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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Dstpreußische Skizzen.

Aufenthalt ein trister und einförmiger, und die Stadt ist ohne Zweifel die letzte
unter den hervorragenden Städten der Provinz.

Nun folgen einige Mittelstädte von 6- bis 8000 Einwohnern: Nasteuburg,
Osterode, Lyck, Braunsberg; in nicht ferner Zeit werden Goldap und Bartcustcin
sich denselben anreihen. Alle diese Städte sind lebhaft, sauber und ansehnlich
und gebe" in ihrem offenbaren Aufblühen ein erfreuliches Bild von der
in Ostpreußen vor sich gehenden Entwicklung, besonders die an den Hanpt-
bahnlinicn gelegnen. Nasteuburg hat außerdem seine Zuckerfabrik und seine
neue Arbeiterkolvnie Karlshos, Osterode seine reizende Lage, Braunsberg seine
Eigenschaft als kirchliche Hauptstadt des Ermlandcs. Bis hierher ist anch für
des Körpers Notdurft noch trefflich gesorgt; "Hotel Thnleweit" in Nastenbnrg
gilt für das beste Hotel der ganzen Provinz.

Wer, der sich das Land Ostpreußen als ein ödes und halbbarbarisches
vorstellt, würde nun wohl glauben, daß es außerdem "och wohlgezählt zwei-
undfünfzig Städte und acht ansehnliche Flecken, darunter zwei Kreishanptortc,
in der Provinz giebt? Es ist wahr, daß sich unter den Städten einige arm¬
selige Nester finden, und daß auch die meisten übrigen weder viel Interessantes
noch viel Erquickliches darbieten; aber es sind doch anch welche darunter,
deren auch das Rheinland und Sachsen sich nicht zu schämen hätten. Nur
das geistige und öffentliche Leben ist allerdings verhältnismäßig schwächer
entwickelt, und wenn schon die Hauptstädte der Provinz nur wenig von aus'
geprägten Lokalcharakter haben, so findet dies natürlich auf die weitaus meisten
kleinen Städte noch eine viel stärkere Anwendung. Viele derselben sind recht
eigentliche Ackerstädtcheu; in andern dominirt das Landratsamt oder das
Gymnasium (Hohenstein) oder sonst eine am Orte befindliche Anstalt (Tapian,
Rhein), noch in andern hat sich ein lebhaftes gewerbliches Leben herausgebildet
bez. erhalten. Unterkommen läßt sich zur Not überall, doch ist dem Fremden
hinsichtlich der Betten Vorsicht anzuraten. Auch passirt es wohl, daß der Wirt,
um seine Logirgäste unbekümmert, im Lokale nebenan eine Tanzmusik bis an
den hellen lichten Morgen abhalten läßt. Überhaupt sind die Wirte im all¬
gemeinen weder entgegenkommend noch auf die Behaglichkeit ihrer Gäste sonderlich
bedacht, vielmehr stark geneigt, sich von vornherein als eine Art Respektspersonen
aufzufassen. Das Wirtshaus- und Gasthausleben ist nicht die starke Seite
Ostpreußens. Doch beginnt es sich in bezug ans die Verpflegung mit Speise
und Trank selbst in den abgelegensten Städtchen zu bessern, und selbst auf dem
Lande ist man hie und da ganz vorzüglich aufgehoben.

Von den Städten sind die Gewerbe unzertrennbar. Mit einer Gewerbe¬
thätigkeit, die über die handwerkliche für den täglichen Bedarf hinaufginge, ist
es aber in Ostpreußen schwach bestellt, was in dem Mangel an Mineralien
und vielleicht uoch mehr in dem Mangel eines Hinterlandes seinen sehr natür¬
lichen Grund hat. Doch ist neuerdings von Braunkohlenfunden die Rede, und


Dstpreußische Skizzen.

Aufenthalt ein trister und einförmiger, und die Stadt ist ohne Zweifel die letzte
unter den hervorragenden Städten der Provinz.

Nun folgen einige Mittelstädte von 6- bis 8000 Einwohnern: Nasteuburg,
Osterode, Lyck, Braunsberg; in nicht ferner Zeit werden Goldap und Bartcustcin
sich denselben anreihen. Alle diese Städte sind lebhaft, sauber und ansehnlich
und gebe» in ihrem offenbaren Aufblühen ein erfreuliches Bild von der
in Ostpreußen vor sich gehenden Entwicklung, besonders die an den Hanpt-
bahnlinicn gelegnen. Nasteuburg hat außerdem seine Zuckerfabrik und seine
neue Arbeiterkolvnie Karlshos, Osterode seine reizende Lage, Braunsberg seine
Eigenschaft als kirchliche Hauptstadt des Ermlandcs. Bis hierher ist anch für
des Körpers Notdurft noch trefflich gesorgt; „Hotel Thnleweit" in Nastenbnrg
gilt für das beste Hotel der ganzen Provinz.

Wer, der sich das Land Ostpreußen als ein ödes und halbbarbarisches
vorstellt, würde nun wohl glauben, daß es außerdem »och wohlgezählt zwei-
undfünfzig Städte und acht ansehnliche Flecken, darunter zwei Kreishanptortc,
in der Provinz giebt? Es ist wahr, daß sich unter den Städten einige arm¬
selige Nester finden, und daß auch die meisten übrigen weder viel Interessantes
noch viel Erquickliches darbieten; aber es sind doch anch welche darunter,
deren auch das Rheinland und Sachsen sich nicht zu schämen hätten. Nur
das geistige und öffentliche Leben ist allerdings verhältnismäßig schwächer
entwickelt, und wenn schon die Hauptstädte der Provinz nur wenig von aus'
geprägten Lokalcharakter haben, so findet dies natürlich auf die weitaus meisten
kleinen Städte noch eine viel stärkere Anwendung. Viele derselben sind recht
eigentliche Ackerstädtcheu; in andern dominirt das Landratsamt oder das
Gymnasium (Hohenstein) oder sonst eine am Orte befindliche Anstalt (Tapian,
Rhein), noch in andern hat sich ein lebhaftes gewerbliches Leben herausgebildet
bez. erhalten. Unterkommen läßt sich zur Not überall, doch ist dem Fremden
hinsichtlich der Betten Vorsicht anzuraten. Auch passirt es wohl, daß der Wirt,
um seine Logirgäste unbekümmert, im Lokale nebenan eine Tanzmusik bis an
den hellen lichten Morgen abhalten läßt. Überhaupt sind die Wirte im all¬
gemeinen weder entgegenkommend noch auf die Behaglichkeit ihrer Gäste sonderlich
bedacht, vielmehr stark geneigt, sich von vornherein als eine Art Respektspersonen
aufzufassen. Das Wirtshaus- und Gasthausleben ist nicht die starke Seite
Ostpreußens. Doch beginnt es sich in bezug ans die Verpflegung mit Speise
und Trank selbst in den abgelegensten Städtchen zu bessern, und selbst auf dem
Lande ist man hie und da ganz vorzüglich aufgehoben.

Von den Städten sind die Gewerbe unzertrennbar. Mit einer Gewerbe¬
thätigkeit, die über die handwerkliche für den täglichen Bedarf hinaufginge, ist
es aber in Ostpreußen schwach bestellt, was in dem Mangel an Mineralien
und vielleicht uoch mehr in dem Mangel eines Hinterlandes seinen sehr natür¬
lichen Grund hat. Doch ist neuerdings von Braunkohlenfunden die Rede, und


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[0240] Dstpreußische Skizzen. Aufenthalt ein trister und einförmiger, und die Stadt ist ohne Zweifel die letzte unter den hervorragenden Städten der Provinz. Nun folgen einige Mittelstädte von 6- bis 8000 Einwohnern: Nasteuburg, Osterode, Lyck, Braunsberg; in nicht ferner Zeit werden Goldap und Bartcustcin sich denselben anreihen. Alle diese Städte sind lebhaft, sauber und ansehnlich und gebe» in ihrem offenbaren Aufblühen ein erfreuliches Bild von der in Ostpreußen vor sich gehenden Entwicklung, besonders die an den Hanpt- bahnlinicn gelegnen. Nasteuburg hat außerdem seine Zuckerfabrik und seine neue Arbeiterkolvnie Karlshos, Osterode seine reizende Lage, Braunsberg seine Eigenschaft als kirchliche Hauptstadt des Ermlandcs. Bis hierher ist anch für des Körpers Notdurft noch trefflich gesorgt; „Hotel Thnleweit" in Nastenbnrg gilt für das beste Hotel der ganzen Provinz. Wer, der sich das Land Ostpreußen als ein ödes und halbbarbarisches vorstellt, würde nun wohl glauben, daß es außerdem »och wohlgezählt zwei- undfünfzig Städte und acht ansehnliche Flecken, darunter zwei Kreishanptortc, in der Provinz giebt? Es ist wahr, daß sich unter den Städten einige arm¬ selige Nester finden, und daß auch die meisten übrigen weder viel Interessantes noch viel Erquickliches darbieten; aber es sind doch anch welche darunter, deren auch das Rheinland und Sachsen sich nicht zu schämen hätten. Nur das geistige und öffentliche Leben ist allerdings verhältnismäßig schwächer entwickelt, und wenn schon die Hauptstädte der Provinz nur wenig von aus' geprägten Lokalcharakter haben, so findet dies natürlich auf die weitaus meisten kleinen Städte noch eine viel stärkere Anwendung. Viele derselben sind recht eigentliche Ackerstädtcheu; in andern dominirt das Landratsamt oder das Gymnasium (Hohenstein) oder sonst eine am Orte befindliche Anstalt (Tapian, Rhein), noch in andern hat sich ein lebhaftes gewerbliches Leben herausgebildet bez. erhalten. Unterkommen läßt sich zur Not überall, doch ist dem Fremden hinsichtlich der Betten Vorsicht anzuraten. Auch passirt es wohl, daß der Wirt, um seine Logirgäste unbekümmert, im Lokale nebenan eine Tanzmusik bis an den hellen lichten Morgen abhalten läßt. Überhaupt sind die Wirte im all¬ gemeinen weder entgegenkommend noch auf die Behaglichkeit ihrer Gäste sonderlich bedacht, vielmehr stark geneigt, sich von vornherein als eine Art Respektspersonen aufzufassen. Das Wirtshaus- und Gasthausleben ist nicht die starke Seite Ostpreußens. Doch beginnt es sich in bezug ans die Verpflegung mit Speise und Trank selbst in den abgelegensten Städtchen zu bessern, und selbst auf dem Lande ist man hie und da ganz vorzüglich aufgehoben. Von den Städten sind die Gewerbe unzertrennbar. Mit einer Gewerbe¬ thätigkeit, die über die handwerkliche für den täglichen Bedarf hinaufginge, ist es aber in Ostpreußen schwach bestellt, was in dem Mangel an Mineralien und vielleicht uoch mehr in dem Mangel eines Hinterlandes seinen sehr natür¬ lichen Grund hat. Doch ist neuerdings von Braunkohlenfunden die Rede, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/240>, abgerufen am 22.07.2024.