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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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stolz sein dürfte. Das' war schon die Passion seines Vaters gewesen, welcher gern
große Volksmengen auf die Beine brachte, wenn es sich um den Turmbau zu
Babel, den bethlehemitischen Kindermord, die Kreuztragung oder um eine Schlacht
zwischen Jsraeliten und Philistern handelte. Jan Brueghel bearbeitete nicht
nur ähnliche Stoffe aus der biblischen Geschichte und dem Altertum -- wir
nennen nur die "Anbetung der Könige" im Wiener Belvedere und die "Schlacht
von Arbela" im Louvre --, sondern er griff auch in die neuere Zeit hinein.
Das Brüsseler Museum besitzt eine Predigt des heiligen Norbert, des Stifters
des Prämonstratenserordens, welche am Portal der Se. Michaeliskirche in Ant¬
werpen vor einem zahlreichen Kreise von Zuhörern aus dem Volke gegen die
Ketzerei gehalten wird. Im Neichsmuseum zu Amsterdam befindet sich eine noch
figurenreichere Komposition gleichfalls religiösen Inhalts, welche sogar eine sa¬
tirische Spitze gegen die Geistlichkeit enthält. Aus einem Flusse fahren nämlich
katholische und protestantische Geistliche umher, um ihre Netze nach Seelen aus¬
zuwerfen. Am Ufer schaut eine Anzahl von Personen, unter denen sich auch
das Statthalterpaar der spanischen Niederlande mit seinem Hofzwerge befindet,
dem Treiben der Seelenfischer zu.

Die große Geschicklichkeit, welche Vrueghel in der Nachbildung von lebenden
und toten Naturprodukten und von Erzeugnissen der menschlichen Hand ent¬
faltete, wurde von andern Malern nicht minder in Anspruch genommen als seine
Fertigkeit in der Landschaftsmalerei. Das merkwürdigste und künstlerisch be¬
deutsamste Beispiel dasür bietet das Antwerpener Museum in einer "Bewcinung
des Leichnams Christi durch Johannes und die heiligen Frauen." Die Figuren
hat Rubens gemalt; von Brueghel rührt die schöne Landschaft und eine Anzahl
von Gegenständen im Vordergrunde her, welche, für sich allein betrachtet, ein
Stillleben im Geschmack und in der technischen Ausführung der spätern Schule
bilden. Wir sehen da eine kvpfcrne Schüssel mit einem blutbefleckten Schwämme,
einen Eimer mit einem weißen Leinentuch, eine Laterne, einen Besen, eine Vase
und eine Schachtel mit Salbe, einen Hammer, eine Zange und drei Nägel.
Jeder dieser Gegenstände ist mit höchster Sorgfalt der Natur nachgebildet.
Don, der Tausendkünstler in diesem Fache, von welchem eine Anekdote erzählt,
daß er drei Tage an einem Besen gemalt habe, hat nichts besseres zu stände
gebracht.

Wir haben schon früher darauf hingewiesen, daß Brueghel auch in seinen
Allegorien realistischen Tendenzen huldigte. Vollkommen frei von aller Symbolik
erscheint er in derjenigen Gruppe seiner Gemälde, welche die umfangreichste ist,
in seinen Landschaften, deren Staffage ausschließlich aus Figuren von Land-
leuten besteht. Auch hierin hatte ihm sein Vater die Wege gewiesen. Der alte
Vrueghel hatte bereits Bauernhochzeiten, Kirmsen und Bauernschlägereien ge¬
malt, ohne allegorische Beziehungen hineinzulegen. Ebenso hatte er bereits die
vier Jahreszeiten in vier Landschaften mit reicher Staffage dargestellt. Seinem


Grenzboten I. 1885. SS

stolz sein dürfte. Das' war schon die Passion seines Vaters gewesen, welcher gern
große Volksmengen auf die Beine brachte, wenn es sich um den Turmbau zu
Babel, den bethlehemitischen Kindermord, die Kreuztragung oder um eine Schlacht
zwischen Jsraeliten und Philistern handelte. Jan Brueghel bearbeitete nicht
nur ähnliche Stoffe aus der biblischen Geschichte und dem Altertum — wir
nennen nur die „Anbetung der Könige" im Wiener Belvedere und die „Schlacht
von Arbela" im Louvre —, sondern er griff auch in die neuere Zeit hinein.
Das Brüsseler Museum besitzt eine Predigt des heiligen Norbert, des Stifters
des Prämonstratenserordens, welche am Portal der Se. Michaeliskirche in Ant¬
werpen vor einem zahlreichen Kreise von Zuhörern aus dem Volke gegen die
Ketzerei gehalten wird. Im Neichsmuseum zu Amsterdam befindet sich eine noch
figurenreichere Komposition gleichfalls religiösen Inhalts, welche sogar eine sa¬
tirische Spitze gegen die Geistlichkeit enthält. Aus einem Flusse fahren nämlich
katholische und protestantische Geistliche umher, um ihre Netze nach Seelen aus¬
zuwerfen. Am Ufer schaut eine Anzahl von Personen, unter denen sich auch
das Statthalterpaar der spanischen Niederlande mit seinem Hofzwerge befindet,
dem Treiben der Seelenfischer zu.

Die große Geschicklichkeit, welche Vrueghel in der Nachbildung von lebenden
und toten Naturprodukten und von Erzeugnissen der menschlichen Hand ent¬
faltete, wurde von andern Malern nicht minder in Anspruch genommen als seine
Fertigkeit in der Landschaftsmalerei. Das merkwürdigste und künstlerisch be¬
deutsamste Beispiel dasür bietet das Antwerpener Museum in einer „Bewcinung
des Leichnams Christi durch Johannes und die heiligen Frauen." Die Figuren
hat Rubens gemalt; von Brueghel rührt die schöne Landschaft und eine Anzahl
von Gegenständen im Vordergrunde her, welche, für sich allein betrachtet, ein
Stillleben im Geschmack und in der technischen Ausführung der spätern Schule
bilden. Wir sehen da eine kvpfcrne Schüssel mit einem blutbefleckten Schwämme,
einen Eimer mit einem weißen Leinentuch, eine Laterne, einen Besen, eine Vase
und eine Schachtel mit Salbe, einen Hammer, eine Zange und drei Nägel.
Jeder dieser Gegenstände ist mit höchster Sorgfalt der Natur nachgebildet.
Don, der Tausendkünstler in diesem Fache, von welchem eine Anekdote erzählt,
daß er drei Tage an einem Besen gemalt habe, hat nichts besseres zu stände
gebracht.

Wir haben schon früher darauf hingewiesen, daß Brueghel auch in seinen
Allegorien realistischen Tendenzen huldigte. Vollkommen frei von aller Symbolik
erscheint er in derjenigen Gruppe seiner Gemälde, welche die umfangreichste ist,
in seinen Landschaften, deren Staffage ausschließlich aus Figuren von Land-
leuten besteht. Auch hierin hatte ihm sein Vater die Wege gewiesen. Der alte
Vrueghel hatte bereits Bauernhochzeiten, Kirmsen und Bauernschlägereien ge¬
malt, ohne allegorische Beziehungen hineinzulegen. Ebenso hatte er bereits die
vier Jahreszeiten in vier Landschaften mit reicher Staffage dargestellt. Seinem


Grenzboten I. 1885. SS
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/685>, abgerufen am 25.08.2024.