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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Gstpreußischs Skizzen.

allerdings unvergleichlichen Kunstsammlungen und dem nicht minder unvergleich¬
lichen künstlerischen Gesamteindruck, den diese ganze Schöpfung hervorruft:
damit werden wir auch hier am Ende sein. Nicht als ob es im übrigen an
historischen Reminiscenzen fehlte; Ärmeln bei Königsberg, Althof bei Jnsterburg,
Molditten bei Rössel, Eichmedien im Kreise Sensburg, ferner die Städte Brauns-
berg, Heilsberg. Preußisch-Eylau, Friedland. Oletzto. Pillau, Tilsit, Memel be¬
sitzen deren manche und interessante -- aber meist sind dieselben dann doch
neuern oder neuesten Datums, und mit wenig Ausnahmen auch nicht sehr er¬
quicklicher Art. Von geschichtlichen Denkmälern im engern Wortsinne hat das
Land nur eins: das (recht hübsche) Denkmal auf dem Schlachtfelde von Preu¬
ßisch-Eylau; sehr bemerkenswert, gewiß -- aber sonderlich erfreulich doch auch
nicht. Das Schlußresnltat ist, daß die Verklärung der Landschaft durch Ge¬
schichte und Sage in Ostpreußen fast gänzlich entbehrt werden muß. Besonders
auffallend und für den Geschichtsromcmtikcr betrübend ist es, daß aus der Zeit
vor oder während der Eroberung durch den Orden so außerordentlich wenig
übrig ist. Man weiß zwar, daß das heilige Romove, der Sitz des Ober¬
priesters (des Arivvs Hrivaito), an der samländischen Westküste, unweit Germain,
gewesen sein muß, garnicht weit entfernt von dem jetzt so berühmten Bernstein¬
bergwerke der Herren Stantien und Becker, aber bauliche Reste oder im Volke
lebende Erinnerungen sind schlechterdings keine vorhanden. Eher könnte man
in der Gegend von Schippenbeil, des alten Wallewona, von hnlbverkluugenen
Sagen reden, die sich an eine Stelle bei dem Gute Honigbären knüpfen, aber
weit ist's auch damit nicht her. Im südöstlichen Samland giebt es wohl einen
Berg "Potrimpel," und im Binnenlande giebt es eine Familie "Perkuhn" --
es knüpft sich jedoch nichts daran. Selbst die Namen der alten Gaue leben
nur sehr teilweise noch in der Erinnerung des Volkes. Wir haben in unsrer
rheinischen Volksschule die Geschichte vom Waidcwut und von seinen angeblichen
zwölf Söhnen, den Stammespatriarchen der zwölf Gaue, nebst den Namen der
letztern gelernt und ganz gut gewußt; in Ostpreußen sind diese Dinge kaum
anders als in den Geschichtsbüchern zu finden, und höchstens findet man einmal
jemand, der die Mythe buchstäblich nimmt, während doch längst erwiesen ist,
daß z. B. die Namen Samland und Galinden weit über die Zeit des Waide¬
wut (der ohne Zweifel eine historische Person war) humusreicher. Vereinzeltes
hat sich nun freilich auch im Vvlksmunde erhalten. Die Namen Samland und
Ermland sind, der geographischen oder konfessionellen Absonderung der betref¬
fenden Landesteile wegen, noch jedermann geläufig, und mit der westpreußischen
Landschaft Krim verhält es sich ähnlich; Natangen wird in bestimmten Be¬
ziehungen auch noch hie und da gebraucht und lebt außerdem fort in den Vor¬
namen Natango und Natanga, welche das (altpreußische) gräfliche Geschlecht
der Kalneiu allen seinen Sprossen giebt; Littauer ist zu einer mehr allgemeinen
Bezeichnung geworden; die übrige" Namen aber sind im Volksmuude sogut


Gstpreußischs Skizzen.

allerdings unvergleichlichen Kunstsammlungen und dem nicht minder unvergleich¬
lichen künstlerischen Gesamteindruck, den diese ganze Schöpfung hervorruft:
damit werden wir auch hier am Ende sein. Nicht als ob es im übrigen an
historischen Reminiscenzen fehlte; Ärmeln bei Königsberg, Althof bei Jnsterburg,
Molditten bei Rössel, Eichmedien im Kreise Sensburg, ferner die Städte Brauns-
berg, Heilsberg. Preußisch-Eylau, Friedland. Oletzto. Pillau, Tilsit, Memel be¬
sitzen deren manche und interessante — aber meist sind dieselben dann doch
neuern oder neuesten Datums, und mit wenig Ausnahmen auch nicht sehr er¬
quicklicher Art. Von geschichtlichen Denkmälern im engern Wortsinne hat das
Land nur eins: das (recht hübsche) Denkmal auf dem Schlachtfelde von Preu¬
ßisch-Eylau; sehr bemerkenswert, gewiß — aber sonderlich erfreulich doch auch
nicht. Das Schlußresnltat ist, daß die Verklärung der Landschaft durch Ge¬
schichte und Sage in Ostpreußen fast gänzlich entbehrt werden muß. Besonders
auffallend und für den Geschichtsromcmtikcr betrübend ist es, daß aus der Zeit
vor oder während der Eroberung durch den Orden so außerordentlich wenig
übrig ist. Man weiß zwar, daß das heilige Romove, der Sitz des Ober¬
priesters (des Arivvs Hrivaito), an der samländischen Westküste, unweit Germain,
gewesen sein muß, garnicht weit entfernt von dem jetzt so berühmten Bernstein¬
bergwerke der Herren Stantien und Becker, aber bauliche Reste oder im Volke
lebende Erinnerungen sind schlechterdings keine vorhanden. Eher könnte man
in der Gegend von Schippenbeil, des alten Wallewona, von hnlbverkluugenen
Sagen reden, die sich an eine Stelle bei dem Gute Honigbären knüpfen, aber
weit ist's auch damit nicht her. Im südöstlichen Samland giebt es wohl einen
Berg „Potrimpel," und im Binnenlande giebt es eine Familie „Perkuhn" —
es knüpft sich jedoch nichts daran. Selbst die Namen der alten Gaue leben
nur sehr teilweise noch in der Erinnerung des Volkes. Wir haben in unsrer
rheinischen Volksschule die Geschichte vom Waidcwut und von seinen angeblichen
zwölf Söhnen, den Stammespatriarchen der zwölf Gaue, nebst den Namen der
letztern gelernt und ganz gut gewußt; in Ostpreußen sind diese Dinge kaum
anders als in den Geschichtsbüchern zu finden, und höchstens findet man einmal
jemand, der die Mythe buchstäblich nimmt, während doch längst erwiesen ist,
daß z. B. die Namen Samland und Galinden weit über die Zeit des Waide¬
wut (der ohne Zweifel eine historische Person war) humusreicher. Vereinzeltes
hat sich nun freilich auch im Vvlksmunde erhalten. Die Namen Samland und
Ermland sind, der geographischen oder konfessionellen Absonderung der betref¬
fenden Landesteile wegen, noch jedermann geläufig, und mit der westpreußischen
Landschaft Krim verhält es sich ähnlich; Natangen wird in bestimmten Be¬
ziehungen auch noch hie und da gebraucht und lebt außerdem fort in den Vor¬
namen Natango und Natanga, welche das (altpreußische) gräfliche Geschlecht
der Kalneiu allen seinen Sprossen giebt; Littauer ist zu einer mehr allgemeinen
Bezeichnung geworden; die übrige» Namen aber sind im Volksmuude sogut


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[0135] Gstpreußischs Skizzen. allerdings unvergleichlichen Kunstsammlungen und dem nicht minder unvergleich¬ lichen künstlerischen Gesamteindruck, den diese ganze Schöpfung hervorruft: damit werden wir auch hier am Ende sein. Nicht als ob es im übrigen an historischen Reminiscenzen fehlte; Ärmeln bei Königsberg, Althof bei Jnsterburg, Molditten bei Rössel, Eichmedien im Kreise Sensburg, ferner die Städte Brauns- berg, Heilsberg. Preußisch-Eylau, Friedland. Oletzto. Pillau, Tilsit, Memel be¬ sitzen deren manche und interessante — aber meist sind dieselben dann doch neuern oder neuesten Datums, und mit wenig Ausnahmen auch nicht sehr er¬ quicklicher Art. Von geschichtlichen Denkmälern im engern Wortsinne hat das Land nur eins: das (recht hübsche) Denkmal auf dem Schlachtfelde von Preu¬ ßisch-Eylau; sehr bemerkenswert, gewiß — aber sonderlich erfreulich doch auch nicht. Das Schlußresnltat ist, daß die Verklärung der Landschaft durch Ge¬ schichte und Sage in Ostpreußen fast gänzlich entbehrt werden muß. Besonders auffallend und für den Geschichtsromcmtikcr betrübend ist es, daß aus der Zeit vor oder während der Eroberung durch den Orden so außerordentlich wenig übrig ist. Man weiß zwar, daß das heilige Romove, der Sitz des Ober¬ priesters (des Arivvs Hrivaito), an der samländischen Westküste, unweit Germain, gewesen sein muß, garnicht weit entfernt von dem jetzt so berühmten Bernstein¬ bergwerke der Herren Stantien und Becker, aber bauliche Reste oder im Volke lebende Erinnerungen sind schlechterdings keine vorhanden. Eher könnte man in der Gegend von Schippenbeil, des alten Wallewona, von hnlbverkluugenen Sagen reden, die sich an eine Stelle bei dem Gute Honigbären knüpfen, aber weit ist's auch damit nicht her. Im südöstlichen Samland giebt es wohl einen Berg „Potrimpel," und im Binnenlande giebt es eine Familie „Perkuhn" — es knüpft sich jedoch nichts daran. Selbst die Namen der alten Gaue leben nur sehr teilweise noch in der Erinnerung des Volkes. Wir haben in unsrer rheinischen Volksschule die Geschichte vom Waidcwut und von seinen angeblichen zwölf Söhnen, den Stammespatriarchen der zwölf Gaue, nebst den Namen der letztern gelernt und ganz gut gewußt; in Ostpreußen sind diese Dinge kaum anders als in den Geschichtsbüchern zu finden, und höchstens findet man einmal jemand, der die Mythe buchstäblich nimmt, während doch längst erwiesen ist, daß z. B. die Namen Samland und Galinden weit über die Zeit des Waide¬ wut (der ohne Zweifel eine historische Person war) humusreicher. Vereinzeltes hat sich nun freilich auch im Vvlksmunde erhalten. Die Namen Samland und Ermland sind, der geographischen oder konfessionellen Absonderung der betref¬ fenden Landesteile wegen, noch jedermann geläufig, und mit der westpreußischen Landschaft Krim verhält es sich ähnlich; Natangen wird in bestimmten Be¬ ziehungen auch noch hie und da gebraucht und lebt außerdem fort in den Vor¬ namen Natango und Natanga, welche das (altpreußische) gräfliche Geschlecht der Kalneiu allen seinen Sprossen giebt; Littauer ist zu einer mehr allgemeinen Bezeichnung geworden; die übrige» Namen aber sind im Volksmuude sogut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/135>, abgerufen am 22.07.2024.