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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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England und die Boers.

MoroÄ<zIi.<zniönt8 -- beides sehr dehnbare Begriffe, und sodann an die finan¬
ziellen Bestimmungen des Vertrages, die schwer zu erfüllen waren, und man
rechnete ohne Zweifel darauf, daß England, wenn seine Truppen erst wieder
heimgeschifst wären, sich zweimal überlegen würde, ob es sich nochmals an eine
kostspielige und wegen der Stimmung der Holländer in ganz Südafrika gefähr¬
liche Expedition wagen dürfe, um die Erfüllung aller Stipulationen des Ver¬
trages zu erzwingen.

Diese Rechnung trog auch zunächst nicht. Obwohl die freihändlerische
Presse sich höchlich entrüstet geberdete, als der Vollsraad bald nach Ratifikation
der Augustkonvention einen nicht unerheblichen Zoll auf die Einfuhr aller fremden
Waaren zu legen beschloß, gelang es nicht, die Negierung zu einem Protest da¬
gegen, zu dem sie beiläufig in Artikel 13 keinen Anlaß hätte finden können, zu
bewegen, und ebensowenig Gehör würden beim Ministerium Klagen der ^nti-
Llg-vör^ IlLüAuo gefunden haben, wenn dieser über die Leibeigenschaft der Kaffern
in Transvaal Beschwerden zugegangen wären. Gladstone ist kein kriegerischer
Staatsmann, und das gebrannte Kind fürchtet sich vor dem Feuer.

So vergingen etwa anderthalb Jahre ohne Konflikt, und als die Boers
im Spätsommer 1883 den Beschluß faßten, eine Delegation nach London zu
schicken, die mit der britischen Regierung über Abänderung des Vertrages von
1881 verhandeln sollte, fand dieselbe freundliche Aufnahme und Bereitwilligkeit,
wenigstens einige der Wünsche, die sie mitbrachte, zu erfüllen. Am 7. November
wurden die Abgesandten des Transvaalstaates, Präsident Krüger, General Sinn
und Unterrichtsminister Dudon, von Lord Derby, dem neuen Staatssekretär für
die Kolonien, empfangen, und Tags darauf deutete die limvs in einem offi¬
ziösen Leitartikel dessen Stellung zu dem Anliegen der Boers an. Es hieß
darin, dieselben würden von Lord Derby vermutlich zugestanden werden, ob-
schon sie praktisch auf gänzliche Wiederherstellung der Unabhängigkeit des
Transvaal hinausliefen. Das Aufgeben einiger Punkte der Konvention von
1881 wolle wenig bedeuten; denn faktisch sei sie doch nie ausgeführt worden,
und der Schatten von Macht, welchen sie England gelassen, sei wohl einen kost¬
spieligen Krieg seinetwegen nicht wert. Die Delegation verlange vorzüglich
dreierlei: Erlaß der 265000 Pfund Sterling, welche ihr Staat England noch
von der Zeit der Annexion her schuldig sei, Ersatz des Namens "Transvaal¬
staat" durch die alte Bezeichnung "Südafrikanische Republik" und Erlaubnis
sür die Boers, alles südafrikanische Gebiet, welches nicht unter britischer Herr¬
schaft stehe, in westlicher Richtung bis an das Atlantische Meer ihrem Staate
einzuverleiben. Die Gewährung der beiden ersten Punkte werde keinen Anstand
haben; denn hier handle es sich um eine für England nicht bedeutende Summe
und einen bloßen Namen. Dagegen ließen sich gegen den dritten Bedenken er¬
heben, wenn man die Interessen der Kapkolonie und des englischen Handels ins
Auge fasse. Indes könne der Ausdehnung der Boers über das Land der Bet-


England und die Boers.

MoroÄ<zIi.<zniönt8 — beides sehr dehnbare Begriffe, und sodann an die finan¬
ziellen Bestimmungen des Vertrages, die schwer zu erfüllen waren, und man
rechnete ohne Zweifel darauf, daß England, wenn seine Truppen erst wieder
heimgeschifst wären, sich zweimal überlegen würde, ob es sich nochmals an eine
kostspielige und wegen der Stimmung der Holländer in ganz Südafrika gefähr¬
liche Expedition wagen dürfe, um die Erfüllung aller Stipulationen des Ver¬
trages zu erzwingen.

Diese Rechnung trog auch zunächst nicht. Obwohl die freihändlerische
Presse sich höchlich entrüstet geberdete, als der Vollsraad bald nach Ratifikation
der Augustkonvention einen nicht unerheblichen Zoll auf die Einfuhr aller fremden
Waaren zu legen beschloß, gelang es nicht, die Negierung zu einem Protest da¬
gegen, zu dem sie beiläufig in Artikel 13 keinen Anlaß hätte finden können, zu
bewegen, und ebensowenig Gehör würden beim Ministerium Klagen der ^nti-
Llg-vör^ IlLüAuo gefunden haben, wenn dieser über die Leibeigenschaft der Kaffern
in Transvaal Beschwerden zugegangen wären. Gladstone ist kein kriegerischer
Staatsmann, und das gebrannte Kind fürchtet sich vor dem Feuer.

So vergingen etwa anderthalb Jahre ohne Konflikt, und als die Boers
im Spätsommer 1883 den Beschluß faßten, eine Delegation nach London zu
schicken, die mit der britischen Regierung über Abänderung des Vertrages von
1881 verhandeln sollte, fand dieselbe freundliche Aufnahme und Bereitwilligkeit,
wenigstens einige der Wünsche, die sie mitbrachte, zu erfüllen. Am 7. November
wurden die Abgesandten des Transvaalstaates, Präsident Krüger, General Sinn
und Unterrichtsminister Dudon, von Lord Derby, dem neuen Staatssekretär für
die Kolonien, empfangen, und Tags darauf deutete die limvs in einem offi¬
ziösen Leitartikel dessen Stellung zu dem Anliegen der Boers an. Es hieß
darin, dieselben würden von Lord Derby vermutlich zugestanden werden, ob-
schon sie praktisch auf gänzliche Wiederherstellung der Unabhängigkeit des
Transvaal hinausliefen. Das Aufgeben einiger Punkte der Konvention von
1881 wolle wenig bedeuten; denn faktisch sei sie doch nie ausgeführt worden,
und der Schatten von Macht, welchen sie England gelassen, sei wohl einen kost¬
spieligen Krieg seinetwegen nicht wert. Die Delegation verlange vorzüglich
dreierlei: Erlaß der 265000 Pfund Sterling, welche ihr Staat England noch
von der Zeit der Annexion her schuldig sei, Ersatz des Namens „Transvaal¬
staat" durch die alte Bezeichnung „Südafrikanische Republik" und Erlaubnis
sür die Boers, alles südafrikanische Gebiet, welches nicht unter britischer Herr¬
schaft stehe, in westlicher Richtung bis an das Atlantische Meer ihrem Staate
einzuverleiben. Die Gewährung der beiden ersten Punkte werde keinen Anstand
haben; denn hier handle es sich um eine für England nicht bedeutende Summe
und einen bloßen Namen. Dagegen ließen sich gegen den dritten Bedenken er¬
heben, wenn man die Interessen der Kapkolonie und des englischen Handels ins
Auge fasse. Indes könne der Ausdehnung der Boers über das Land der Bet-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/78>, abgerufen am 22.07.2024.