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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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George Land im Kriegsjahre ^370.

zählten auf dies Hilfsmittel, um die Familie im Fall der Invasion retten zu
können, weil die Eisenbahnen unzugänglich sind, und die Personenbeförderungs¬
wagen, welche Privatunternehmungen sind, ihren Dienst einstellen, da man ihnen
ihre Pferde nimmt. Hundert Familien find mit uns in gleichem Falle." Es
scheint, daß dieser Protest Berücksichtigung fand, wenigstens äußerte George Sand
am 8. Januar 1871 in einem Briefe an Charles Poney zu Toulon: "Wir
siud noch immer in Nohant, belagert dnrch die Kälte, den Schnee und die Un¬
möglichkeit zu reisen, da die Eisenbahnen nur noch für den Dienst der Armee
fnnktivniren. Wenn der Feind, der uns schon einigemale bedroht hat, in der
That zu uns kommt, so werden wir gezwungen sein, in kleinen Tagereisen weg¬
zugehen. Das wird hart für unsre Kinder in dieser Jahreszeit sein und Gott
weiß, ob die Straßen für Wagen in Stand sind."

Man fühlt diesen späteren Briefen aus der Kriegszeit an, wie der Einzelne
nach und nach immer tiefer in die Mitleidenschaft der allgemeinen Not gezogen
ward. Dazu geht aus der ganzen Korrespondenz deutlich hervor, in welcher
Ungewißheit über den eigentlichen Stand der Dinge die Bevölkerung der mitt¬
leren Departements hinlebte. Noch zur Zeit, als alle französischen ncuorgcmi-
sirten Armeen mehr als einmal entscheidend geschlagen waren, setzten George
Sand und die Ihrigen Hoffnungen auf Chnnzy, erwarteten vom Westen her einen
plötzlichen Umschwung des Kriegsglücks und glaubten, daß der heldenmütige
Widerstand von Paris ius Endlose ausgedehnt werden könne.

Jedenfalls gehörte George Sand zu denjenigen, für welche die Kapitulation
von Paris und der mit dieser verbundene Waffenstillstand den Blitzstrahl abgab,
der alles erhellte, und das Signal, sich offen über Dinge zu äußern, über welche
sie bisher aus Patriotismus geschwiegen hatte. Zuerst wallt ihr warmes, schönes
Mitgefühl an den Leiden andrer auf. Am 29. Januar bringt ihr der Unter-
präfckt von La ClMrc die Kunde, daß vor Paris der letzte Schuß gefallen sei.
Sie ist eben dabei, einen Brief ihres Pariser Freundes Henry Harrisse zu be¬
antworten. "O mein Gott, teurer Freund, eben teilt mir der Unterpräfekt von
La ClMre die Kunde vom Waffenstillstand mit. Ich weiß nicht, ob das der
Friede ist, weiß nicht, welche Zukunft, welche innern Kämpfe, welche neuen
Niederlagen uns noch bedrohen, aber man bombardirt euch nicht mehr, man
tötet nicht mehr die Kinder in den Straßen, aber die Verwüstung und Ver¬
heerung sind unterbrochen, man wird die Verwundeten verbinden, die Kranken
Pflegen können. Das ist ein Ruhepunkt in deu unerträglichen Leiden. Ich
atme ans, meine Kinder wie ich, wir umarmen euch weinend. Weg mit der
Politik, weg mit diesem wilden Heroismus der Partei von Bordeaux, welche
uns zur Verzweiflung herabbringen möchte, und welche ihre Unfähigkeit hinter
einem fanatischen eiteln Phrasentum versteckt, jedes Mitleids bar. Wie fühlt
man, daß Jules Favre eine andre Natur, ein andres Herz hat. Ich bin seit
drei Monaten in heftiger Erbitterung gegen diese abscheuliche Theorie, daß man


George Land im Kriegsjahre ^370.

zählten auf dies Hilfsmittel, um die Familie im Fall der Invasion retten zu
können, weil die Eisenbahnen unzugänglich sind, und die Personenbeförderungs¬
wagen, welche Privatunternehmungen sind, ihren Dienst einstellen, da man ihnen
ihre Pferde nimmt. Hundert Familien find mit uns in gleichem Falle." Es
scheint, daß dieser Protest Berücksichtigung fand, wenigstens äußerte George Sand
am 8. Januar 1871 in einem Briefe an Charles Poney zu Toulon: „Wir
siud noch immer in Nohant, belagert dnrch die Kälte, den Schnee und die Un¬
möglichkeit zu reisen, da die Eisenbahnen nur noch für den Dienst der Armee
fnnktivniren. Wenn der Feind, der uns schon einigemale bedroht hat, in der
That zu uns kommt, so werden wir gezwungen sein, in kleinen Tagereisen weg¬
zugehen. Das wird hart für unsre Kinder in dieser Jahreszeit sein und Gott
weiß, ob die Straßen für Wagen in Stand sind."

Man fühlt diesen späteren Briefen aus der Kriegszeit an, wie der Einzelne
nach und nach immer tiefer in die Mitleidenschaft der allgemeinen Not gezogen
ward. Dazu geht aus der ganzen Korrespondenz deutlich hervor, in welcher
Ungewißheit über den eigentlichen Stand der Dinge die Bevölkerung der mitt¬
leren Departements hinlebte. Noch zur Zeit, als alle französischen ncuorgcmi-
sirten Armeen mehr als einmal entscheidend geschlagen waren, setzten George
Sand und die Ihrigen Hoffnungen auf Chnnzy, erwarteten vom Westen her einen
plötzlichen Umschwung des Kriegsglücks und glaubten, daß der heldenmütige
Widerstand von Paris ius Endlose ausgedehnt werden könne.

Jedenfalls gehörte George Sand zu denjenigen, für welche die Kapitulation
von Paris und der mit dieser verbundene Waffenstillstand den Blitzstrahl abgab,
der alles erhellte, und das Signal, sich offen über Dinge zu äußern, über welche
sie bisher aus Patriotismus geschwiegen hatte. Zuerst wallt ihr warmes, schönes
Mitgefühl an den Leiden andrer auf. Am 29. Januar bringt ihr der Unter-
präfckt von La ClMrc die Kunde, daß vor Paris der letzte Schuß gefallen sei.
Sie ist eben dabei, einen Brief ihres Pariser Freundes Henry Harrisse zu be¬
antworten. „O mein Gott, teurer Freund, eben teilt mir der Unterpräfekt von
La ClMre die Kunde vom Waffenstillstand mit. Ich weiß nicht, ob das der
Friede ist, weiß nicht, welche Zukunft, welche innern Kämpfe, welche neuen
Niederlagen uns noch bedrohen, aber man bombardirt euch nicht mehr, man
tötet nicht mehr die Kinder in den Straßen, aber die Verwüstung und Ver¬
heerung sind unterbrochen, man wird die Verwundeten verbinden, die Kranken
Pflegen können. Das ist ein Ruhepunkt in deu unerträglichen Leiden. Ich
atme ans, meine Kinder wie ich, wir umarmen euch weinend. Weg mit der
Politik, weg mit diesem wilden Heroismus der Partei von Bordeaux, welche
uns zur Verzweiflung herabbringen möchte, und welche ihre Unfähigkeit hinter
einem fanatischen eiteln Phrasentum versteckt, jedes Mitleids bar. Wie fühlt
man, daß Jules Favre eine andre Natur, ein andres Herz hat. Ich bin seit
drei Monaten in heftiger Erbitterung gegen diese abscheuliche Theorie, daß man


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[0259] George Land im Kriegsjahre ^370. zählten auf dies Hilfsmittel, um die Familie im Fall der Invasion retten zu können, weil die Eisenbahnen unzugänglich sind, und die Personenbeförderungs¬ wagen, welche Privatunternehmungen sind, ihren Dienst einstellen, da man ihnen ihre Pferde nimmt. Hundert Familien find mit uns in gleichem Falle." Es scheint, daß dieser Protest Berücksichtigung fand, wenigstens äußerte George Sand am 8. Januar 1871 in einem Briefe an Charles Poney zu Toulon: „Wir siud noch immer in Nohant, belagert dnrch die Kälte, den Schnee und die Un¬ möglichkeit zu reisen, da die Eisenbahnen nur noch für den Dienst der Armee fnnktivniren. Wenn der Feind, der uns schon einigemale bedroht hat, in der That zu uns kommt, so werden wir gezwungen sein, in kleinen Tagereisen weg¬ zugehen. Das wird hart für unsre Kinder in dieser Jahreszeit sein und Gott weiß, ob die Straßen für Wagen in Stand sind." Man fühlt diesen späteren Briefen aus der Kriegszeit an, wie der Einzelne nach und nach immer tiefer in die Mitleidenschaft der allgemeinen Not gezogen ward. Dazu geht aus der ganzen Korrespondenz deutlich hervor, in welcher Ungewißheit über den eigentlichen Stand der Dinge die Bevölkerung der mitt¬ leren Departements hinlebte. Noch zur Zeit, als alle französischen ncuorgcmi- sirten Armeen mehr als einmal entscheidend geschlagen waren, setzten George Sand und die Ihrigen Hoffnungen auf Chnnzy, erwarteten vom Westen her einen plötzlichen Umschwung des Kriegsglücks und glaubten, daß der heldenmütige Widerstand von Paris ius Endlose ausgedehnt werden könne. Jedenfalls gehörte George Sand zu denjenigen, für welche die Kapitulation von Paris und der mit dieser verbundene Waffenstillstand den Blitzstrahl abgab, der alles erhellte, und das Signal, sich offen über Dinge zu äußern, über welche sie bisher aus Patriotismus geschwiegen hatte. Zuerst wallt ihr warmes, schönes Mitgefühl an den Leiden andrer auf. Am 29. Januar bringt ihr der Unter- präfckt von La ClMrc die Kunde, daß vor Paris der letzte Schuß gefallen sei. Sie ist eben dabei, einen Brief ihres Pariser Freundes Henry Harrisse zu be¬ antworten. „O mein Gott, teurer Freund, eben teilt mir der Unterpräfekt von La ClMre die Kunde vom Waffenstillstand mit. Ich weiß nicht, ob das der Friede ist, weiß nicht, welche Zukunft, welche innern Kämpfe, welche neuen Niederlagen uns noch bedrohen, aber man bombardirt euch nicht mehr, man tötet nicht mehr die Kinder in den Straßen, aber die Verwüstung und Ver¬ heerung sind unterbrochen, man wird die Verwundeten verbinden, die Kranken Pflegen können. Das ist ein Ruhepunkt in deu unerträglichen Leiden. Ich atme ans, meine Kinder wie ich, wir umarmen euch weinend. Weg mit der Politik, weg mit diesem wilden Heroismus der Partei von Bordeaux, welche uns zur Verzweiflung herabbringen möchte, und welche ihre Unfähigkeit hinter einem fanatischen eiteln Phrasentum versteckt, jedes Mitleids bar. Wie fühlt man, daß Jules Favre eine andre Natur, ein andres Herz hat. Ich bin seit drei Monaten in heftiger Erbitterung gegen diese abscheuliche Theorie, daß man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/259>, abgerufen am 22.07.2024.