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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

man so unbesonnen sein, sich in der Sache unmittelbar an Rußland zu wenden,
während doch ein britischer Geschäftsträger sich in Erzerum aufhalte, um alle
Mitteilungen des Hofes von Teheran für den von London in Empfang zu
nehmen. Nach Petersburg schrieb der englische Minister sehr empfindlich, die
britische Regierung könne angesichts der eigcntiimlichen Stellung, in welcher sich
Rußland zu Persien befinde, von feiten des Schah keine Genugthuung durch
Vermittelung des Petersburger Kabinets annehmen, denn sie würde dadurch
stillschweigend eine Art Schutzherrschaft Rußlands über Persien anerkennen, was
mit der Unabhängigkeit des letztern unvereinbar wäre. Wäre Graf Nesselrode
gehörig unterrichtet gewesen, so würde er schwerlich behauptet habe", daß Persien
allen Anforderungen, zu denen England berechtigt gewesen sei, entsprochen habe
und nun Charck wieder bekommen müsse.

Der Premierminister des Schah verstand sich hierauf zur Erfüllung aller
englischen Bedingungen, und Mac Neit kehrte nun an den Hof von Teheran
zurück, wo er im Oktober 1841 einen Handelsvertrag abschloß, der für Persien
natürlich weniger Vorteile gewährte als für England. Schah Muhammed
verhielt sich von dieser Zeit immer gehorsam gegen die britische Politik und
legte dies zunächst dadurch an den Tag, daß er die Einladung der Afghanen
vo" Herat, sich mit ihnen gegen die Engländer zu Verbunden, von der Hand
wies. Kamerau und sein Wessir Jcir Muhammed nämlich wußten den Briten
für deu thuen geleisteten Beistand gegen die Perser keinen Dank, es lag ja auf
der Hand, daß diese Ungläubigen dabei nur im eignen Interesse gehandelt hatten.
Andrerseits erschien die Oberherrlichkeit eines schwachen Herrschers wie des Schah
vorteilhafter als der Schutz Englands, der das willkürliche Treiben der kleinen
asiatischen Fürsten und Häuptlinge einigermaßen in Schrecken hielt. So schrieb
denn, als die Engländer einige Jahre später siegreich in Afghanistan einge¬
drungen waren, Kmneran an Muhammed: "Die Engländer haben Kandahar
und Kabul erobert und auch an mich einen Offizier mit reichen Geschenken ge¬
schickt. Mein Herz ist aber mit Persien und dem Islam. Der Glaube ist
mir für irdische Güter uicht feil." Darauf folgte die Einladung an den Schah,
sich mit den Heratis zu vereinigen und die Gauen Afghanistans den Christen
zu entreißen. Die persischen Minister waren indes durch das Vorhergegangene
so eingeschüchtert, daß sie der Aufforderung der Herati-Fürsten uicht uur nicht
zu entsprechen wagten, Sündern sie sogar dem britischen Gesandten mitteilten.
Dieses Verfahren möge, wie sie sich äußerten, als ein Zeichen ihrer grenzen^
losen Ergebenheit betrachtet werden, und Großbritannien möge nunmehr alles
Frühere vergessen und mit der "Zuflucht des Weltalls" wieder in ein inniges
FreundschaftsverlMtnis treten.

Als der Schah Muhammed im September 1848 starb, folgte ihm auf
dem Throne sein achtzehnjähriger Sohn Nasir Eddin, wozu Rußland und Eng¬
land dnrch ihren Einfluß in gleichem Maße mitgewirkt hatten, da auf diesem


Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage.

man so unbesonnen sein, sich in der Sache unmittelbar an Rußland zu wenden,
während doch ein britischer Geschäftsträger sich in Erzerum aufhalte, um alle
Mitteilungen des Hofes von Teheran für den von London in Empfang zu
nehmen. Nach Petersburg schrieb der englische Minister sehr empfindlich, die
britische Regierung könne angesichts der eigcntiimlichen Stellung, in welcher sich
Rußland zu Persien befinde, von feiten des Schah keine Genugthuung durch
Vermittelung des Petersburger Kabinets annehmen, denn sie würde dadurch
stillschweigend eine Art Schutzherrschaft Rußlands über Persien anerkennen, was
mit der Unabhängigkeit des letztern unvereinbar wäre. Wäre Graf Nesselrode
gehörig unterrichtet gewesen, so würde er schwerlich behauptet habe», daß Persien
allen Anforderungen, zu denen England berechtigt gewesen sei, entsprochen habe
und nun Charck wieder bekommen müsse.

Der Premierminister des Schah verstand sich hierauf zur Erfüllung aller
englischen Bedingungen, und Mac Neit kehrte nun an den Hof von Teheran
zurück, wo er im Oktober 1841 einen Handelsvertrag abschloß, der für Persien
natürlich weniger Vorteile gewährte als für England. Schah Muhammed
verhielt sich von dieser Zeit immer gehorsam gegen die britische Politik und
legte dies zunächst dadurch an den Tag, daß er die Einladung der Afghanen
vo» Herat, sich mit ihnen gegen die Engländer zu Verbunden, von der Hand
wies. Kamerau und sein Wessir Jcir Muhammed nämlich wußten den Briten
für deu thuen geleisteten Beistand gegen die Perser keinen Dank, es lag ja auf
der Hand, daß diese Ungläubigen dabei nur im eignen Interesse gehandelt hatten.
Andrerseits erschien die Oberherrlichkeit eines schwachen Herrschers wie des Schah
vorteilhafter als der Schutz Englands, der das willkürliche Treiben der kleinen
asiatischen Fürsten und Häuptlinge einigermaßen in Schrecken hielt. So schrieb
denn, als die Engländer einige Jahre später siegreich in Afghanistan einge¬
drungen waren, Kmneran an Muhammed: „Die Engländer haben Kandahar
und Kabul erobert und auch an mich einen Offizier mit reichen Geschenken ge¬
schickt. Mein Herz ist aber mit Persien und dem Islam. Der Glaube ist
mir für irdische Güter uicht feil." Darauf folgte die Einladung an den Schah,
sich mit den Heratis zu vereinigen und die Gauen Afghanistans den Christen
zu entreißen. Die persischen Minister waren indes durch das Vorhergegangene
so eingeschüchtert, daß sie der Aufforderung der Herati-Fürsten uicht uur nicht
zu entsprechen wagten, Sündern sie sogar dem britischen Gesandten mitteilten.
Dieses Verfahren möge, wie sie sich äußerten, als ein Zeichen ihrer grenzen^
losen Ergebenheit betrachtet werden, und Großbritannien möge nunmehr alles
Frühere vergessen und mit der „Zuflucht des Weltalls" wieder in ein inniges
FreundschaftsverlMtnis treten.

Als der Schah Muhammed im September 1848 starb, folgte ihm auf
dem Throne sein achtzehnjähriger Sohn Nasir Eddin, wozu Rußland und Eng¬
land dnrch ihren Einfluß in gleichem Maße mitgewirkt hatten, da auf diesem


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[0011] Beiträge zum Verständnis der mittelasiatischen Frage. man so unbesonnen sein, sich in der Sache unmittelbar an Rußland zu wenden, während doch ein britischer Geschäftsträger sich in Erzerum aufhalte, um alle Mitteilungen des Hofes von Teheran für den von London in Empfang zu nehmen. Nach Petersburg schrieb der englische Minister sehr empfindlich, die britische Regierung könne angesichts der eigcntiimlichen Stellung, in welcher sich Rußland zu Persien befinde, von feiten des Schah keine Genugthuung durch Vermittelung des Petersburger Kabinets annehmen, denn sie würde dadurch stillschweigend eine Art Schutzherrschaft Rußlands über Persien anerkennen, was mit der Unabhängigkeit des letztern unvereinbar wäre. Wäre Graf Nesselrode gehörig unterrichtet gewesen, so würde er schwerlich behauptet habe», daß Persien allen Anforderungen, zu denen England berechtigt gewesen sei, entsprochen habe und nun Charck wieder bekommen müsse. Der Premierminister des Schah verstand sich hierauf zur Erfüllung aller englischen Bedingungen, und Mac Neit kehrte nun an den Hof von Teheran zurück, wo er im Oktober 1841 einen Handelsvertrag abschloß, der für Persien natürlich weniger Vorteile gewährte als für England. Schah Muhammed verhielt sich von dieser Zeit immer gehorsam gegen die britische Politik und legte dies zunächst dadurch an den Tag, daß er die Einladung der Afghanen vo» Herat, sich mit ihnen gegen die Engländer zu Verbunden, von der Hand wies. Kamerau und sein Wessir Jcir Muhammed nämlich wußten den Briten für deu thuen geleisteten Beistand gegen die Perser keinen Dank, es lag ja auf der Hand, daß diese Ungläubigen dabei nur im eignen Interesse gehandelt hatten. Andrerseits erschien die Oberherrlichkeit eines schwachen Herrschers wie des Schah vorteilhafter als der Schutz Englands, der das willkürliche Treiben der kleinen asiatischen Fürsten und Häuptlinge einigermaßen in Schrecken hielt. So schrieb denn, als die Engländer einige Jahre später siegreich in Afghanistan einge¬ drungen waren, Kmneran an Muhammed: „Die Engländer haben Kandahar und Kabul erobert und auch an mich einen Offizier mit reichen Geschenken ge¬ schickt. Mein Herz ist aber mit Persien und dem Islam. Der Glaube ist mir für irdische Güter uicht feil." Darauf folgte die Einladung an den Schah, sich mit den Heratis zu vereinigen und die Gauen Afghanistans den Christen zu entreißen. Die persischen Minister waren indes durch das Vorhergegangene so eingeschüchtert, daß sie der Aufforderung der Herati-Fürsten uicht uur nicht zu entsprechen wagten, Sündern sie sogar dem britischen Gesandten mitteilten. Dieses Verfahren möge, wie sie sich äußerten, als ein Zeichen ihrer grenzen^ losen Ergebenheit betrachtet werden, und Großbritannien möge nunmehr alles Frühere vergessen und mit der „Zuflucht des Weltalls" wieder in ein inniges FreundschaftsverlMtnis treten. Als der Schah Muhammed im September 1848 starb, folgte ihm auf dem Throne sein achtzehnjähriger Sohn Nasir Eddin, wozu Rußland und Eng¬ land dnrch ihren Einfluß in gleichem Maße mitgewirkt hatten, da auf diesem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/11>, abgerufen am 27.06.2024.