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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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George Sand im Ariegsjahro ^370,

leader schrieb sie an Madame Adam nach der Hauptstadt mit dem Zweifel, ob
der Brief die Adressaten noch vor der Einschließung erreichen werde. Wiederum
war alles Trauer und Schmerz fiir die hochherzige Frau, die sich übrigens
auch unter diesen Umständen besonnener und gerechter zeigte als die meisten
ihrer Landsleute. Am 13. September schilderte sie die besondre Lage in ihrer
Heimatprovinz an Edmvnd Plciuchut und gestand dabei: "Wir sind hier von
Banditen und Landstreichern bedroht, welche mehr zu fürchten sind als die
deutschen Soldaten. Wir haben einen neuen Präfekten, aber er giebt kein
Lebenszeichen, um die seßhaften Nationalgarten zu organisiren und zu be¬
waffnen."

Gleichzeitig ward die Gegend von Nohant und das Dorf selbst von einer
Blatternepidemie heimgesucht, vor welcher George Saud und ihre Schwieger¬
tochter mit ihren Kindern zuerst nach dem Gute Voussae in einem andern
Winkel des Berry und dann nach La ClMre flüchteten. Sie hatten einen
Augenblick davon geträumt, nach dem Süden, nach Nimes oder Montpellier zu
gehen, aber da Maurice Sand, wie es in der Ordnung war, in seiner Heimat
zu bleiben und sich zur Verfügung zu halten gedachte, wenn das allgemeine
Aufgebot wirklich erfolgte, so mochten ihn die Frauen nicht verlassen. Sie
waren mutig, aber der flüchtige Enthusiasmus des September verflog völlig vor
der grausamen Wirklichkeit. Am 11. Oktober schrieb George Sand aus La ChiUre
an Gustave Flaubert: "Wir sind in die nächste Nähe unsers verlassenen Herdes
zurückgekehrt und erwarten die Ereignisse. Alles sagen, was für die Befestigung
der Republik im Schooße unsrer Provinzen gefährlich und beunruhigend ist,
würde höchst unnütz sein! Es gilt sich keine Illusionen zu macheu: man setzt
alles für alles ein, und das Eude wird vielleicht der Orleauismus werde!?.
Aber wir siud so in der Gewalt des Unvorhergesehenen, daß es mir kindisch
erscheint, Vvranssichten haben zu wollen; die Aufgabe ist, der nächsten Nieder¬
lage zu entgehen. . . . Wir sagen nicht, daß dies unmöglich sei, wir glauben es
nicht. Wir verzweifeln nicht an Frankreich! Es unterwirft sich einer Buße seines
Wahnsinns, es wird wiedergeboren werden, was anch geschehe. Wir werden viel¬
leicht darüber hinweggerafft. Sterben an einer Vrnstcntzündung oder von einer
Kugel ist immer sterben. Sterben wir, ohne unser Geschlecht zu verwünschen!" Dem
Prinzen Napoleon gegenüber, dem sie im November und Dezember ein paar cha¬
rakteristische Briefe schrieb, nahm sie freilich die Miene an, ihn zu beglückwünschen,
daß er jetzt seine persönliche Sache und Anschauung vou der Sache und An¬
schauung der kaiserlichen Dynastie trennen könne, betonte ihre republikanischen
Hoffnungen und verteidigte Gambetta und seine Diktatur. Wie sie in Wahrheit
über letztere schon zu dieser Zeit dachte, sollte wenige Wochen später zu tage
treten, einstweilen vergegenwärtigten ihre Briefe charakteristisch das Elend und
die Bedrängnis, welchen nun auch die Landschaften des mittleren Frankreichs
ausgesetzt waren. Die Erwartungen, die man an die Zurückdrängung der


George Sand im Ariegsjahro ^370,

leader schrieb sie an Madame Adam nach der Hauptstadt mit dem Zweifel, ob
der Brief die Adressaten noch vor der Einschließung erreichen werde. Wiederum
war alles Trauer und Schmerz fiir die hochherzige Frau, die sich übrigens
auch unter diesen Umständen besonnener und gerechter zeigte als die meisten
ihrer Landsleute. Am 13. September schilderte sie die besondre Lage in ihrer
Heimatprovinz an Edmvnd Plciuchut und gestand dabei: „Wir sind hier von
Banditen und Landstreichern bedroht, welche mehr zu fürchten sind als die
deutschen Soldaten. Wir haben einen neuen Präfekten, aber er giebt kein
Lebenszeichen, um die seßhaften Nationalgarten zu organisiren und zu be¬
waffnen."

Gleichzeitig ward die Gegend von Nohant und das Dorf selbst von einer
Blatternepidemie heimgesucht, vor welcher George Saud und ihre Schwieger¬
tochter mit ihren Kindern zuerst nach dem Gute Voussae in einem andern
Winkel des Berry und dann nach La ClMre flüchteten. Sie hatten einen
Augenblick davon geträumt, nach dem Süden, nach Nimes oder Montpellier zu
gehen, aber da Maurice Sand, wie es in der Ordnung war, in seiner Heimat
zu bleiben und sich zur Verfügung zu halten gedachte, wenn das allgemeine
Aufgebot wirklich erfolgte, so mochten ihn die Frauen nicht verlassen. Sie
waren mutig, aber der flüchtige Enthusiasmus des September verflog völlig vor
der grausamen Wirklichkeit. Am 11. Oktober schrieb George Sand aus La ChiUre
an Gustave Flaubert: „Wir sind in die nächste Nähe unsers verlassenen Herdes
zurückgekehrt und erwarten die Ereignisse. Alles sagen, was für die Befestigung
der Republik im Schooße unsrer Provinzen gefährlich und beunruhigend ist,
würde höchst unnütz sein! Es gilt sich keine Illusionen zu macheu: man setzt
alles für alles ein, und das Eude wird vielleicht der Orleauismus werde!?.
Aber wir siud so in der Gewalt des Unvorhergesehenen, daß es mir kindisch
erscheint, Vvranssichten haben zu wollen; die Aufgabe ist, der nächsten Nieder¬
lage zu entgehen. . . . Wir sagen nicht, daß dies unmöglich sei, wir glauben es
nicht. Wir verzweifeln nicht an Frankreich! Es unterwirft sich einer Buße seines
Wahnsinns, es wird wiedergeboren werden, was anch geschehe. Wir werden viel¬
leicht darüber hinweggerafft. Sterben an einer Vrnstcntzündung oder von einer
Kugel ist immer sterben. Sterben wir, ohne unser Geschlecht zu verwünschen!" Dem
Prinzen Napoleon gegenüber, dem sie im November und Dezember ein paar cha¬
rakteristische Briefe schrieb, nahm sie freilich die Miene an, ihn zu beglückwünschen,
daß er jetzt seine persönliche Sache und Anschauung vou der Sache und An¬
schauung der kaiserlichen Dynastie trennen könne, betonte ihre republikanischen
Hoffnungen und verteidigte Gambetta und seine Diktatur. Wie sie in Wahrheit
über letztere schon zu dieser Zeit dachte, sollte wenige Wochen später zu tage
treten, einstweilen vergegenwärtigten ihre Briefe charakteristisch das Elend und
die Bedrängnis, welchen nun auch die Landschaften des mittleren Frankreichs
ausgesetzt waren. Die Erwartungen, die man an die Zurückdrängung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/257>, abgerufen am 22.07.2024.