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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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lassenden Fußtritt des Herrn Amerikaners, ist diese deutsche Zeitung trotzdem
weder amerikanisch, noch deutsch, noch antideutsch, sie ist vielmehr lediglich im
höchsten Maße gesinnungslos, was die Schönredner "international" nennen,
und gehört zu jener weitverzweigten Koterie kapitalistischer Blätter, die die
Allgewalt und Weltherrschaft des Geldsacks auf ihre Fahne geschrieben haben und
ihre Inspirationen lediglich aus den Komtoirs der großen Börsenjobber be¬
ziehen. Es versteht sich von selbst, daß der Kampf für diese edle Sache unter
einem ganz andern Motto geführt wird, und daß auch unser treffliches Blatt
von wohlmeinenden liberalen Phrasen förmlich überfließt.

In der That, es wird eine wunderliche Aufgabe für einen Geschicht¬
schreiber späterer Tage sein, überall den Zusammenhang zu entwirren, durch
den der Liberalismus nun schon seit Jahrzehnten so vollständig mit der Bank-
und Börsenwelt verquickt ist. Er war von Geburt einer der edelsten Gedanken,
die die Menschheit erzeugt hat, und ist nun doch so anrüchig geworden, daß
es einen jammert. Ursprünglich ein flotter Bursche mit lockcnnmwalltem Haupt
und flammendem Auge, der überall an den Ketten der Menschheit rüttelte und
dem Individuum die geraubte Freiheit zurückzuerobern trachtete, steht er jetzt,
ein abgelebter Greis, im Solde des Mammons, schnarrt als Croupier der
Bvrsenspielhöllc sein monotones: I'Alss votrs jeu und hilft das soziale Elend
vermehren. "Unbeschränkte Ausbeutung des Wehrlosen" -- das ist die Parole,
die verhüllt in hundert verschiednen harmlosen und wohlklingenden Wendungen
immer wiederkehrt, und das Volk, dieser unbelehrbare Rabe, ist stets bereit,
dem Lobgesange des Fuchses zu lauschen und sich sein Stückchen Käse entschlüpfen
zu lassen. Während eine Rotte gewissenloser Demagogen, bei denen man nie¬
mals weiß, wo der Wahnsinn aufhört und der Eigennutz anfängt, die Selbst
Überschätzung der Massen unaufhörlich zum Sieden bringen, während von der
Tribüne herab faustdicke Phrasen von der Entfesselung der Kräfte, von der
einzig rettenden Selbsthilfe, der wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Einzelnen
und so fort unablässig ins Land geschlendert werden, zieht der süße Pöbel,
überzeugt von seiner Gottähnlichkeit, mit schäumendem Maul durch die Straßen:
"Freiheit und immer noch mehr Freiheit" brüllend. Oben aber auf dem Balkon
stehen schmunzelnd die Geldbarone und nicken sich befriedigt zu: "Ausgezeichnet;
es geht immer noch; die Dummen werden nicht alle!"

Es ist tragikomisch, mit anzusehen, wie diese blöde Menge (in Ncwhork
heißt es "das Volk von Souveränen," jeder Straßenkehrer ist ein "Souverän")
sich immer wieder ans Messer liefert, nachdem es Hunderte von malen aus¬
geplündert worden ist; es ist noch interessanter, zu beobachten, in wie geschickter
Weise die Macher immer wieder, wie einst nach dem Berliner Krach, den all-
gemeinen Unwillen auf andre abzulenken gewußt haben. Seit Jahrzehnten
keucht die alte und auch die neue Welt wie ein Lasttier; nie ist mit solchem
Geschick und solchem Fleiß gearbeitet worden, und doch will es fast niemand


lassenden Fußtritt des Herrn Amerikaners, ist diese deutsche Zeitung trotzdem
weder amerikanisch, noch deutsch, noch antideutsch, sie ist vielmehr lediglich im
höchsten Maße gesinnungslos, was die Schönredner „international" nennen,
und gehört zu jener weitverzweigten Koterie kapitalistischer Blätter, die die
Allgewalt und Weltherrschaft des Geldsacks auf ihre Fahne geschrieben haben und
ihre Inspirationen lediglich aus den Komtoirs der großen Börsenjobber be¬
ziehen. Es versteht sich von selbst, daß der Kampf für diese edle Sache unter
einem ganz andern Motto geführt wird, und daß auch unser treffliches Blatt
von wohlmeinenden liberalen Phrasen förmlich überfließt.

In der That, es wird eine wunderliche Aufgabe für einen Geschicht¬
schreiber späterer Tage sein, überall den Zusammenhang zu entwirren, durch
den der Liberalismus nun schon seit Jahrzehnten so vollständig mit der Bank-
und Börsenwelt verquickt ist. Er war von Geburt einer der edelsten Gedanken,
die die Menschheit erzeugt hat, und ist nun doch so anrüchig geworden, daß
es einen jammert. Ursprünglich ein flotter Bursche mit lockcnnmwalltem Haupt
und flammendem Auge, der überall an den Ketten der Menschheit rüttelte und
dem Individuum die geraubte Freiheit zurückzuerobern trachtete, steht er jetzt,
ein abgelebter Greis, im Solde des Mammons, schnarrt als Croupier der
Bvrsenspielhöllc sein monotones: I'Alss votrs jeu und hilft das soziale Elend
vermehren. „Unbeschränkte Ausbeutung des Wehrlosen" — das ist die Parole,
die verhüllt in hundert verschiednen harmlosen und wohlklingenden Wendungen
immer wiederkehrt, und das Volk, dieser unbelehrbare Rabe, ist stets bereit,
dem Lobgesange des Fuchses zu lauschen und sich sein Stückchen Käse entschlüpfen
zu lassen. Während eine Rotte gewissenloser Demagogen, bei denen man nie¬
mals weiß, wo der Wahnsinn aufhört und der Eigennutz anfängt, die Selbst
Überschätzung der Massen unaufhörlich zum Sieden bringen, während von der
Tribüne herab faustdicke Phrasen von der Entfesselung der Kräfte, von der
einzig rettenden Selbsthilfe, der wirtschaftlichen Selbstbestimmung des Einzelnen
und so fort unablässig ins Land geschlendert werden, zieht der süße Pöbel,
überzeugt von seiner Gottähnlichkeit, mit schäumendem Maul durch die Straßen:
„Freiheit und immer noch mehr Freiheit" brüllend. Oben aber auf dem Balkon
stehen schmunzelnd die Geldbarone und nicken sich befriedigt zu: „Ausgezeichnet;
es geht immer noch; die Dummen werden nicht alle!"

Es ist tragikomisch, mit anzusehen, wie diese blöde Menge (in Ncwhork
heißt es „das Volk von Souveränen," jeder Straßenkehrer ist ein „Souverän")
sich immer wieder ans Messer liefert, nachdem es Hunderte von malen aus¬
geplündert worden ist; es ist noch interessanter, zu beobachten, in wie geschickter
Weise die Macher immer wieder, wie einst nach dem Berliner Krach, den all-
gemeinen Unwillen auf andre abzulenken gewußt haben. Seit Jahrzehnten
keucht die alte und auch die neue Welt wie ein Lasttier; nie ist mit solchem
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/263>, abgerufen am 22.07.2024.