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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

Brueghels erstaunliche Virtuosität in der Wiedergabe solcher Kleinigkeiten
oder "Galanterien," wie er sie selbst in einem Briefe nennt, veranlaßten das
Statthalterpaar der spanischen Niederlande in Brüssel, Erzherzog Albert und
seine Gemahlin Jsabella, zu zahlreichen Aufträgen. Aus ihrem Besitz sind nicht
weniger als vierundfünfzig Gemälde Brueghels in das Museum zu Madrid
gekommen, und aus der schon oft erwähnten Briefsammlung ersehen wir, daß
Brueghel zu wiederholten malen in Brüssel sür die Fürsten thätig war. Im
August 1609 malte er dort vier Bilder. Im nächsten Jahre hielt er sich sogar
drei Monate in Brüssel auf, um elf große Gemälde auszuführen. Das mußte
in Brüssel selbst geschehen, weil es sich darum handelte, auf diesen Bildern
allerhand Kunstwerke und Kostbarkeiten darzustellen, welche sich im erzherzog¬
lichen Palast befanden. Zu solchen Darstellungen wurden allegorische Vorwände
genommen, vielleicht weil man ein reines Stillleben nicht sinnvoll genug fand.
Zwei ungewöhnlich große Bilder aus dieser Gruppe sind Allegorien der fünf
Sinne, und zwar in der Anordnung, daß auf dem einen das Gesicht und der
Geruch, auf dem andern das Gehör, der Geschmack und das Gefühl symboli-
sirt sind. "Im "Gesicht" findet Brueghel die Gelegenheit, alle Kunstschätze der
Fürsten, ihre Gemälde, Statuen, Kupferstiche und kostbaren Geschirre, wie auch
ihren herrlichen Garten und Palast bewundern zu lassen, im "Geruch" prangen
die prächtigsten Blumen, im "Gehör" kommt eine Sammlung von Musikinstru¬
menten zur Darstellung, im "Geschmack" finden wir die auserlesensten Speisen
im Speisesaal der Fürsten aufgetragen, im "Tastsinn" ist ihre reiche Waffen-
sammlung ausgebreitet. Die Sinne werden dabei durch Frauen und Kinder
dargestellt, welche auf den Instrumenten spielen, die Speisen kosten und die
schönen Dinge bewundern."*) Im Jahre 1617 behandelte er dasselbe Thema
der fünf Sinne noch einmal, aber in fünf einzelnen Bildern, auf welchen ähn¬
liche Gegenstände vorkommen. Ein vierter größerer Auftrag wurde dem Künstler
1619 erteilt, wo er neun Monate in Brüssel festgehalten wurde, um dort acht¬
unddreißig Miniaturen anzufertigen, welche er am 1. Dezember "zur großen
Zufriedenheit der hohen Auftraggeber" ablieferte. Was er in der Miniatur¬
malerei leisten konnte, zeigt am besten eine acht Zentimeter hohe und drei Zenti¬
meter breite, ovale Platte von Elfenbein, welche er im Jahre 1616 dem Erz-
bischof von Mailand zum Geschenk machte und welche noch in der ambrosianischcn
Bibliothek vorhanden ist. Sie zeigt auf der einen Seite eine Episode aus der
Kreuztragung Christi, und zwar die Begegnung mit der Veronika, und auf der
andern Seite den Kalvarienberg mit den drei Kreuzen. Jede dieser figuren-
reichen Darstellungen ist nur vier Zentimeter hoch und drei Zentimeter breit.
Eine große Menge von Figuren auf möglichst kleinem Raume darzustellen, reizte
besonders seine Virtuosität in der Klein- und Feinmalerei, auf welche er mit Recht



*) Max Rosses, Geschichte der Malerschule Antwerpens, S.
Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

Brueghels erstaunliche Virtuosität in der Wiedergabe solcher Kleinigkeiten
oder „Galanterien," wie er sie selbst in einem Briefe nennt, veranlaßten das
Statthalterpaar der spanischen Niederlande in Brüssel, Erzherzog Albert und
seine Gemahlin Jsabella, zu zahlreichen Aufträgen. Aus ihrem Besitz sind nicht
weniger als vierundfünfzig Gemälde Brueghels in das Museum zu Madrid
gekommen, und aus der schon oft erwähnten Briefsammlung ersehen wir, daß
Brueghel zu wiederholten malen in Brüssel sür die Fürsten thätig war. Im
August 1609 malte er dort vier Bilder. Im nächsten Jahre hielt er sich sogar
drei Monate in Brüssel auf, um elf große Gemälde auszuführen. Das mußte
in Brüssel selbst geschehen, weil es sich darum handelte, auf diesen Bildern
allerhand Kunstwerke und Kostbarkeiten darzustellen, welche sich im erzherzog¬
lichen Palast befanden. Zu solchen Darstellungen wurden allegorische Vorwände
genommen, vielleicht weil man ein reines Stillleben nicht sinnvoll genug fand.
Zwei ungewöhnlich große Bilder aus dieser Gruppe sind Allegorien der fünf
Sinne, und zwar in der Anordnung, daß auf dem einen das Gesicht und der
Geruch, auf dem andern das Gehör, der Geschmack und das Gefühl symboli-
sirt sind. „Im »Gesicht« findet Brueghel die Gelegenheit, alle Kunstschätze der
Fürsten, ihre Gemälde, Statuen, Kupferstiche und kostbaren Geschirre, wie auch
ihren herrlichen Garten und Palast bewundern zu lassen, im »Geruch« prangen
die prächtigsten Blumen, im »Gehör« kommt eine Sammlung von Musikinstru¬
menten zur Darstellung, im »Geschmack« finden wir die auserlesensten Speisen
im Speisesaal der Fürsten aufgetragen, im »Tastsinn« ist ihre reiche Waffen-
sammlung ausgebreitet. Die Sinne werden dabei durch Frauen und Kinder
dargestellt, welche auf den Instrumenten spielen, die Speisen kosten und die
schönen Dinge bewundern."*) Im Jahre 1617 behandelte er dasselbe Thema
der fünf Sinne noch einmal, aber in fünf einzelnen Bildern, auf welchen ähn¬
liche Gegenstände vorkommen. Ein vierter größerer Auftrag wurde dem Künstler
1619 erteilt, wo er neun Monate in Brüssel festgehalten wurde, um dort acht¬
unddreißig Miniaturen anzufertigen, welche er am 1. Dezember „zur großen
Zufriedenheit der hohen Auftraggeber" ablieferte. Was er in der Miniatur¬
malerei leisten konnte, zeigt am besten eine acht Zentimeter hohe und drei Zenti¬
meter breite, ovale Platte von Elfenbein, welche er im Jahre 1616 dem Erz-
bischof von Mailand zum Geschenk machte und welche noch in der ambrosianischcn
Bibliothek vorhanden ist. Sie zeigt auf der einen Seite eine Episode aus der
Kreuztragung Christi, und zwar die Begegnung mit der Veronika, und auf der
andern Seite den Kalvarienberg mit den drei Kreuzen. Jede dieser figuren-
reichen Darstellungen ist nur vier Zentimeter hoch und drei Zentimeter breit.
Eine große Menge von Figuren auf möglichst kleinem Raume darzustellen, reizte
besonders seine Virtuosität in der Klein- und Feinmalerei, auf welche er mit Recht



*) Max Rosses, Geschichte der Malerschule Antwerpens, S.
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[0684] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei. Brueghels erstaunliche Virtuosität in der Wiedergabe solcher Kleinigkeiten oder „Galanterien," wie er sie selbst in einem Briefe nennt, veranlaßten das Statthalterpaar der spanischen Niederlande in Brüssel, Erzherzog Albert und seine Gemahlin Jsabella, zu zahlreichen Aufträgen. Aus ihrem Besitz sind nicht weniger als vierundfünfzig Gemälde Brueghels in das Museum zu Madrid gekommen, und aus der schon oft erwähnten Briefsammlung ersehen wir, daß Brueghel zu wiederholten malen in Brüssel sür die Fürsten thätig war. Im August 1609 malte er dort vier Bilder. Im nächsten Jahre hielt er sich sogar drei Monate in Brüssel auf, um elf große Gemälde auszuführen. Das mußte in Brüssel selbst geschehen, weil es sich darum handelte, auf diesen Bildern allerhand Kunstwerke und Kostbarkeiten darzustellen, welche sich im erzherzog¬ lichen Palast befanden. Zu solchen Darstellungen wurden allegorische Vorwände genommen, vielleicht weil man ein reines Stillleben nicht sinnvoll genug fand. Zwei ungewöhnlich große Bilder aus dieser Gruppe sind Allegorien der fünf Sinne, und zwar in der Anordnung, daß auf dem einen das Gesicht und der Geruch, auf dem andern das Gehör, der Geschmack und das Gefühl symboli- sirt sind. „Im »Gesicht« findet Brueghel die Gelegenheit, alle Kunstschätze der Fürsten, ihre Gemälde, Statuen, Kupferstiche und kostbaren Geschirre, wie auch ihren herrlichen Garten und Palast bewundern zu lassen, im »Geruch« prangen die prächtigsten Blumen, im »Gehör« kommt eine Sammlung von Musikinstru¬ menten zur Darstellung, im »Geschmack« finden wir die auserlesensten Speisen im Speisesaal der Fürsten aufgetragen, im »Tastsinn« ist ihre reiche Waffen- sammlung ausgebreitet. Die Sinne werden dabei durch Frauen und Kinder dargestellt, welche auf den Instrumenten spielen, die Speisen kosten und die schönen Dinge bewundern."*) Im Jahre 1617 behandelte er dasselbe Thema der fünf Sinne noch einmal, aber in fünf einzelnen Bildern, auf welchen ähn¬ liche Gegenstände vorkommen. Ein vierter größerer Auftrag wurde dem Künstler 1619 erteilt, wo er neun Monate in Brüssel festgehalten wurde, um dort acht¬ unddreißig Miniaturen anzufertigen, welche er am 1. Dezember „zur großen Zufriedenheit der hohen Auftraggeber" ablieferte. Was er in der Miniatur¬ malerei leisten konnte, zeigt am besten eine acht Zentimeter hohe und drei Zenti¬ meter breite, ovale Platte von Elfenbein, welche er im Jahre 1616 dem Erz- bischof von Mailand zum Geschenk machte und welche noch in der ambrosianischcn Bibliothek vorhanden ist. Sie zeigt auf der einen Seite eine Episode aus der Kreuztragung Christi, und zwar die Begegnung mit der Veronika, und auf der andern Seite den Kalvarienberg mit den drei Kreuzen. Jede dieser figuren- reichen Darstellungen ist nur vier Zentimeter hoch und drei Zentimeter breit. Eine große Menge von Figuren auf möglichst kleinem Raume darzustellen, reizte besonders seine Virtuosität in der Klein- und Feinmalerei, auf welche er mit Recht *) Max Rosses, Geschichte der Malerschule Antwerpens, S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/684>, abgerufen am 22.07.2024.