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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Peitschte, welches sie nicht begriff und nur den Schmerz empfand. Seine Re-
formation war weit mehr eine despotische Revolution. Er meinte ein Varbarenreich
in einen Kulturstaat umzuschaffen, und er hat in Wirklichkeit nur die alten
rohen Formen der ethischen Volkskräfte umgegossen. Er hat dem Volke den
letzten Funken selbstwilligcr Thatkraft ausgetreten, ohne welche keine Kultnrkeim
Leben gewinnen und gedeihen kann. Wären auf ihn Zaren gefolgt, die ihr
Volk und die Kultur ihrer Zeit so gut gekannt hätten wie die Hohenzollern des
vorigen Jahrhunderts, so hätte es gelingen können, die um so ungeheuern Preis
erkauften Machtmittel der Krone heilsam zu verwenden, die Beamtenwelt sittlich
zu heben und mit ihr erziehenden Einfluß auf das Volk zu üben. Die neue
Staatsmaschine, ein Gewirr europäischer Formen und asiatischer Gewohnheiten,
das weder vom Volke noch von den Beamten verstanden wurde, hätte zu heil¬
samer Ordnung nur durch die unermüdliche Energie eines sich der Schärfe seines
Werkzeuges und seiner eignen Verantwortlichkeit bewußten Despoten entwickelt
werden können. Peter war kein solcher Herrscher, und so konnte er wohl in
drei Jahrzehnten die gesamten äußern Verhältnisse, nicht aber den Geist des
russischen Volkes umgestalten. Er hatte, als er starb, nur den Beamtenstaat,
den alten Staat im Staate, ungebührlich vergrößert, in welchem sich das Kultur¬
leben auch der neuen Ära fortan abspielte, ohne die Masse des Volkes wesentlich
zu erfassen.

Erst als der Reformator gestorben war, wurden den Russen seine Ziele
allmählich klarer, und das trug zu seiner Verherrlichung erheblich bei. "Es
ist, sagt der Verfasser, eine heute sehr verbreitete Lehre, daß nur der ein großer
Mann sei, welcher große Strebungen der Massen zu den seinen macht und zum
Ziele zu führen wisse; der aber gilt als Tyrann, der seine willkürlichen Pläne
der Menge aufdrängt; dieser, meint man, mag wohl eine geraume Zeit durch
Thaten der Gewalt hervorleuchten, aber nur, um als ein Meteor wieder ins
Dunkel zu versinken. Die Geschichte redet deutlich gegen die Meinung, auch
die aufgedrungene Willkür des Einzelnen ist oft von ganzen Völkern heilig ge¬
sprochen worden. Indessen ist es der höchste Ruhm eines Mannes, von einem
instinktiven Streben des Volkes sich herausheben zu lassen aus der Menge,
dieses Streben zu einem festen Plane zu gestalten und den Plan an der Spitze
des Volkes auszuführen. Die sittliche Größe jedoch wird nicht durch die Ge¬
walt des Willens bestimmt, auch die Massen werden von unsittlichen Zielen
fortgerissen wie der Einzelne. Die sittliche Größe wird bestimmt durch die sitt¬
lichen Ideen, welche den Willen leiten, und der Mann, welcher, mit diesen aus¬
gerüstet, den Massen seine willkürlichen Pläne aufzwingt ^willkürlich ist doch
hier nicht das rechte Wort^, wird ihrer Achtung nicht entbehren. Allein es giebt
ein Maß, welches auch dem Größten in der Verwirklichung seiner erhabenen
Pläne gesetzt ist, und das sind die Mittel, die der Ausführung zu Gebote stehen,
die Kräfte des Volkes, für welches er wirkt. Wird dieses Maß überschritten,


Peitschte, welches sie nicht begriff und nur den Schmerz empfand. Seine Re-
formation war weit mehr eine despotische Revolution. Er meinte ein Varbarenreich
in einen Kulturstaat umzuschaffen, und er hat in Wirklichkeit nur die alten
rohen Formen der ethischen Volkskräfte umgegossen. Er hat dem Volke den
letzten Funken selbstwilligcr Thatkraft ausgetreten, ohne welche keine Kultnrkeim
Leben gewinnen und gedeihen kann. Wären auf ihn Zaren gefolgt, die ihr
Volk und die Kultur ihrer Zeit so gut gekannt hätten wie die Hohenzollern des
vorigen Jahrhunderts, so hätte es gelingen können, die um so ungeheuern Preis
erkauften Machtmittel der Krone heilsam zu verwenden, die Beamtenwelt sittlich
zu heben und mit ihr erziehenden Einfluß auf das Volk zu üben. Die neue
Staatsmaschine, ein Gewirr europäischer Formen und asiatischer Gewohnheiten,
das weder vom Volke noch von den Beamten verstanden wurde, hätte zu heil¬
samer Ordnung nur durch die unermüdliche Energie eines sich der Schärfe seines
Werkzeuges und seiner eignen Verantwortlichkeit bewußten Despoten entwickelt
werden können. Peter war kein solcher Herrscher, und so konnte er wohl in
drei Jahrzehnten die gesamten äußern Verhältnisse, nicht aber den Geist des
russischen Volkes umgestalten. Er hatte, als er starb, nur den Beamtenstaat,
den alten Staat im Staate, ungebührlich vergrößert, in welchem sich das Kultur¬
leben auch der neuen Ära fortan abspielte, ohne die Masse des Volkes wesentlich
zu erfassen.

Erst als der Reformator gestorben war, wurden den Russen seine Ziele
allmählich klarer, und das trug zu seiner Verherrlichung erheblich bei. „Es
ist, sagt der Verfasser, eine heute sehr verbreitete Lehre, daß nur der ein großer
Mann sei, welcher große Strebungen der Massen zu den seinen macht und zum
Ziele zu führen wisse; der aber gilt als Tyrann, der seine willkürlichen Pläne
der Menge aufdrängt; dieser, meint man, mag wohl eine geraume Zeit durch
Thaten der Gewalt hervorleuchten, aber nur, um als ein Meteor wieder ins
Dunkel zu versinken. Die Geschichte redet deutlich gegen die Meinung, auch
die aufgedrungene Willkür des Einzelnen ist oft von ganzen Völkern heilig ge¬
sprochen worden. Indessen ist es der höchste Ruhm eines Mannes, von einem
instinktiven Streben des Volkes sich herausheben zu lassen aus der Menge,
dieses Streben zu einem festen Plane zu gestalten und den Plan an der Spitze
des Volkes auszuführen. Die sittliche Größe jedoch wird nicht durch die Ge¬
walt des Willens bestimmt, auch die Massen werden von unsittlichen Zielen
fortgerissen wie der Einzelne. Die sittliche Größe wird bestimmt durch die sitt¬
lichen Ideen, welche den Willen leiten, und der Mann, welcher, mit diesen aus¬
gerüstet, den Massen seine willkürlichen Pläne aufzwingt ^willkürlich ist doch
hier nicht das rechte Wort^, wird ihrer Achtung nicht entbehren. Allein es giebt
ein Maß, welches auch dem Größten in der Verwirklichung seiner erhabenen
Pläne gesetzt ist, und das sind die Mittel, die der Ausführung zu Gebote stehen,
die Kräfte des Volkes, für welches er wirkt. Wird dieses Maß überschritten,


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[0639] Peitschte, welches sie nicht begriff und nur den Schmerz empfand. Seine Re- formation war weit mehr eine despotische Revolution. Er meinte ein Varbarenreich in einen Kulturstaat umzuschaffen, und er hat in Wirklichkeit nur die alten rohen Formen der ethischen Volkskräfte umgegossen. Er hat dem Volke den letzten Funken selbstwilligcr Thatkraft ausgetreten, ohne welche keine Kultnrkeim Leben gewinnen und gedeihen kann. Wären auf ihn Zaren gefolgt, die ihr Volk und die Kultur ihrer Zeit so gut gekannt hätten wie die Hohenzollern des vorigen Jahrhunderts, so hätte es gelingen können, die um so ungeheuern Preis erkauften Machtmittel der Krone heilsam zu verwenden, die Beamtenwelt sittlich zu heben und mit ihr erziehenden Einfluß auf das Volk zu üben. Die neue Staatsmaschine, ein Gewirr europäischer Formen und asiatischer Gewohnheiten, das weder vom Volke noch von den Beamten verstanden wurde, hätte zu heil¬ samer Ordnung nur durch die unermüdliche Energie eines sich der Schärfe seines Werkzeuges und seiner eignen Verantwortlichkeit bewußten Despoten entwickelt werden können. Peter war kein solcher Herrscher, und so konnte er wohl in drei Jahrzehnten die gesamten äußern Verhältnisse, nicht aber den Geist des russischen Volkes umgestalten. Er hatte, als er starb, nur den Beamtenstaat, den alten Staat im Staate, ungebührlich vergrößert, in welchem sich das Kultur¬ leben auch der neuen Ära fortan abspielte, ohne die Masse des Volkes wesentlich zu erfassen. Erst als der Reformator gestorben war, wurden den Russen seine Ziele allmählich klarer, und das trug zu seiner Verherrlichung erheblich bei. „Es ist, sagt der Verfasser, eine heute sehr verbreitete Lehre, daß nur der ein großer Mann sei, welcher große Strebungen der Massen zu den seinen macht und zum Ziele zu führen wisse; der aber gilt als Tyrann, der seine willkürlichen Pläne der Menge aufdrängt; dieser, meint man, mag wohl eine geraume Zeit durch Thaten der Gewalt hervorleuchten, aber nur, um als ein Meteor wieder ins Dunkel zu versinken. Die Geschichte redet deutlich gegen die Meinung, auch die aufgedrungene Willkür des Einzelnen ist oft von ganzen Völkern heilig ge¬ sprochen worden. Indessen ist es der höchste Ruhm eines Mannes, von einem instinktiven Streben des Volkes sich herausheben zu lassen aus der Menge, dieses Streben zu einem festen Plane zu gestalten und den Plan an der Spitze des Volkes auszuführen. Die sittliche Größe jedoch wird nicht durch die Ge¬ walt des Willens bestimmt, auch die Massen werden von unsittlichen Zielen fortgerissen wie der Einzelne. Die sittliche Größe wird bestimmt durch die sitt¬ lichen Ideen, welche den Willen leiten, und der Mann, welcher, mit diesen aus¬ gerüstet, den Massen seine willkürlichen Pläne aufzwingt ^willkürlich ist doch hier nicht das rechte Wort^, wird ihrer Achtung nicht entbehren. Allein es giebt ein Maß, welches auch dem Größten in der Verwirklichung seiner erhabenen Pläne gesetzt ist, und das sind die Mittel, die der Ausführung zu Gebote stehen, die Kräfte des Volkes, für welches er wirkt. Wird dieses Maß überschritten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/639>, abgerufen am 22.07.2024.