Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Geer'go San!) im Kriegsjahre ^370.

Deutschen aus Orleans und die kurze Vorwärtsbewegung der französische"
Lvirearmee geknüpft hatte, machten bald ernsten Sorgen über die erneuten Siege
der Heerteile Prinz Friedrich Karls, des Großherzogs von Mecklenburg und
des bairischen Generals von der Tann Platz, Am 4, Dezember ward Orleans
zum zweitenmale erobert, am 1.^. Dezember Blois von den Deutschen besetzt,
damit rückte der Krieg George Sands Heimat und dem Gute, auf dem sie mit
den Ihren in banger Erwartung saß, immer näher. Dem überheißen Sommer
war eil, für Zentralfraukrcich überaus harter Winter gefolgt. "Man erstarrt
am Kamin, Und wenn man an Euch denkt, ist man tief niedergeschlagen, man wirft
sich das Brot vor, das man ißt, und das Holz, das man verbrennt," schrieb
George Sand um 7, Dezember an ihren jungen Neffen Ebene Simonnet, der
in Revers unter den "MoblotS" einexerzirt wurde. Am 12. Januar berichtete
sie dem jungen Leutnant: "Wir haben hier einen Fuß hoch Schnee, und man
zittert vor Frost im Bett," An Edmond Plauchut in Paris richtete sie unterm
29. Dezember einen Brief, der wahrscheinlich mit der Taubenpost die Haupt¬
stadt erreichte: "Wir haben einen traurigen Weihnachtstag verlebt und der
Neujahrstag wird nicht minder traurig sein. Der kleine Ebene und Antoine
sind abgereist, mvbilisirt, Henri, unser junger Gärtner, ist Sergeantmajor.
Maurice wollte auch gehen, hat aber doch eingesehen, daß er nicht eine junge
Frau, eine alte Mutter und zwei kleine Kinder angesichts einer drohenden In¬
vasion völlig allein lassen kaun. Die Familien sind in der Obhut Gottes ge¬
lassen, keine Männer, keine Flinten, keine Pferde. Man hat alles requirirt.
Ich sage nicht, daß das nicht sein muß, aber man darf nun auch diejenigen
nicht Feige nennen, welche ihren Herd nicht verteidigen können. Wenn der
Feind kommt, werden wir uns entfernen." Daß diese Entfernung, falls sie
notwendig geworden wäre, keine leichte gewesen sein würde, geht zuerst aus
einem beweglichen Schreiben der Dichterin an den Justizminister Adolphe
Cremieux in Bordeaux (die "Delegation" der in Paris blokirten Regierung
war seit Anfang Dezember von Tours nach Bordeaux übergesiedelt) vom
28, Dezember 1870 hervor. George Sand erhebt hier einen förmlichen Protest
gegen ein drakonisches Gesetz, welches alle Pferde, die nicht direkt zur Arbeit,
zum Lebensunterhalte ihres Besitzers gebraucht würden, für requisitiousfähig
erklärt hatte. "Euer Dekret, nach dem Buchstaben genommen von den Remonte-
vffiziercn, muß eine tiefe Bestürzung hervorrufen. Was uns persönlich anbe¬
trifft, so haben wir in unsrer ganzen Gutsverwnltung nichts als zwei Stuten,
und da Nur auf dem Lande ganz isolirt leben, was sollen wir thun, wenn mau
sie uns wegnimmt? Mir wäre es recht, wenn man mich vom Leben befreite,
aber soll ich meine Schwiegertochter und meine beiden kleinen Enkel den Be¬
leidigungen und Grausaml'eilen des Feindes aussetzen? Wir haben einen alten
Wagen und zwei arme Tiere, es würde uns vollständig unmöglich sein, sie zu
ersetze", schon in gewöhnlichen Zeiten würde das schwer genug halten. Wir


Geer'go San!) im Kriegsjahre ^370.

Deutschen aus Orleans und die kurze Vorwärtsbewegung der französische»
Lvirearmee geknüpft hatte, machten bald ernsten Sorgen über die erneuten Siege
der Heerteile Prinz Friedrich Karls, des Großherzogs von Mecklenburg und
des bairischen Generals von der Tann Platz, Am 4, Dezember ward Orleans
zum zweitenmale erobert, am 1.^. Dezember Blois von den Deutschen besetzt,
damit rückte der Krieg George Sands Heimat und dem Gute, auf dem sie mit
den Ihren in banger Erwartung saß, immer näher. Dem überheißen Sommer
war eil, für Zentralfraukrcich überaus harter Winter gefolgt. „Man erstarrt
am Kamin, Und wenn man an Euch denkt, ist man tief niedergeschlagen, man wirft
sich das Brot vor, das man ißt, und das Holz, das man verbrennt," schrieb
George Sand um 7, Dezember an ihren jungen Neffen Ebene Simonnet, der
in Revers unter den „MoblotS" einexerzirt wurde. Am 12. Januar berichtete
sie dem jungen Leutnant: „Wir haben hier einen Fuß hoch Schnee, und man
zittert vor Frost im Bett," An Edmond Plauchut in Paris richtete sie unterm
29. Dezember einen Brief, der wahrscheinlich mit der Taubenpost die Haupt¬
stadt erreichte: „Wir haben einen traurigen Weihnachtstag verlebt und der
Neujahrstag wird nicht minder traurig sein. Der kleine Ebene und Antoine
sind abgereist, mvbilisirt, Henri, unser junger Gärtner, ist Sergeantmajor.
Maurice wollte auch gehen, hat aber doch eingesehen, daß er nicht eine junge
Frau, eine alte Mutter und zwei kleine Kinder angesichts einer drohenden In¬
vasion völlig allein lassen kaun. Die Familien sind in der Obhut Gottes ge¬
lassen, keine Männer, keine Flinten, keine Pferde. Man hat alles requirirt.
Ich sage nicht, daß das nicht sein muß, aber man darf nun auch diejenigen
nicht Feige nennen, welche ihren Herd nicht verteidigen können. Wenn der
Feind kommt, werden wir uns entfernen." Daß diese Entfernung, falls sie
notwendig geworden wäre, keine leichte gewesen sein würde, geht zuerst aus
einem beweglichen Schreiben der Dichterin an den Justizminister Adolphe
Cremieux in Bordeaux (die „Delegation" der in Paris blokirten Regierung
war seit Anfang Dezember von Tours nach Bordeaux übergesiedelt) vom
28, Dezember 1870 hervor. George Sand erhebt hier einen förmlichen Protest
gegen ein drakonisches Gesetz, welches alle Pferde, die nicht direkt zur Arbeit,
zum Lebensunterhalte ihres Besitzers gebraucht würden, für requisitiousfähig
erklärt hatte. „Euer Dekret, nach dem Buchstaben genommen von den Remonte-
vffiziercn, muß eine tiefe Bestürzung hervorrufen. Was uns persönlich anbe¬
trifft, so haben wir in unsrer ganzen Gutsverwnltung nichts als zwei Stuten,
und da Nur auf dem Lande ganz isolirt leben, was sollen wir thun, wenn mau
sie uns wegnimmt? Mir wäre es recht, wenn man mich vom Leben befreite,
aber soll ich meine Schwiegertochter und meine beiden kleinen Enkel den Be¬
leidigungen und Grausaml'eilen des Feindes aussetzen? Wir haben einen alten
Wagen und zwei arme Tiere, es würde uns vollständig unmöglich sein, sie zu
ersetze», schon in gewöhnlichen Zeiten würde das schwer genug halten. Wir


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0258" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195647"/>
          <fw type="header" place="top"> Geer'go San!) im Kriegsjahre ^370.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_887" prev="#ID_886" next="#ID_888"> Deutschen aus Orleans und die kurze Vorwärtsbewegung der französische»<lb/>
Lvirearmee geknüpft hatte, machten bald ernsten Sorgen über die erneuten Siege<lb/>
der Heerteile Prinz Friedrich Karls, des Großherzogs von Mecklenburg und<lb/>
des bairischen Generals von der Tann Platz, Am 4, Dezember ward Orleans<lb/>
zum zweitenmale erobert, am 1.^. Dezember Blois von den Deutschen besetzt,<lb/>
damit rückte der Krieg George Sands Heimat und dem Gute, auf dem sie mit<lb/>
den Ihren in banger Erwartung saß, immer näher. Dem überheißen Sommer<lb/>
war eil, für Zentralfraukrcich überaus harter Winter gefolgt. &#x201E;Man erstarrt<lb/>
am Kamin, Und wenn man an Euch denkt, ist man tief niedergeschlagen, man wirft<lb/>
sich das Brot vor, das man ißt, und das Holz, das man verbrennt," schrieb<lb/>
George Sand um 7, Dezember an ihren jungen Neffen Ebene Simonnet, der<lb/>
in Revers unter den &#x201E;MoblotS" einexerzirt wurde. Am 12. Januar berichtete<lb/>
sie dem jungen Leutnant: &#x201E;Wir haben hier einen Fuß hoch Schnee, und man<lb/>
zittert vor Frost im Bett," An Edmond Plauchut in Paris richtete sie unterm<lb/>
29. Dezember einen Brief, der wahrscheinlich mit der Taubenpost die Haupt¬<lb/>
stadt erreichte: &#x201E;Wir haben einen traurigen Weihnachtstag verlebt und der<lb/>
Neujahrstag wird nicht minder traurig sein. Der kleine Ebene und Antoine<lb/>
sind abgereist, mvbilisirt, Henri, unser junger Gärtner, ist Sergeantmajor.<lb/>
Maurice wollte auch gehen, hat aber doch eingesehen, daß er nicht eine junge<lb/>
Frau, eine alte Mutter und zwei kleine Kinder angesichts einer drohenden In¬<lb/>
vasion völlig allein lassen kaun. Die Familien sind in der Obhut Gottes ge¬<lb/>
lassen, keine Männer, keine Flinten, keine Pferde. Man hat alles requirirt.<lb/>
Ich sage nicht, daß das nicht sein muß, aber man darf nun auch diejenigen<lb/>
nicht Feige nennen, welche ihren Herd nicht verteidigen können. Wenn der<lb/>
Feind kommt, werden wir uns entfernen." Daß diese Entfernung, falls sie<lb/>
notwendig geworden wäre, keine leichte gewesen sein würde, geht zuerst aus<lb/>
einem beweglichen Schreiben der Dichterin an den Justizminister Adolphe<lb/>
Cremieux in Bordeaux (die &#x201E;Delegation" der in Paris blokirten Regierung<lb/>
war seit Anfang Dezember von Tours nach Bordeaux übergesiedelt) vom<lb/>
28, Dezember 1870 hervor. George Sand erhebt hier einen förmlichen Protest<lb/>
gegen ein drakonisches Gesetz, welches alle Pferde, die nicht direkt zur Arbeit,<lb/>
zum Lebensunterhalte ihres Besitzers gebraucht würden, für requisitiousfähig<lb/>
erklärt hatte. &#x201E;Euer Dekret, nach dem Buchstaben genommen von den Remonte-<lb/>
vffiziercn, muß eine tiefe Bestürzung hervorrufen. Was uns persönlich anbe¬<lb/>
trifft, so haben wir in unsrer ganzen Gutsverwnltung nichts als zwei Stuten,<lb/>
und da Nur auf dem Lande ganz isolirt leben, was sollen wir thun, wenn mau<lb/>
sie uns wegnimmt? Mir wäre es recht, wenn man mich vom Leben befreite,<lb/>
aber soll ich meine Schwiegertochter und meine beiden kleinen Enkel den Be¬<lb/>
leidigungen und Grausaml'eilen des Feindes aussetzen? Wir haben einen alten<lb/>
Wagen und zwei arme Tiere, es würde uns vollständig unmöglich sein, sie zu<lb/>
ersetze», schon in gewöhnlichen Zeiten würde das schwer genug halten. Wir</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0258] Geer'go San!) im Kriegsjahre ^370. Deutschen aus Orleans und die kurze Vorwärtsbewegung der französische» Lvirearmee geknüpft hatte, machten bald ernsten Sorgen über die erneuten Siege der Heerteile Prinz Friedrich Karls, des Großherzogs von Mecklenburg und des bairischen Generals von der Tann Platz, Am 4, Dezember ward Orleans zum zweitenmale erobert, am 1.^. Dezember Blois von den Deutschen besetzt, damit rückte der Krieg George Sands Heimat und dem Gute, auf dem sie mit den Ihren in banger Erwartung saß, immer näher. Dem überheißen Sommer war eil, für Zentralfraukrcich überaus harter Winter gefolgt. „Man erstarrt am Kamin, Und wenn man an Euch denkt, ist man tief niedergeschlagen, man wirft sich das Brot vor, das man ißt, und das Holz, das man verbrennt," schrieb George Sand um 7, Dezember an ihren jungen Neffen Ebene Simonnet, der in Revers unter den „MoblotS" einexerzirt wurde. Am 12. Januar berichtete sie dem jungen Leutnant: „Wir haben hier einen Fuß hoch Schnee, und man zittert vor Frost im Bett," An Edmond Plauchut in Paris richtete sie unterm 29. Dezember einen Brief, der wahrscheinlich mit der Taubenpost die Haupt¬ stadt erreichte: „Wir haben einen traurigen Weihnachtstag verlebt und der Neujahrstag wird nicht minder traurig sein. Der kleine Ebene und Antoine sind abgereist, mvbilisirt, Henri, unser junger Gärtner, ist Sergeantmajor. Maurice wollte auch gehen, hat aber doch eingesehen, daß er nicht eine junge Frau, eine alte Mutter und zwei kleine Kinder angesichts einer drohenden In¬ vasion völlig allein lassen kaun. Die Familien sind in der Obhut Gottes ge¬ lassen, keine Männer, keine Flinten, keine Pferde. Man hat alles requirirt. Ich sage nicht, daß das nicht sein muß, aber man darf nun auch diejenigen nicht Feige nennen, welche ihren Herd nicht verteidigen können. Wenn der Feind kommt, werden wir uns entfernen." Daß diese Entfernung, falls sie notwendig geworden wäre, keine leichte gewesen sein würde, geht zuerst aus einem beweglichen Schreiben der Dichterin an den Justizminister Adolphe Cremieux in Bordeaux (die „Delegation" der in Paris blokirten Regierung war seit Anfang Dezember von Tours nach Bordeaux übergesiedelt) vom 28, Dezember 1870 hervor. George Sand erhebt hier einen förmlichen Protest gegen ein drakonisches Gesetz, welches alle Pferde, die nicht direkt zur Arbeit, zum Lebensunterhalte ihres Besitzers gebraucht würden, für requisitiousfähig erklärt hatte. „Euer Dekret, nach dem Buchstaben genommen von den Remonte- vffiziercn, muß eine tiefe Bestürzung hervorrufen. Was uns persönlich anbe¬ trifft, so haben wir in unsrer ganzen Gutsverwnltung nichts als zwei Stuten, und da Nur auf dem Lande ganz isolirt leben, was sollen wir thun, wenn mau sie uns wegnimmt? Mir wäre es recht, wenn man mich vom Leben befreite, aber soll ich meine Schwiegertochter und meine beiden kleinen Enkel den Be¬ leidigungen und Grausaml'eilen des Feindes aussetzen? Wir haben einen alten Wagen und zwei arme Tiere, es würde uns vollständig unmöglich sein, sie zu ersetze», schon in gewöhnlichen Zeiten würde das schwer genug halten. Wir

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/258
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/258>, abgerufen am 22.07.2024.