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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Bismarcks Geburtstag in Newyork.

mehr gelingen, zu Gelde zu kommen, es sei denn, daß er schon von Hause aus
Geld hatte. Die Armut der Mittelklassen ist in steter Zunahme begriffen, die
Unzufriedenheit der tiefern Schichten allerwegen in rapiden Wachsen, selbst in
dem gepriesenen Amerika ist seit Jahr und Tag "schlechte Zeit"; aber während
die hohen Herren der Börse nicht mehr wie früher mit Millionen, sondern mit
Milliarden, mit dem Einkommen und dem Wohlstande ganzer Provinzen und
Länder Hasardiren, ist noch immer nicht genug "wirtschaftliche Freiheit" in der
Welt, sind die liberalen Phrasendrescher mit ihren "wahrhaft freisinnigen" Ideen
noch immer hochwillkomner, ist das Publikum noch immer so leicht zu täuschen
wie früher.

Es läßt sich begreife", daß ein Land wie Deutschland, das im Besitz einer
starken Negierung den festen Willen ausgesprochen hat, den wirtschaftlich
Schwachen zu schützen, das sich mit warmherziger Kühnheit den guten Kern
der verhaßten Sozialdemokratie zu eigen gemacht hat, das die Emanzipation
der Arbeit und die Linderung des sozialen Elendes zur Aufgabe erkoren hat,
das den Frevel soweit getrieben hat, dem Übermut und der Übermacht des
Geldes ein "Halt!" zuzurufen, daß dieses Land ein Stein des Anstoßes in den
Augen aller kapitalistisch Wohlgesinnten geworden und als der gemeinsame Feind
schon längst denunzirt ist. Auf der ganzen Linie ist der Krieg gegen Deutsch¬
land erklärt; mag man die Wiener "Neue freie Presse," mag man die Berliner
Börsenblätter, mag man die "Newhorker Staatszeitung" in die Hand nehmen --
überall wird in dasselbe Horn gestoßen. Die Freiheit der Ausbeutung ist in
Gefahr, die Macht des Geldes und die Macht der Phrase, das Ziel und das
Mittel jenes Kampfes, find bedroht. Es ist ferner erklärlich, daß der Mann
der bestgehaßte ist, der noch niemals in seinem Leben eine Phrase gesprochen
hat, der im Reich der Phrase aufs unerbittlichste gewirtschaftet und die Helden
der Phrase zu Paaren getrieben hat. Da alle Versuche, den Mann zu be¬
seitigen, bisher fehlgeschlagen sind, so muß er wenigstens nach Kräften verun¬
glimpft, müssen seine Ziele soviel als möglich verdreht und verdunkelt werden.
Überall, wo in unserm Kanzler der warme Freund des arbeitenden und schaf¬
fenden Volkes, der Förderer von Deutschlands Macht und der praktische Mann
siegreich hervortreten, ertönt ein Wutgeheul auf der ganzen Linie; und damit
der Reiz des Pikanten nicht fehle, mischt sich hin und wieder eine Anerkennung
seiner Leistungen wie eine elegische Klage ein, wie der ununterdrückbare Wunsch,
ob dieses große Genie sich einst doch vielleicht noch in den Dienst des Geld¬
sackes und des Liberalismus stellen ließe. Aber genug davon.

Der prahlerische Hohn, mit dem die "Newyorker Staatszeitung" ihren Ge¬
burtstagsartikel schloß, war nichts als der Beleg dafür, daß sie sich hier
vollständig Herrin des Terrains fühlt und selbst das äußerste wagen darf, ohne
daß irgend jemand vorhanden ist, der ihr heimzuleuchten Gelegenheit und Zu¬
hörer genug hätte. Die Schlußwendung: "Wie war das doch so ganz anders


Bismarcks Geburtstag in Newyork.

mehr gelingen, zu Gelde zu kommen, es sei denn, daß er schon von Hause aus
Geld hatte. Die Armut der Mittelklassen ist in steter Zunahme begriffen, die
Unzufriedenheit der tiefern Schichten allerwegen in rapiden Wachsen, selbst in
dem gepriesenen Amerika ist seit Jahr und Tag „schlechte Zeit"; aber während
die hohen Herren der Börse nicht mehr wie früher mit Millionen, sondern mit
Milliarden, mit dem Einkommen und dem Wohlstande ganzer Provinzen und
Länder Hasardiren, ist noch immer nicht genug „wirtschaftliche Freiheit" in der
Welt, sind die liberalen Phrasendrescher mit ihren „wahrhaft freisinnigen" Ideen
noch immer hochwillkomner, ist das Publikum noch immer so leicht zu täuschen
wie früher.

Es läßt sich begreife», daß ein Land wie Deutschland, das im Besitz einer
starken Negierung den festen Willen ausgesprochen hat, den wirtschaftlich
Schwachen zu schützen, das sich mit warmherziger Kühnheit den guten Kern
der verhaßten Sozialdemokratie zu eigen gemacht hat, das die Emanzipation
der Arbeit und die Linderung des sozialen Elendes zur Aufgabe erkoren hat,
das den Frevel soweit getrieben hat, dem Übermut und der Übermacht des
Geldes ein „Halt!" zuzurufen, daß dieses Land ein Stein des Anstoßes in den
Augen aller kapitalistisch Wohlgesinnten geworden und als der gemeinsame Feind
schon längst denunzirt ist. Auf der ganzen Linie ist der Krieg gegen Deutsch¬
land erklärt; mag man die Wiener „Neue freie Presse," mag man die Berliner
Börsenblätter, mag man die „Newhorker Staatszeitung" in die Hand nehmen —
überall wird in dasselbe Horn gestoßen. Die Freiheit der Ausbeutung ist in
Gefahr, die Macht des Geldes und die Macht der Phrase, das Ziel und das
Mittel jenes Kampfes, find bedroht. Es ist ferner erklärlich, daß der Mann
der bestgehaßte ist, der noch niemals in seinem Leben eine Phrase gesprochen
hat, der im Reich der Phrase aufs unerbittlichste gewirtschaftet und die Helden
der Phrase zu Paaren getrieben hat. Da alle Versuche, den Mann zu be¬
seitigen, bisher fehlgeschlagen sind, so muß er wenigstens nach Kräften verun¬
glimpft, müssen seine Ziele soviel als möglich verdreht und verdunkelt werden.
Überall, wo in unserm Kanzler der warme Freund des arbeitenden und schaf¬
fenden Volkes, der Förderer von Deutschlands Macht und der praktische Mann
siegreich hervortreten, ertönt ein Wutgeheul auf der ganzen Linie; und damit
der Reiz des Pikanten nicht fehle, mischt sich hin und wieder eine Anerkennung
seiner Leistungen wie eine elegische Klage ein, wie der ununterdrückbare Wunsch,
ob dieses große Genie sich einst doch vielleicht noch in den Dienst des Geld¬
sackes und des Liberalismus stellen ließe. Aber genug davon.

Der prahlerische Hohn, mit dem die „Newyorker Staatszeitung" ihren Ge¬
burtstagsartikel schloß, war nichts als der Beleg dafür, daß sie sich hier
vollständig Herrin des Terrains fühlt und selbst das äußerste wagen darf, ohne
daß irgend jemand vorhanden ist, der ihr heimzuleuchten Gelegenheit und Zu¬
hörer genug hätte. Die Schlußwendung: „Wie war das doch so ganz anders


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[0264] Bismarcks Geburtstag in Newyork. mehr gelingen, zu Gelde zu kommen, es sei denn, daß er schon von Hause aus Geld hatte. Die Armut der Mittelklassen ist in steter Zunahme begriffen, die Unzufriedenheit der tiefern Schichten allerwegen in rapiden Wachsen, selbst in dem gepriesenen Amerika ist seit Jahr und Tag „schlechte Zeit"; aber während die hohen Herren der Börse nicht mehr wie früher mit Millionen, sondern mit Milliarden, mit dem Einkommen und dem Wohlstande ganzer Provinzen und Länder Hasardiren, ist noch immer nicht genug „wirtschaftliche Freiheit" in der Welt, sind die liberalen Phrasendrescher mit ihren „wahrhaft freisinnigen" Ideen noch immer hochwillkomner, ist das Publikum noch immer so leicht zu täuschen wie früher. Es läßt sich begreife», daß ein Land wie Deutschland, das im Besitz einer starken Negierung den festen Willen ausgesprochen hat, den wirtschaftlich Schwachen zu schützen, das sich mit warmherziger Kühnheit den guten Kern der verhaßten Sozialdemokratie zu eigen gemacht hat, das die Emanzipation der Arbeit und die Linderung des sozialen Elendes zur Aufgabe erkoren hat, das den Frevel soweit getrieben hat, dem Übermut und der Übermacht des Geldes ein „Halt!" zuzurufen, daß dieses Land ein Stein des Anstoßes in den Augen aller kapitalistisch Wohlgesinnten geworden und als der gemeinsame Feind schon längst denunzirt ist. Auf der ganzen Linie ist der Krieg gegen Deutsch¬ land erklärt; mag man die Wiener „Neue freie Presse," mag man die Berliner Börsenblätter, mag man die „Newhorker Staatszeitung" in die Hand nehmen — überall wird in dasselbe Horn gestoßen. Die Freiheit der Ausbeutung ist in Gefahr, die Macht des Geldes und die Macht der Phrase, das Ziel und das Mittel jenes Kampfes, find bedroht. Es ist ferner erklärlich, daß der Mann der bestgehaßte ist, der noch niemals in seinem Leben eine Phrase gesprochen hat, der im Reich der Phrase aufs unerbittlichste gewirtschaftet und die Helden der Phrase zu Paaren getrieben hat. Da alle Versuche, den Mann zu be¬ seitigen, bisher fehlgeschlagen sind, so muß er wenigstens nach Kräften verun¬ glimpft, müssen seine Ziele soviel als möglich verdreht und verdunkelt werden. Überall, wo in unserm Kanzler der warme Freund des arbeitenden und schaf¬ fenden Volkes, der Förderer von Deutschlands Macht und der praktische Mann siegreich hervortreten, ertönt ein Wutgeheul auf der ganzen Linie; und damit der Reiz des Pikanten nicht fehle, mischt sich hin und wieder eine Anerkennung seiner Leistungen wie eine elegische Klage ein, wie der ununterdrückbare Wunsch, ob dieses große Genie sich einst doch vielleicht noch in den Dienst des Geld¬ sackes und des Liberalismus stellen ließe. Aber genug davon. Der prahlerische Hohn, mit dem die „Newyorker Staatszeitung" ihren Ge¬ burtstagsartikel schloß, war nichts als der Beleg dafür, daß sie sich hier vollständig Herrin des Terrains fühlt und selbst das äußerste wagen darf, ohne daß irgend jemand vorhanden ist, der ihr heimzuleuchten Gelegenheit und Zu¬ hörer genug hätte. Die Schlußwendung: „Wie war das doch so ganz anders

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/264>, abgerufen am 22.07.2024.