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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die afghanische Episode.

zu den Waffen greifen, wenn die britische Negierung nicht vorher ihre Ein¬
willigung dazu gegeben hat. Unter dieser Bedingung wird dieselbe ihr" gegen
jeden Angriff von außen her mit Geld, Waffen oder Truppen beistehen, die
dann in der Weise zu verwenden sind, welche die britische Regierung für zweck¬
entsprechend betrachtet. Sollten irgendeinmal britische Truppen zur Abwehr
eines fremden Angriffs in Afghanistan einrücken, so werden sie, sobald der Zweck,
zu welchem sie gekommen sind, erreicht ist, in ihre Garnisonen auf britischein
Gebiete zurückkehren." Bald darauf brach abermals Krieg zwischen England
und Afghanistan aus, der jenen Vertrag selbstverständlich nngiltig machte. Die
Afghanen zogen den kürzern, schir Ali floh und starb auf der Flucht,
sein Sohn Jakob Chan wurde in Indien internirt, und an seiner Statt
bestieg Abdurrachman den Thron, den er noch jetzt inne hat. Da der
Vertrag von Gandamcck nicht mehr galt und der neue Emir zu wissen
wünschte, wie die britische Negierung über seine Stellung gegenüber auswärtigen
Mächten, zunächst natürlich Rußland und Persien, den Nachbarn, denke, so bat
er deu Vizekönig von Indien um Auskunft über diesen Punkt. Er bekam darauf
im Namen des Vizekönigs von dessen Vertreter in Kabul folgende schriftliche
Antwort: "Da die englische Regierung keiner auswärtigen Regierung das Recht
zuerkennt, sich in Kabul einzumischen, und da Nußland und Persien verpflichtet
sind Ersteres durch das 1873 zwischen Lord Granville und Fürst Gvrtschakoff
abgeschlossene Übereinkommens, sich jedes Eingreifens in die Angelegenheiten
Afghanistans zu enthalten, so liegt es auf der Hand, daß Eure Hoheit keine
politischen Beziehungen zu irgendeiner auswärtigen Macht als der britischen
Regierung unterhcilteu kann. In dem Falle, daß eine fremde Macht es unter¬
nähme, sich in Afghanistan einzumischen, und daß eine derartige Einmischung
zu einem unprovozirten Angriff auf die Besitzungen Eurer Hoheit führte, würde
die britische Negierung bereit sein, Ihnen in dem Umfang und in der Weise,
wie es ihr zur Abwehr dieses Angriffs notwendig erscheint, beizustehen, immer
unter der Voraussetzung, daß Eure Hoheit hinsichtlich Ihrer auswärtigen Be¬
ziehungen dem Rate der britischen Regierung unbedingt Folge leistet." Diese
Erklärung wurde, als der Emir später über seine Lage gegenüber dem Nachbar
im Norden wieder Beunruhigung empfand, in einem Schreiben vom Juni 1883
wiederholt. Ein Vertrag aber, der England zum Schutze Afghanistans gegen
auswärtige Aggression verpflichtet hätte, ist seit 1879 niemals abgeschlossen
worden. Es liegt in dieser Hinsicht nichts vor, als jene einseitige Erklärung
des Vizekönigs, deren Abfassung, wie man sieht, den Entschlüssen der englischen
Negierung einen ziemlich weiten Spielraum überläßt.

Was Herat angeht, so sind wir überzeugt, daß Nußland jetzt nicht die
Absicht hat, sich seiner zu bemächtigen, ebenso fest aber sind wir überzeugt, daß
es nur die Gelegenheit dazu abwartet, und daß diese Gelegenheit gesucht und
in nicht gar langer Zeit auch gefunden werden wird. Dieselbe würde gegeben


Die afghanische Episode.

zu den Waffen greifen, wenn die britische Negierung nicht vorher ihre Ein¬
willigung dazu gegeben hat. Unter dieser Bedingung wird dieselbe ihr» gegen
jeden Angriff von außen her mit Geld, Waffen oder Truppen beistehen, die
dann in der Weise zu verwenden sind, welche die britische Regierung für zweck¬
entsprechend betrachtet. Sollten irgendeinmal britische Truppen zur Abwehr
eines fremden Angriffs in Afghanistan einrücken, so werden sie, sobald der Zweck,
zu welchem sie gekommen sind, erreicht ist, in ihre Garnisonen auf britischein
Gebiete zurückkehren." Bald darauf brach abermals Krieg zwischen England
und Afghanistan aus, der jenen Vertrag selbstverständlich nngiltig machte. Die
Afghanen zogen den kürzern, schir Ali floh und starb auf der Flucht,
sein Sohn Jakob Chan wurde in Indien internirt, und an seiner Statt
bestieg Abdurrachman den Thron, den er noch jetzt inne hat. Da der
Vertrag von Gandamcck nicht mehr galt und der neue Emir zu wissen
wünschte, wie die britische Negierung über seine Stellung gegenüber auswärtigen
Mächten, zunächst natürlich Rußland und Persien, den Nachbarn, denke, so bat
er deu Vizekönig von Indien um Auskunft über diesen Punkt. Er bekam darauf
im Namen des Vizekönigs von dessen Vertreter in Kabul folgende schriftliche
Antwort: „Da die englische Regierung keiner auswärtigen Regierung das Recht
zuerkennt, sich in Kabul einzumischen, und da Nußland und Persien verpflichtet
sind Ersteres durch das 1873 zwischen Lord Granville und Fürst Gvrtschakoff
abgeschlossene Übereinkommens, sich jedes Eingreifens in die Angelegenheiten
Afghanistans zu enthalten, so liegt es auf der Hand, daß Eure Hoheit keine
politischen Beziehungen zu irgendeiner auswärtigen Macht als der britischen
Regierung unterhcilteu kann. In dem Falle, daß eine fremde Macht es unter¬
nähme, sich in Afghanistan einzumischen, und daß eine derartige Einmischung
zu einem unprovozirten Angriff auf die Besitzungen Eurer Hoheit führte, würde
die britische Negierung bereit sein, Ihnen in dem Umfang und in der Weise,
wie es ihr zur Abwehr dieses Angriffs notwendig erscheint, beizustehen, immer
unter der Voraussetzung, daß Eure Hoheit hinsichtlich Ihrer auswärtigen Be¬
ziehungen dem Rate der britischen Regierung unbedingt Folge leistet." Diese
Erklärung wurde, als der Emir später über seine Lage gegenüber dem Nachbar
im Norden wieder Beunruhigung empfand, in einem Schreiben vom Juni 1883
wiederholt. Ein Vertrag aber, der England zum Schutze Afghanistans gegen
auswärtige Aggression verpflichtet hätte, ist seit 1879 niemals abgeschlossen
worden. Es liegt in dieser Hinsicht nichts vor, als jene einseitige Erklärung
des Vizekönigs, deren Abfassung, wie man sieht, den Entschlüssen der englischen
Negierung einen ziemlich weiten Spielraum überläßt.

Was Herat angeht, so sind wir überzeugt, daß Nußland jetzt nicht die
Absicht hat, sich seiner zu bemächtigen, ebenso fest aber sind wir überzeugt, daß
es nur die Gelegenheit dazu abwartet, und daß diese Gelegenheit gesucht und
in nicht gar langer Zeit auch gefunden werden wird. Dieselbe würde gegeben


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[0666] Die afghanische Episode. zu den Waffen greifen, wenn die britische Negierung nicht vorher ihre Ein¬ willigung dazu gegeben hat. Unter dieser Bedingung wird dieselbe ihr» gegen jeden Angriff von außen her mit Geld, Waffen oder Truppen beistehen, die dann in der Weise zu verwenden sind, welche die britische Regierung für zweck¬ entsprechend betrachtet. Sollten irgendeinmal britische Truppen zur Abwehr eines fremden Angriffs in Afghanistan einrücken, so werden sie, sobald der Zweck, zu welchem sie gekommen sind, erreicht ist, in ihre Garnisonen auf britischein Gebiete zurückkehren." Bald darauf brach abermals Krieg zwischen England und Afghanistan aus, der jenen Vertrag selbstverständlich nngiltig machte. Die Afghanen zogen den kürzern, schir Ali floh und starb auf der Flucht, sein Sohn Jakob Chan wurde in Indien internirt, und an seiner Statt bestieg Abdurrachman den Thron, den er noch jetzt inne hat. Da der Vertrag von Gandamcck nicht mehr galt und der neue Emir zu wissen wünschte, wie die britische Negierung über seine Stellung gegenüber auswärtigen Mächten, zunächst natürlich Rußland und Persien, den Nachbarn, denke, so bat er deu Vizekönig von Indien um Auskunft über diesen Punkt. Er bekam darauf im Namen des Vizekönigs von dessen Vertreter in Kabul folgende schriftliche Antwort: „Da die englische Regierung keiner auswärtigen Regierung das Recht zuerkennt, sich in Kabul einzumischen, und da Nußland und Persien verpflichtet sind Ersteres durch das 1873 zwischen Lord Granville und Fürst Gvrtschakoff abgeschlossene Übereinkommens, sich jedes Eingreifens in die Angelegenheiten Afghanistans zu enthalten, so liegt es auf der Hand, daß Eure Hoheit keine politischen Beziehungen zu irgendeiner auswärtigen Macht als der britischen Regierung unterhcilteu kann. In dem Falle, daß eine fremde Macht es unter¬ nähme, sich in Afghanistan einzumischen, und daß eine derartige Einmischung zu einem unprovozirten Angriff auf die Besitzungen Eurer Hoheit führte, würde die britische Negierung bereit sein, Ihnen in dem Umfang und in der Weise, wie es ihr zur Abwehr dieses Angriffs notwendig erscheint, beizustehen, immer unter der Voraussetzung, daß Eure Hoheit hinsichtlich Ihrer auswärtigen Be¬ ziehungen dem Rate der britischen Regierung unbedingt Folge leistet." Diese Erklärung wurde, als der Emir später über seine Lage gegenüber dem Nachbar im Norden wieder Beunruhigung empfand, in einem Schreiben vom Juni 1883 wiederholt. Ein Vertrag aber, der England zum Schutze Afghanistans gegen auswärtige Aggression verpflichtet hätte, ist seit 1879 niemals abgeschlossen worden. Es liegt in dieser Hinsicht nichts vor, als jene einseitige Erklärung des Vizekönigs, deren Abfassung, wie man sieht, den Entschlüssen der englischen Negierung einen ziemlich weiten Spielraum überläßt. Was Herat angeht, so sind wir überzeugt, daß Nußland jetzt nicht die Absicht hat, sich seiner zu bemächtigen, ebenso fest aber sind wir überzeugt, daß es nur die Gelegenheit dazu abwartet, und daß diese Gelegenheit gesucht und in nicht gar langer Zeit auch gefunden werden wird. Dieselbe würde gegeben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/666>, abgerufen am 22.07.2024.