Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Umbildung der regulären Truppen des Schah übernommen, die vorher von
Österreichern ohne viel Erfolg versucht wurde. Vollständig mißlungen sind die
Bemühungen der Perser, ihre Macht über die Turkmenen auszubreiten, die
Mischen dem Ann Darga und dein Herirud, zwischen Buchara, der Wüste von
Chiwa und dein nordwestlichen Afghanistan brühen. Ein 1860 gegen Merw
unternommener Feldzug endigte mit einer schweren Niederlage des persischen
Heeres, ein zweiter, der im Jahre 1876 stattfand und gleichfalls Merw zum
Ziele hatte, war ebenso erfolglos, und weitere Angriffe wurden uicht ge¬
wagt, da inzwischen Rußland die Turkmenen unter seine Botmäßigkeit gebracht
hatte. Wenn Persien an den Kämpfen um Afghanistan überhaupt noch einmal
teilnehmen sollte, so könnte dies nur noch dadurch geschehen, daß es mit den
Russen geht oder diesen wenigstens den Durchzug durch sein Gebiet nach Herat
gestattet.

Wir betrachten nun. den Verlauf der hierher gehörigen Dinge in Afghanistan
näher, zu welchem Zwecke wir zunächst wieder zu deu zwanziger Jahren dieses
Jahrhunderts zurückkehren und dann auch die Ereignisse in südlicher gelegnen
Ländern in das Bereich unsrer Überschau ziehen müssen. Die Afghanen hatten
im Mittelalter und bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein einen großen
Teil Indiens beherrscht und dann, in ihre Urheimat in den Bergen des Hindukuh
und des Paropamisus zurückgeworfen, sich mit Erfolg zwischen dem Großmogul
und Persien behauptet, ja letzteren eine kurze Zeit die Dynastie gegeben. Später,
um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, gründete einer ihrer Chane, Schah
Abdalli aus dem Stamme der Durani, ein Reich, das sich vom Ann Darga
bis zum Indischen Ozean und von Chorassnn im Westen bis über die östliche
Grenze des Pendschab erstreckte, aber schon nnter seinem Nachfolger Timur vou
Norden her, wo es an Buchara grenzte, wieder einzuschrumpfen begann, ein
Prozeß, der sich, da es durch die Uneinigkeit der Stämme des Volkes, Thron¬
streitigkeiten und Bürgerkriege geschwächt wurde, bis in die neueste Zeit fortsetzte,
Einmischungen der Perser und der Sikhs herbeiführte und wiederholt Teilungen
zur Folge hatte. Diese Bürgerkriege riefen zuletzt in den letzten zwanziger
Jahren die Engländer ins Land. In dieser Zeit machten sich die Söhne des
Ministers Fethi Chan, die "Baraksi-Brüder," von dem legitimen Thronerben
Schah Schndscha El Mull unabhängig und gründeten in Kabul sowie in
Kandahar eigne Reiche. Schah Schudscha konnte sich uur in Herat behaupten.
Der tüchtigste unter den Barnksi-Bnidern war Dose Muhammed, der vou
Kabul aus bis uach Ghcisnah im Süden, Nimlcch im Osten und Hasarah im
Westen gebot. Energisch, klug und gerecht, hatte er nach Möglichkeit Ordnung im
Lande geschaffen und sich auch jenseits der Grenzen desselben Ansehen erworben,
und es schien nicht unmöglich, daß es ihm gelingen würde, seine Herrschaft allmählich
auch über die Gebiete seiner Brüder in Kandahar und Pcschcwer auszudehnen.
Zunächst aber dachte er als eifriger Muslim an die Vertreibung der Sikhs,


Umbildung der regulären Truppen des Schah übernommen, die vorher von
Österreichern ohne viel Erfolg versucht wurde. Vollständig mißlungen sind die
Bemühungen der Perser, ihre Macht über die Turkmenen auszubreiten, die
Mischen dem Ann Darga und dein Herirud, zwischen Buchara, der Wüste von
Chiwa und dein nordwestlichen Afghanistan brühen. Ein 1860 gegen Merw
unternommener Feldzug endigte mit einer schweren Niederlage des persischen
Heeres, ein zweiter, der im Jahre 1876 stattfand und gleichfalls Merw zum
Ziele hatte, war ebenso erfolglos, und weitere Angriffe wurden uicht ge¬
wagt, da inzwischen Rußland die Turkmenen unter seine Botmäßigkeit gebracht
hatte. Wenn Persien an den Kämpfen um Afghanistan überhaupt noch einmal
teilnehmen sollte, so könnte dies nur noch dadurch geschehen, daß es mit den
Russen geht oder diesen wenigstens den Durchzug durch sein Gebiet nach Herat
gestattet.

Wir betrachten nun. den Verlauf der hierher gehörigen Dinge in Afghanistan
näher, zu welchem Zwecke wir zunächst wieder zu deu zwanziger Jahren dieses
Jahrhunderts zurückkehren und dann auch die Ereignisse in südlicher gelegnen
Ländern in das Bereich unsrer Überschau ziehen müssen. Die Afghanen hatten
im Mittelalter und bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein einen großen
Teil Indiens beherrscht und dann, in ihre Urheimat in den Bergen des Hindukuh
und des Paropamisus zurückgeworfen, sich mit Erfolg zwischen dem Großmogul
und Persien behauptet, ja letzteren eine kurze Zeit die Dynastie gegeben. Später,
um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, gründete einer ihrer Chane, Schah
Abdalli aus dem Stamme der Durani, ein Reich, das sich vom Ann Darga
bis zum Indischen Ozean und von Chorassnn im Westen bis über die östliche
Grenze des Pendschab erstreckte, aber schon nnter seinem Nachfolger Timur vou
Norden her, wo es an Buchara grenzte, wieder einzuschrumpfen begann, ein
Prozeß, der sich, da es durch die Uneinigkeit der Stämme des Volkes, Thron¬
streitigkeiten und Bürgerkriege geschwächt wurde, bis in die neueste Zeit fortsetzte,
Einmischungen der Perser und der Sikhs herbeiführte und wiederholt Teilungen
zur Folge hatte. Diese Bürgerkriege riefen zuletzt in den letzten zwanziger
Jahren die Engländer ins Land. In dieser Zeit machten sich die Söhne des
Ministers Fethi Chan, die „Baraksi-Brüder," von dem legitimen Thronerben
Schah Schndscha El Mull unabhängig und gründeten in Kabul sowie in
Kandahar eigne Reiche. Schah Schudscha konnte sich uur in Herat behaupten.
Der tüchtigste unter den Barnksi-Bnidern war Dose Muhammed, der vou
Kabul aus bis uach Ghcisnah im Süden, Nimlcch im Osten und Hasarah im
Westen gebot. Energisch, klug und gerecht, hatte er nach Möglichkeit Ordnung im
Lande geschaffen und sich auch jenseits der Grenzen desselben Ansehen erworben,
und es schien nicht unmöglich, daß es ihm gelingen würde, seine Herrschaft allmählich
auch über die Gebiete seiner Brüder in Kandahar und Pcschcwer auszudehnen.
Zunächst aber dachte er als eifriger Muslim an die Vertreibung der Sikhs,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195402"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_16" prev="#ID_15"> Umbildung der regulären Truppen des Schah übernommen, die vorher von<lb/>
Österreichern ohne viel Erfolg versucht wurde. Vollständig mißlungen sind die<lb/>
Bemühungen der Perser, ihre Macht über die Turkmenen auszubreiten, die<lb/>
Mischen dem Ann Darga und dein Herirud, zwischen Buchara, der Wüste von<lb/>
Chiwa und dein nordwestlichen Afghanistan brühen. Ein 1860 gegen Merw<lb/>
unternommener Feldzug endigte mit einer schweren Niederlage des persischen<lb/>
Heeres, ein zweiter, der im Jahre 1876 stattfand und gleichfalls Merw zum<lb/>
Ziele hatte, war ebenso erfolglos, und weitere Angriffe wurden uicht ge¬<lb/>
wagt, da inzwischen Rußland die Turkmenen unter seine Botmäßigkeit gebracht<lb/>
hatte. Wenn Persien an den Kämpfen um Afghanistan überhaupt noch einmal<lb/>
teilnehmen sollte, so könnte dies nur noch dadurch geschehen, daß es mit den<lb/>
Russen geht oder diesen wenigstens den Durchzug durch sein Gebiet nach Herat<lb/>
gestattet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_17" next="#ID_18"> Wir betrachten nun. den Verlauf der hierher gehörigen Dinge in Afghanistan<lb/>
näher, zu welchem Zwecke wir zunächst wieder zu deu zwanziger Jahren dieses<lb/>
Jahrhunderts zurückkehren und dann auch die Ereignisse in südlicher gelegnen<lb/>
Ländern in das Bereich unsrer Überschau ziehen müssen. Die Afghanen hatten<lb/>
im Mittelalter und bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein einen großen<lb/>
Teil Indiens beherrscht und dann, in ihre Urheimat in den Bergen des Hindukuh<lb/>
und des Paropamisus zurückgeworfen, sich mit Erfolg zwischen dem Großmogul<lb/>
und Persien behauptet, ja letzteren eine kurze Zeit die Dynastie gegeben. Später,<lb/>
um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, gründete einer ihrer Chane, Schah<lb/>
Abdalli aus dem Stamme der Durani, ein Reich, das sich vom Ann Darga<lb/>
bis zum Indischen Ozean und von Chorassnn im Westen bis über die östliche<lb/>
Grenze des Pendschab erstreckte, aber schon nnter seinem Nachfolger Timur vou<lb/>
Norden her, wo es an Buchara grenzte, wieder einzuschrumpfen begann, ein<lb/>
Prozeß, der sich, da es durch die Uneinigkeit der Stämme des Volkes, Thron¬<lb/>
streitigkeiten und Bürgerkriege geschwächt wurde, bis in die neueste Zeit fortsetzte,<lb/>
Einmischungen der Perser und der Sikhs herbeiführte und wiederholt Teilungen<lb/>
zur Folge hatte. Diese Bürgerkriege riefen zuletzt in den letzten zwanziger<lb/>
Jahren die Engländer ins Land. In dieser Zeit machten sich die Söhne des<lb/>
Ministers Fethi Chan, die &#x201E;Baraksi-Brüder," von dem legitimen Thronerben<lb/>
Schah Schndscha El Mull unabhängig und gründeten in Kabul sowie in<lb/>
Kandahar eigne Reiche. Schah Schudscha konnte sich uur in Herat behaupten.<lb/>
Der tüchtigste unter den Barnksi-Bnidern war Dose Muhammed, der vou<lb/>
Kabul aus bis uach Ghcisnah im Süden, Nimlcch im Osten und Hasarah im<lb/>
Westen gebot. Energisch, klug und gerecht, hatte er nach Möglichkeit Ordnung im<lb/>
Lande geschaffen und sich auch jenseits der Grenzen desselben Ansehen erworben,<lb/>
und es schien nicht unmöglich, daß es ihm gelingen würde, seine Herrschaft allmählich<lb/>
auch über die Gebiete seiner Brüder in Kandahar und Pcschcwer auszudehnen.<lb/>
Zunächst aber dachte er als eifriger Muslim an die Vertreibung der Sikhs,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] Umbildung der regulären Truppen des Schah übernommen, die vorher von Österreichern ohne viel Erfolg versucht wurde. Vollständig mißlungen sind die Bemühungen der Perser, ihre Macht über die Turkmenen auszubreiten, die Mischen dem Ann Darga und dein Herirud, zwischen Buchara, der Wüste von Chiwa und dein nordwestlichen Afghanistan brühen. Ein 1860 gegen Merw unternommener Feldzug endigte mit einer schweren Niederlage des persischen Heeres, ein zweiter, der im Jahre 1876 stattfand und gleichfalls Merw zum Ziele hatte, war ebenso erfolglos, und weitere Angriffe wurden uicht ge¬ wagt, da inzwischen Rußland die Turkmenen unter seine Botmäßigkeit gebracht hatte. Wenn Persien an den Kämpfen um Afghanistan überhaupt noch einmal teilnehmen sollte, so könnte dies nur noch dadurch geschehen, daß es mit den Russen geht oder diesen wenigstens den Durchzug durch sein Gebiet nach Herat gestattet. Wir betrachten nun. den Verlauf der hierher gehörigen Dinge in Afghanistan näher, zu welchem Zwecke wir zunächst wieder zu deu zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts zurückkehren und dann auch die Ereignisse in südlicher gelegnen Ländern in das Bereich unsrer Überschau ziehen müssen. Die Afghanen hatten im Mittelalter und bis in das sechzehnte Jahrhundert hinein einen großen Teil Indiens beherrscht und dann, in ihre Urheimat in den Bergen des Hindukuh und des Paropamisus zurückgeworfen, sich mit Erfolg zwischen dem Großmogul und Persien behauptet, ja letzteren eine kurze Zeit die Dynastie gegeben. Später, um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, gründete einer ihrer Chane, Schah Abdalli aus dem Stamme der Durani, ein Reich, das sich vom Ann Darga bis zum Indischen Ozean und von Chorassnn im Westen bis über die östliche Grenze des Pendschab erstreckte, aber schon nnter seinem Nachfolger Timur vou Norden her, wo es an Buchara grenzte, wieder einzuschrumpfen begann, ein Prozeß, der sich, da es durch die Uneinigkeit der Stämme des Volkes, Thron¬ streitigkeiten und Bürgerkriege geschwächt wurde, bis in die neueste Zeit fortsetzte, Einmischungen der Perser und der Sikhs herbeiführte und wiederholt Teilungen zur Folge hatte. Diese Bürgerkriege riefen zuletzt in den letzten zwanziger Jahren die Engländer ins Land. In dieser Zeit machten sich die Söhne des Ministers Fethi Chan, die „Baraksi-Brüder," von dem legitimen Thronerben Schah Schndscha El Mull unabhängig und gründeten in Kabul sowie in Kandahar eigne Reiche. Schah Schudscha konnte sich uur in Herat behaupten. Der tüchtigste unter den Barnksi-Bnidern war Dose Muhammed, der vou Kabul aus bis uach Ghcisnah im Süden, Nimlcch im Osten und Hasarah im Westen gebot. Energisch, klug und gerecht, hatte er nach Möglichkeit Ordnung im Lande geschaffen und sich auch jenseits der Grenzen desselben Ansehen erworben, und es schien nicht unmöglich, daß es ihm gelingen würde, seine Herrschaft allmählich auch über die Gebiete seiner Brüder in Kandahar und Pcschcwer auszudehnen. Zunächst aber dachte er als eifriger Muslim an die Vertreibung der Sikhs,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/13
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/13>, abgerufen am 02.07.2024.