet nur eine Entfremdung von kurzer Dauer, nur momen¬
tane Unterbrechung langjähriger Freundschaft war, ist in Skjernewiee begraben
worden und wird, solange man in Petersburg wie jetzt Rußlands wahres In¬
teresse versteht und in Deutschland nicht eine Politik in die Mode kommt,
welche das englische Interesse mit dem unsern verwechselt, sicher nicht wieder


Die Freunde Englands.

endlich ein Verhalten gegen Österreich-Ungarn und Deutschland, welches auch
diese Mächte verstimmen und abstoßen mußte. Gladstone wies bald nach dem
Antritte seines Amtes, wo er noch Vertrauen auf sein Geschick einflößen konnte,
Deutschlands Annäherung zurück, er hat seitdem Englands Ausehen in jeder
Richtung gemindert, dessen Stellung ungünstiger gestaltet, dessen Macht ge¬
schwächt, und wer stellte sich wohl an die Seite eines Schwache», zumal wenn
derselbe sich durch Wankelmut, Wollen und Nichttvuncn und fortdauerndes
Fehlgreifen seiner Politik weiter um seinen Kredit zu bringen droht? Wer be¬
antwortete Abgunst mit Gunst? Wer wäre so thöricht, sich gegen Ungefälligkeit
gefällig zu verhalten, wo er überdies Gefahr liefe, sich dnrch solche Gefälligkeit
bei vertrauenswerteren mächtigeren Nachbarn Argwohn und Mißstimmung zu
erwecken, vielleicht offne Gegnerschaft vorzubereiten? Wir haben uns gehütet,
dies zu thun, als in England ein energischer Wille am Nuder stand, und wir
sollten jetzt dazu Neigung empfinden? Ganz wie jetzt, so sollte vor Ausbruch
des letzten russisch-türkischen Krieges Deutschland sich für das dabei in Frage
gestellte englische Interesse ins Mittel schlagen, Rußland abmahnen, ihm ver¬
bieten, das Schwert zu ziehen. Die Königin Viktoria schrieb deshalb an den
Kaiser Wilhelm, an Bismarck, andre Wege wurden eingeschlagen, und es fehlte
nicht an hoher Fürsprache. Mit vollstem Rechte blieb man aber in Berlin
enthaltsam und erklärte, nicht dienen zu können. Englands Interesse war hier
nicht das unsre, es war nicht gleichbedeutend mit dem Weltfrieden. Anders
wurde das zur Zeit des Berliner Kongresses, wo eine Zeit lang das Interesse
einer uns näherstehenden Macht bis zu einem gewissen Maße mit dem eng¬
lischen zusammenfiel, gefährdet erschien und durch Ausgleich mit dem russischen
gesichert werden mußte. In dieser Zeit war Vermittlung geboten, aber wenn
sie erfolgte, so ging ihre Richtung nur auf Ziele, die für uus Bedürfnis
waren. Wo läge jetzt ein derartiges Bedürfnis vor? Was hat der Besitz
eines Stückes Afghanistans oder die Frage, ob ein russischer General heraus¬
gefordert und berechtigt angegriffen hat oder nicht, mit den deutschen Interessen
zu schaffen? Wichtig ist hier nur, daß der Streit die Grenzen Europas nicht
überschreitet, und das kann in der Hauptsache nur geschehen, wenn England
gegen die Verträge die Dardanellen und den Bosporus forcirt und seine Krieg¬
führung auf das Schwarze Meer und dessen Küsten ausdehnt. Die limW
und andre Londoner Blätter irren, wenn sie meinen, England werde im Laufe
eines Krieges Bundesgenossen an Mächten finden, die den Russen alten Haß
nachtrügen, und wenn sie dabei an Deutschland und Österreich denken. Dieser
„Haß," der näher betrachtet nur eine Entfremdung von kurzer Dauer, nur momen¬
tane Unterbrechung langjähriger Freundschaft war, ist in Skjernewiee begraben
worden und wird, solange man in Petersburg wie jetzt Rußlands wahres In¬
teresse versteht und in Deutschland nicht eine Politik in die Mode kommt,
welche das englische Interesse mit dem unsern verwechselt, sicher nicht wieder


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[0283] Die Freunde Englands. endlich ein Verhalten gegen Österreich-Ungarn und Deutschland, welches auch diese Mächte verstimmen und abstoßen mußte. Gladstone wies bald nach dem Antritte seines Amtes, wo er noch Vertrauen auf sein Geschick einflößen konnte, Deutschlands Annäherung zurück, er hat seitdem Englands Ausehen in jeder Richtung gemindert, dessen Stellung ungünstiger gestaltet, dessen Macht ge¬ schwächt, und wer stellte sich wohl an die Seite eines Schwache», zumal wenn derselbe sich durch Wankelmut, Wollen und Nichttvuncn und fortdauerndes Fehlgreifen seiner Politik weiter um seinen Kredit zu bringen droht? Wer be¬ antwortete Abgunst mit Gunst? Wer wäre so thöricht, sich gegen Ungefälligkeit gefällig zu verhalten, wo er überdies Gefahr liefe, sich dnrch solche Gefälligkeit bei vertrauenswerteren mächtigeren Nachbarn Argwohn und Mißstimmung zu erwecken, vielleicht offne Gegnerschaft vorzubereiten? Wir haben uns gehütet, dies zu thun, als in England ein energischer Wille am Nuder stand, und wir sollten jetzt dazu Neigung empfinden? Ganz wie jetzt, so sollte vor Ausbruch des letzten russisch-türkischen Krieges Deutschland sich für das dabei in Frage gestellte englische Interesse ins Mittel schlagen, Rußland abmahnen, ihm ver¬ bieten, das Schwert zu ziehen. Die Königin Viktoria schrieb deshalb an den Kaiser Wilhelm, an Bismarck, andre Wege wurden eingeschlagen, und es fehlte nicht an hoher Fürsprache. Mit vollstem Rechte blieb man aber in Berlin enthaltsam und erklärte, nicht dienen zu können. Englands Interesse war hier nicht das unsre, es war nicht gleichbedeutend mit dem Weltfrieden. Anders wurde das zur Zeit des Berliner Kongresses, wo eine Zeit lang das Interesse einer uns näherstehenden Macht bis zu einem gewissen Maße mit dem eng¬ lischen zusammenfiel, gefährdet erschien und durch Ausgleich mit dem russischen gesichert werden mußte. In dieser Zeit war Vermittlung geboten, aber wenn sie erfolgte, so ging ihre Richtung nur auf Ziele, die für uus Bedürfnis waren. Wo läge jetzt ein derartiges Bedürfnis vor? Was hat der Besitz eines Stückes Afghanistans oder die Frage, ob ein russischer General heraus¬ gefordert und berechtigt angegriffen hat oder nicht, mit den deutschen Interessen zu schaffen? Wichtig ist hier nur, daß der Streit die Grenzen Europas nicht überschreitet, und das kann in der Hauptsache nur geschehen, wenn England gegen die Verträge die Dardanellen und den Bosporus forcirt und seine Krieg¬ führung auf das Schwarze Meer und dessen Küsten ausdehnt. Die limW und andre Londoner Blätter irren, wenn sie meinen, England werde im Laufe eines Krieges Bundesgenossen an Mächten finden, die den Russen alten Haß nachtrügen, und wenn sie dabei an Deutschland und Österreich denken. Dieser „Haß," der näher betrachtet nur eine Entfremdung von kurzer Dauer, nur momen¬ tane Unterbrechung langjähriger Freundschaft war, ist in Skjernewiee begraben worden und wird, solange man in Petersburg wie jetzt Rußlands wahres In¬ teresse versteht und in Deutschland nicht eine Politik in die Mode kommt, welche das englische Interesse mit dem unsern verwechselt, sicher nicht wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/283>, abgerufen am 22.07.2024.