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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Ostpreußische Skizzen.
2. Landschaftliches und Geschichtliches.

v gut wie die Rheinländer, bei denen die Landschaft überall mit
geschichtlichen Reminiscenzen übersäet und dadurch ganz von selbst
auf einen Zusammenhang des dem Menschenauge sich Darbietenden
mit Ursachen und Gang der geschichtlichen Elitwicklung hin¬
gewiesen ist, haben es die Leute in andern Teilen Deutschlands
nicht. Die Denkmäler der Vergangenheit pflegen andernorts spärlicher und nicht
so ins Auge fallend, nicht so bedingend für den ganzen Charakter der Gegend
zu sein; darum verknüpft sich auch das, was sie verkünden, nicht so plastisch mit
der Landschaft. Wiederum infolge hiervon entbehrt aber die Landschaft eines
ansehnlichen Teils des poetischen Reizes, den sie am Rhein so überströmend
darbietet. Die Sage hat ihren verklärenden Schimmer nicht so wie am Ge¬
stade dieses herrlichsten aller Ströme über Wasser, Wald, Gestein, Städtchen
und Burgtrümmer geworfen, und der Mensch fühlt sich minder angeregt, mit
den Schätzen seines eignen Innern die Gegend zu schmücken, die er durch¬
wandert.

In Ostpreußen trifft dies aus verschiednen Gründen in besonders hohem
Grade zu. Das Land ist arm an historischen Denkmälern -- schon darum,
weil der Ziegel, der in fast gänzlicher Ermangelung an Bruchsteinen das einzige
solide Baumaterial bildet, eben doch zur Herstellung jahrtausendalter Bauten
oder gar zur Bildung dauerhafter Ruinen sich nicht sonderlich eignet --, wenn
es auch an solchen nicht ganz fehlt. Die Ordensburgen der Städte Osterode,
Soltau, Ncideuburg, Rastenburg. Altenstein, Labiau, Jnsterburg, Rheine u. a.,
teils halb zerfallen, teils heute zu Verwaltungs-, Gerichts- und Gefängnis¬
zwecken dienend, das Schloß zu Königsberg, eine nicht große Zahl ländlicher,
noch leidlich erhaltener Ordcnsschlösser, so zu Dvmncm, Brandenburg, Taplacken ze,,
die alte Withingsbnrg zu Lockstädt zwischen Fischhausen und Pillau und die
(einzige) Burgruine zu Balga am frischen Haff, endlich eine geringe Zahl alter
und interessanter Adelsschlösser, wie Steinort, Sorquitten, Prasser, Kilgis,
einige Dohnasche Schlösser -- das ist alles, und der poetische Reiz ist überall
nur ein geringer. Was aus neuerer Zeit an touristischen Sehenswürdigkeiten
hinzugekommen, ist auch nicht viel. Einige sehenswerte Schlösser und Parks,
wie Schlobitten, Schlodien, Waldburg, Friedlichstem, Georgenbnrg, Gerdauen,
Langcndorf, Döhringen, das einsame Beynuhncn unweit Darlehnen mit seinen


Grenzboten II. 1S85. 17
Ostpreußische Skizzen.
2. Landschaftliches und Geschichtliches.

v gut wie die Rheinländer, bei denen die Landschaft überall mit
geschichtlichen Reminiscenzen übersäet und dadurch ganz von selbst
auf einen Zusammenhang des dem Menschenauge sich Darbietenden
mit Ursachen und Gang der geschichtlichen Elitwicklung hin¬
gewiesen ist, haben es die Leute in andern Teilen Deutschlands
nicht. Die Denkmäler der Vergangenheit pflegen andernorts spärlicher und nicht
so ins Auge fallend, nicht so bedingend für den ganzen Charakter der Gegend
zu sein; darum verknüpft sich auch das, was sie verkünden, nicht so plastisch mit
der Landschaft. Wiederum infolge hiervon entbehrt aber die Landschaft eines
ansehnlichen Teils des poetischen Reizes, den sie am Rhein so überströmend
darbietet. Die Sage hat ihren verklärenden Schimmer nicht so wie am Ge¬
stade dieses herrlichsten aller Ströme über Wasser, Wald, Gestein, Städtchen
und Burgtrümmer geworfen, und der Mensch fühlt sich minder angeregt, mit
den Schätzen seines eignen Innern die Gegend zu schmücken, die er durch¬
wandert.

In Ostpreußen trifft dies aus verschiednen Gründen in besonders hohem
Grade zu. Das Land ist arm an historischen Denkmälern — schon darum,
weil der Ziegel, der in fast gänzlicher Ermangelung an Bruchsteinen das einzige
solide Baumaterial bildet, eben doch zur Herstellung jahrtausendalter Bauten
oder gar zur Bildung dauerhafter Ruinen sich nicht sonderlich eignet —, wenn
es auch an solchen nicht ganz fehlt. Die Ordensburgen der Städte Osterode,
Soltau, Ncideuburg, Rastenburg. Altenstein, Labiau, Jnsterburg, Rheine u. a.,
teils halb zerfallen, teils heute zu Verwaltungs-, Gerichts- und Gefängnis¬
zwecken dienend, das Schloß zu Königsberg, eine nicht große Zahl ländlicher,
noch leidlich erhaltener Ordcnsschlösser, so zu Dvmncm, Brandenburg, Taplacken ze,,
die alte Withingsbnrg zu Lockstädt zwischen Fischhausen und Pillau und die
(einzige) Burgruine zu Balga am frischen Haff, endlich eine geringe Zahl alter
und interessanter Adelsschlösser, wie Steinort, Sorquitten, Prasser, Kilgis,
einige Dohnasche Schlösser — das ist alles, und der poetische Reiz ist überall
nur ein geringer. Was aus neuerer Zeit an touristischen Sehenswürdigkeiten
hinzugekommen, ist auch nicht viel. Einige sehenswerte Schlösser und Parks,
wie Schlobitten, Schlodien, Waldburg, Friedlichstem, Georgenbnrg, Gerdauen,
Langcndorf, Döhringen, das einsame Beynuhncn unweit Darlehnen mit seinen


Grenzboten II. 1S85. 17
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[0134] Ostpreußische Skizzen. 2. Landschaftliches und Geschichtliches. v gut wie die Rheinländer, bei denen die Landschaft überall mit geschichtlichen Reminiscenzen übersäet und dadurch ganz von selbst auf einen Zusammenhang des dem Menschenauge sich Darbietenden mit Ursachen und Gang der geschichtlichen Elitwicklung hin¬ gewiesen ist, haben es die Leute in andern Teilen Deutschlands nicht. Die Denkmäler der Vergangenheit pflegen andernorts spärlicher und nicht so ins Auge fallend, nicht so bedingend für den ganzen Charakter der Gegend zu sein; darum verknüpft sich auch das, was sie verkünden, nicht so plastisch mit der Landschaft. Wiederum infolge hiervon entbehrt aber die Landschaft eines ansehnlichen Teils des poetischen Reizes, den sie am Rhein so überströmend darbietet. Die Sage hat ihren verklärenden Schimmer nicht so wie am Ge¬ stade dieses herrlichsten aller Ströme über Wasser, Wald, Gestein, Städtchen und Burgtrümmer geworfen, und der Mensch fühlt sich minder angeregt, mit den Schätzen seines eignen Innern die Gegend zu schmücken, die er durch¬ wandert. In Ostpreußen trifft dies aus verschiednen Gründen in besonders hohem Grade zu. Das Land ist arm an historischen Denkmälern — schon darum, weil der Ziegel, der in fast gänzlicher Ermangelung an Bruchsteinen das einzige solide Baumaterial bildet, eben doch zur Herstellung jahrtausendalter Bauten oder gar zur Bildung dauerhafter Ruinen sich nicht sonderlich eignet —, wenn es auch an solchen nicht ganz fehlt. Die Ordensburgen der Städte Osterode, Soltau, Ncideuburg, Rastenburg. Altenstein, Labiau, Jnsterburg, Rheine u. a., teils halb zerfallen, teils heute zu Verwaltungs-, Gerichts- und Gefängnis¬ zwecken dienend, das Schloß zu Königsberg, eine nicht große Zahl ländlicher, noch leidlich erhaltener Ordcnsschlösser, so zu Dvmncm, Brandenburg, Taplacken ze,, die alte Withingsbnrg zu Lockstädt zwischen Fischhausen und Pillau und die (einzige) Burgruine zu Balga am frischen Haff, endlich eine geringe Zahl alter und interessanter Adelsschlösser, wie Steinort, Sorquitten, Prasser, Kilgis, einige Dohnasche Schlösser — das ist alles, und der poetische Reiz ist überall nur ein geringer. Was aus neuerer Zeit an touristischen Sehenswürdigkeiten hinzugekommen, ist auch nicht viel. Einige sehenswerte Schlösser und Parks, wie Schlobitten, Schlodien, Waldburg, Friedlichstem, Georgenbnrg, Gerdauen, Langcndorf, Döhringen, das einsame Beynuhncn unweit Darlehnen mit seinen Grenzboten II. 1S85. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/134>, abgerufen am 22.07.2024.