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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmalers!.

Sohne War es aber vorbehalten, Genre und Landschaft zu größerer Freiheit
zu entwickeln, einerseits die Figuren über den Wert bloßer Staffage empor¬
zuheben und sie individueller lind lebendiger zu gestalten, andrerseits den Einzel¬
formen der Landschaft ihren konventionellen Charakter zu nehmen und ihnen
eine nationale Grundlage zri geben. Die verblauenden Fernen sah er freilich
noch mit den Augen derjenigen Maler, welche in Italien ihr Naturgefühl und
ihren Blick für landschaftliche Schönheit entwickelt hatten. Aber die Details
der Landschaft, die sich durch üppige Thalgründe schlängelnden Flüsse, die Städte
und Dörfer an ihren Ufern mit ihren spitzen Türmen und engen Straßen, die
Windmühlen, die sanft ansteigenden Hügelketten, die lichten Laubwälder, die
goldenen Kornfelder und die fetten Wiesen mit weidenden Vieh find heimatlich,
sind vlümisch. Die Vordergründe dieser immer sonnigen und freundlichen Land¬
schaften belebt er mit zahlreichen, kaum zollgroßen Figuren, oft bis zu dreißig
und vierzig, die alle mit gleicher Lebendigkeit charakterisirt und mit gleicher
Feinheit gezeichnet sind. Wenn er in einer Landschaft den Sommer versinn¬
lichen wollte, ließ er Bauern einen Reigentanz unter Musikbegleitung und von
Zuschauern umringt ausführen. In einer Herbstlandschaft mußten gewöhnlich
Schnitter ihre Arbeit verrichten: die einen nähert, die andern die gebundenen
Garben auf den Erntewagen ausladend, wieder andre im Schatten eines Baumes
essend oder ruhend. Er selbst pflegte solche Bilder nach ihrem Figureninhalt
zu bezeichnen. So schreibt er einmal dem Ercole Bianchi nach Mailand, er
hätte uir lliorosito, einen Markt, und uim tsstg, 0 K"zrnÜ88L g-II" üg-nrong",
eine vlämische Kirmes, abgesendet. Die Galerien von Dresden und München
sind besonders reich an solchen Landschaften mit Reitern, Wanderern, Jägern,
Fischern, Marktweibern, Soldaten. Wenn mau auch in Betracht ziehen muß,
daß ein Teil der unter Brueghels Namen gehenden Bilder Kopien von der
Hand seines Sohnes Jan Brueghel (1601 bis etwa 1677) sind, so bleibt doch
noch eine so große Summe mit höchstem Fleiße ausgeführter Bilder übrig, daß
Jan Brueghels Leben eitel Mühe und Arbeit gewesen sein muß. Es gelang
ihm auch, zu hohem Wohlstande zu kommen. Aber wenige Jahre vor seinem
Tode trafen ihn schwere Verluste. Bei einem Bankerott büßte er 9000 Gulden
ein, und es scheint, daß er deshalb in den letzten Jahren seines Lebens seine
Thätigkeit noch steigerte, um das Verlorne wieder einzubringen. In wie hohem
Ansehen er bis zu seinem Tode stand, beweist u. a. der Umstand, daß das achte
Kind feiner zweiten Frau im Jahre 1623 von einem Vertreter der Infantil?
Isabella und einem Vertreter des Erzbischofs von Mailand über der Taufe ge¬
halten wurde, und mehr noch bei seinem Begräbnis, welches eine umso tiefere
Teilnahme hervorrief, als zugleich mit dem Vater drei feiner Kinder, ein Sohn
und zwei Töchter, beigesetzt wurden. Alle vier waren innerhalb von zwanzig
Tagen an einer epidemischen Krankheit gestorben, der alte Brueghel am 13. Ja¬
nuar 1625. "Sein Tod wurde, so schrieb sein ältester Sohn später an den


Die niederländische Genre- und Landschaftsmalers!.

Sohne War es aber vorbehalten, Genre und Landschaft zu größerer Freiheit
zu entwickeln, einerseits die Figuren über den Wert bloßer Staffage empor¬
zuheben und sie individueller lind lebendiger zu gestalten, andrerseits den Einzel¬
formen der Landschaft ihren konventionellen Charakter zu nehmen und ihnen
eine nationale Grundlage zri geben. Die verblauenden Fernen sah er freilich
noch mit den Augen derjenigen Maler, welche in Italien ihr Naturgefühl und
ihren Blick für landschaftliche Schönheit entwickelt hatten. Aber die Details
der Landschaft, die sich durch üppige Thalgründe schlängelnden Flüsse, die Städte
und Dörfer an ihren Ufern mit ihren spitzen Türmen und engen Straßen, die
Windmühlen, die sanft ansteigenden Hügelketten, die lichten Laubwälder, die
goldenen Kornfelder und die fetten Wiesen mit weidenden Vieh find heimatlich,
sind vlümisch. Die Vordergründe dieser immer sonnigen und freundlichen Land¬
schaften belebt er mit zahlreichen, kaum zollgroßen Figuren, oft bis zu dreißig
und vierzig, die alle mit gleicher Lebendigkeit charakterisirt und mit gleicher
Feinheit gezeichnet sind. Wenn er in einer Landschaft den Sommer versinn¬
lichen wollte, ließ er Bauern einen Reigentanz unter Musikbegleitung und von
Zuschauern umringt ausführen. In einer Herbstlandschaft mußten gewöhnlich
Schnitter ihre Arbeit verrichten: die einen nähert, die andern die gebundenen
Garben auf den Erntewagen ausladend, wieder andre im Schatten eines Baumes
essend oder ruhend. Er selbst pflegte solche Bilder nach ihrem Figureninhalt
zu bezeichnen. So schreibt er einmal dem Ercole Bianchi nach Mailand, er
hätte uir lliorosito, einen Markt, und uim tsstg, 0 K«zrnÜ88L g-II» üg-nrong»,
eine vlämische Kirmes, abgesendet. Die Galerien von Dresden und München
sind besonders reich an solchen Landschaften mit Reitern, Wanderern, Jägern,
Fischern, Marktweibern, Soldaten. Wenn mau auch in Betracht ziehen muß,
daß ein Teil der unter Brueghels Namen gehenden Bilder Kopien von der
Hand seines Sohnes Jan Brueghel (1601 bis etwa 1677) sind, so bleibt doch
noch eine so große Summe mit höchstem Fleiße ausgeführter Bilder übrig, daß
Jan Brueghels Leben eitel Mühe und Arbeit gewesen sein muß. Es gelang
ihm auch, zu hohem Wohlstande zu kommen. Aber wenige Jahre vor seinem
Tode trafen ihn schwere Verluste. Bei einem Bankerott büßte er 9000 Gulden
ein, und es scheint, daß er deshalb in den letzten Jahren seines Lebens seine
Thätigkeit noch steigerte, um das Verlorne wieder einzubringen. In wie hohem
Ansehen er bis zu seinem Tode stand, beweist u. a. der Umstand, daß das achte
Kind feiner zweiten Frau im Jahre 1623 von einem Vertreter der Infantil?
Isabella und einem Vertreter des Erzbischofs von Mailand über der Taufe ge¬
halten wurde, und mehr noch bei seinem Begräbnis, welches eine umso tiefere
Teilnahme hervorrief, als zugleich mit dem Vater drei feiner Kinder, ein Sohn
und zwei Töchter, beigesetzt wurden. Alle vier waren innerhalb von zwanzig
Tagen an einer epidemischen Krankheit gestorben, der alte Brueghel am 13. Ja¬
nuar 1625. „Sein Tod wurde, so schrieb sein ältester Sohn später an den


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[0686] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalers!. Sohne War es aber vorbehalten, Genre und Landschaft zu größerer Freiheit zu entwickeln, einerseits die Figuren über den Wert bloßer Staffage empor¬ zuheben und sie individueller lind lebendiger zu gestalten, andrerseits den Einzel¬ formen der Landschaft ihren konventionellen Charakter zu nehmen und ihnen eine nationale Grundlage zri geben. Die verblauenden Fernen sah er freilich noch mit den Augen derjenigen Maler, welche in Italien ihr Naturgefühl und ihren Blick für landschaftliche Schönheit entwickelt hatten. Aber die Details der Landschaft, die sich durch üppige Thalgründe schlängelnden Flüsse, die Städte und Dörfer an ihren Ufern mit ihren spitzen Türmen und engen Straßen, die Windmühlen, die sanft ansteigenden Hügelketten, die lichten Laubwälder, die goldenen Kornfelder und die fetten Wiesen mit weidenden Vieh find heimatlich, sind vlümisch. Die Vordergründe dieser immer sonnigen und freundlichen Land¬ schaften belebt er mit zahlreichen, kaum zollgroßen Figuren, oft bis zu dreißig und vierzig, die alle mit gleicher Lebendigkeit charakterisirt und mit gleicher Feinheit gezeichnet sind. Wenn er in einer Landschaft den Sommer versinn¬ lichen wollte, ließ er Bauern einen Reigentanz unter Musikbegleitung und von Zuschauern umringt ausführen. In einer Herbstlandschaft mußten gewöhnlich Schnitter ihre Arbeit verrichten: die einen nähert, die andern die gebundenen Garben auf den Erntewagen ausladend, wieder andre im Schatten eines Baumes essend oder ruhend. Er selbst pflegte solche Bilder nach ihrem Figureninhalt zu bezeichnen. So schreibt er einmal dem Ercole Bianchi nach Mailand, er hätte uir lliorosito, einen Markt, und uim tsstg, 0 K«zrnÜ88L g-II» üg-nrong», eine vlämische Kirmes, abgesendet. Die Galerien von Dresden und München sind besonders reich an solchen Landschaften mit Reitern, Wanderern, Jägern, Fischern, Marktweibern, Soldaten. Wenn mau auch in Betracht ziehen muß, daß ein Teil der unter Brueghels Namen gehenden Bilder Kopien von der Hand seines Sohnes Jan Brueghel (1601 bis etwa 1677) sind, so bleibt doch noch eine so große Summe mit höchstem Fleiße ausgeführter Bilder übrig, daß Jan Brueghels Leben eitel Mühe und Arbeit gewesen sein muß. Es gelang ihm auch, zu hohem Wohlstande zu kommen. Aber wenige Jahre vor seinem Tode trafen ihn schwere Verluste. Bei einem Bankerott büßte er 9000 Gulden ein, und es scheint, daß er deshalb in den letzten Jahren seines Lebens seine Thätigkeit noch steigerte, um das Verlorne wieder einzubringen. In wie hohem Ansehen er bis zu seinem Tode stand, beweist u. a. der Umstand, daß das achte Kind feiner zweiten Frau im Jahre 1623 von einem Vertreter der Infantil? Isabella und einem Vertreter des Erzbischofs von Mailand über der Taufe ge¬ halten wurde, und mehr noch bei seinem Begräbnis, welches eine umso tiefere Teilnahme hervorrief, als zugleich mit dem Vater drei feiner Kinder, ein Sohn und zwei Töchter, beigesetzt wurden. Alle vier waren innerhalb von zwanzig Tagen an einer epidemischen Krankheit gestorben, der alte Brueghel am 13. Ja¬ nuar 1625. „Sein Tod wurde, so schrieb sein ältester Sohn später an den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/686>, abgerufen am 23.07.2024.