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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

welche das Land auf der Westseite des Indus erobert hatten, und an die Be¬
freiung seiner Glaubensgenossen, die dort vom Maharadscha Randschit schwer
bedrückt wurden. Hierzu versuchte er die Frommen daheim zu gewinnen, weshalb
er sich den Titel Emir und Ghasi beilegte, von denen jener an die Chcilifen
erinnerte, dieser seinen Entschluß andeutete, die Ungläubigen mit Eifer zu bekämpfen.
Nachdem er sich die Anhänglichkeit der Geistlichen gesichert hatte, suchte er sich
Bundesgenossen gegen den Maharadscha der Sikhs, und zwar richtete er dabei sein
Augenmerk zuerst auf die Engländer, die indes sein Anerbieten, mit einem Heere
von 12 000 Reitern und 20 Kanonen an der Vernichtung Randschit Singhs mit¬
zuwirken, ablehnte, da dieser thuen ungefährlich, das Emporkommen einer mus¬
limischen Macht an der Grenze Indiens dagegen bedenklich erschien. Dose Mu-
hammed wollte sich dann, als Schah Schndscha gegen die Baralsi zu Felde zog,
zur Anerkennung der Oberherrlichkeit der Engländer verstehen. Aber auch das
wurde zurückgewiesen, da der Vizekönig Lord Bentinck meinte, Schndscha gelte viel
bei den Afghanen und werde Dose Muhammed leicht besiegen. Er irrte sich,
Schndscha wurde von den Baraksi bei Kandahar geschlagen, und als Lord Auck-
land im Mai 1830 Vizekönig wurde, wiederholte Dose Muhammed seine Werbung
um die Freundschaft Englands gegenüber dem Maharadscha!) der Sikhs. "Das
Feld meiner Hoffnungen, so schrieb er, das durch den cisigei? Wind der Zeiten
einfror, begann bei der Nachricht von der Ankunft Euer Herrlichkeit so herrlich
aufzubinden, daß es den Neid des Paradicsgartens erweckte." Dann aber
deutete er an, wenn England nicht helfe, so müsse er sich an Nebenbuhler der
Herren Indiens wenden. Die Antwort Aucklcmds lautete ausweichend. Er
sagte darin, England wünsche, daß die Afghanen ein einiges und wohlhabendes
Volk würden und an den Segnungen, welche der Handel verbreitet, wie andre
Nationen teilnehmen. Deshalb sei die Schifffahrt auf dem Indus eröffnet
worden, für die sich der Emir gewiß lebhaft interesiren werde. Mit Bedauern
habe man vernommen, daß zwischen ihm und Randschit Zwistigkeiten ausge¬
brochen seien. Die britische Regierung mische sich nie in die Angelegenheiten
unabhängiger Staaten, und so könne sie hier keinen Einfluß üben, indes wäre
es ihr lieb, wenn sich ein Friede zwischen den Puschtaneh (Afghanen) und den
Sikhs herstellen ließe. Das Schreiben schloß mit der Ankündigung, daß er
nächstens jemand mit dem Auftrage nach Kabul senden werde, die Handels¬
beziehungen Englands zu dem afghanischen Staate zu gegenseitiger Zufriedenheit
zu ordnen. Die Ankunft dieses Gesandten, Alexander Burnes, verzögerte sich
um ein ganzes Jahr, und Dose Muhammed wurde unruhig, er befürchtete ein
Bündnis der Engländer und der Sikhs zu seiner Vernichtung, und so knüpfte
er erst mit den Russen, dann mit den Persern an. Die Afghanen waren in
den letzten Jahrzehnten durch mancherlei Beziehungen des Handels und der
Religion (durch die russischen Muslime) mit den Interessen und Bestrebungen
des Zarenreiches näher bekannt geworden. Ein Enkel des Afghanenherrschers


Grenzboten II- 1W5, 2
Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

welche das Land auf der Westseite des Indus erobert hatten, und an die Be¬
freiung seiner Glaubensgenossen, die dort vom Maharadscha Randschit schwer
bedrückt wurden. Hierzu versuchte er die Frommen daheim zu gewinnen, weshalb
er sich den Titel Emir und Ghasi beilegte, von denen jener an die Chcilifen
erinnerte, dieser seinen Entschluß andeutete, die Ungläubigen mit Eifer zu bekämpfen.
Nachdem er sich die Anhänglichkeit der Geistlichen gesichert hatte, suchte er sich
Bundesgenossen gegen den Maharadscha der Sikhs, und zwar richtete er dabei sein
Augenmerk zuerst auf die Engländer, die indes sein Anerbieten, mit einem Heere
von 12 000 Reitern und 20 Kanonen an der Vernichtung Randschit Singhs mit¬
zuwirken, ablehnte, da dieser thuen ungefährlich, das Emporkommen einer mus¬
limischen Macht an der Grenze Indiens dagegen bedenklich erschien. Dose Mu-
hammed wollte sich dann, als Schah Schndscha gegen die Baralsi zu Felde zog,
zur Anerkennung der Oberherrlichkeit der Engländer verstehen. Aber auch das
wurde zurückgewiesen, da der Vizekönig Lord Bentinck meinte, Schndscha gelte viel
bei den Afghanen und werde Dose Muhammed leicht besiegen. Er irrte sich,
Schndscha wurde von den Baraksi bei Kandahar geschlagen, und als Lord Auck-
land im Mai 1830 Vizekönig wurde, wiederholte Dose Muhammed seine Werbung
um die Freundschaft Englands gegenüber dem Maharadscha!) der Sikhs. „Das
Feld meiner Hoffnungen, so schrieb er, das durch den cisigei? Wind der Zeiten
einfror, begann bei der Nachricht von der Ankunft Euer Herrlichkeit so herrlich
aufzubinden, daß es den Neid des Paradicsgartens erweckte." Dann aber
deutete er an, wenn England nicht helfe, so müsse er sich an Nebenbuhler der
Herren Indiens wenden. Die Antwort Aucklcmds lautete ausweichend. Er
sagte darin, England wünsche, daß die Afghanen ein einiges und wohlhabendes
Volk würden und an den Segnungen, welche der Handel verbreitet, wie andre
Nationen teilnehmen. Deshalb sei die Schifffahrt auf dem Indus eröffnet
worden, für die sich der Emir gewiß lebhaft interesiren werde. Mit Bedauern
habe man vernommen, daß zwischen ihm und Randschit Zwistigkeiten ausge¬
brochen seien. Die britische Regierung mische sich nie in die Angelegenheiten
unabhängiger Staaten, und so könne sie hier keinen Einfluß üben, indes wäre
es ihr lieb, wenn sich ein Friede zwischen den Puschtaneh (Afghanen) und den
Sikhs herstellen ließe. Das Schreiben schloß mit der Ankündigung, daß er
nächstens jemand mit dem Auftrage nach Kabul senden werde, die Handels¬
beziehungen Englands zu dem afghanischen Staate zu gegenseitiger Zufriedenheit
zu ordnen. Die Ankunft dieses Gesandten, Alexander Burnes, verzögerte sich
um ein ganzes Jahr, und Dose Muhammed wurde unruhig, er befürchtete ein
Bündnis der Engländer und der Sikhs zu seiner Vernichtung, und so knüpfte
er erst mit den Russen, dann mit den Persern an. Die Afghanen waren in
den letzten Jahrzehnten durch mancherlei Beziehungen des Handels und der
Religion (durch die russischen Muslime) mit den Interessen und Bestrebungen
des Zarenreiches näher bekannt geworden. Ein Enkel des Afghanenherrschers


Grenzboten II- 1W5, 2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/14>, abgerufen am 04.07.2024.