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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Peter der Große in neuer Beleuchtung.

durch blendenden Schein im Auftreten von Hof und Regierung oder kriegerischen
Aufwand zu verdecken.

"Peter hat, so fährt der Verfasser in seiner Betrachtung dieses Herrschers
fort, mit großer Kraft seine beiden Ziele erreicht: die Erhebung Rußlands zu
einer europäischen Großmacht und den Aufhalt Rußlands zu einer europäischen
Bureaukratie. Aber der Erfolg blieb ein äußerlicher; wie die neue Großmacht
dem Wesen europäischer staatlicher Ordnung fernstand, so wenig war die neue
Büreaukratie imstande, den Staat mit europäischem Geiste zu erfüllen. Nach
Peters Verordnung erwarb jeder den erblichen Adel, indem er eine leicht zu
erklimmende Dienststnfe erreichte. Nachdem die Veamtenklasse über den Adel gehest
und zur obersten im Volte erhoben, nachdem die Menge der Beamten fortwährend
vermehrt worden und alle Gewalt in die Hände derselben gelangt war, steigerte
sich natürlich die Anziehungskraft dieser Klasse, sodaß es bald Voraussetzung
gesellschaftlicher Stellung und fast alleiniges Zeugnis von Bildung und guter
Sitte ward, Beamter zu fein oder gewesen zu sein. . . Diese Vorteile lockten
viele Nichtadliche in den Dienst, die sich hier flugs in erbliche Edelleute ver¬
wandelten und so die Masse des eidlichen Pöbels verstärkten. . . Der Adel als
Stand war damit in seiner Wurzel zerstört, die Möglichkeit seiner Entwicklung
vernichtet. Es war nur noch eine Beamtenhordc da, von der viele die Besitzer
großer oder kleiner Güter waren, die man in steter Sorge um Beförderung
und Orden möglichst wenig und schlecht bewirtschaftete. . . Der Grundbesitz
war Gnadenverleihuug für geleistete Dienste und konnte durch Ungnade ver¬
loren gehen. Es fehlte die rechtliche ständische Selbständigkeit und die kor¬
porative Geschlossenheit, welche diesen Dienstadel unabhängig und geachtet
machen konnten. . . Auch der Stärkung des Bürgertums geschah hierdurch
Abbruch, da jeder Städter erst durch Erwerbung einer Rangklasse Ansehen ge¬
wann und dann alsbald in jenen Adel überging, was ihn und seine Nach¬
kommen dem bürgerlichen Gewerbe entzog und, da ihm die Landwirtschaft fremd
war, ihn und seiue Söhne meist gänzlich dem großen Znchtstalle der Beamten-
klnsse überantwortete." Die preußische Bureaukratie hat ihre Tüchtigkeit großenteils
aus den großen ständischen Erziehungsanstalten, die wir Adel und Bürgertum
nennen, und aus freiem Unterricht auf Schulen und Universitäten geschöpft.
Peters Beamtenheer erhielt von den Bojaren, Dworünen und Bvjarenkiudern,
Volksklassen, in denen nie ständischer und freier, sondern stets nur sklavischer
Geist gelebt hatte, keinen Zuwachs an sittlicher Kraft, und durch die vielen
Fremden, die seit Peter in den Staatsdienst gezogen wurden und vielfach lockere
Charaktere waren, während sie den Russen Sittenlehrer sein sollten, wurde es
auch nicht moralisch gestärkt. Die preußische Büreaukratie ist andernteils durch
die Zucht vou Königen zu ihrer Trefflichkeit gelangt, welche die besten Lehr¬
meister aller Zeiten waren. Nicht so Peter. Er war ein Fanatiker der Kultur,
der aber deren Wesen nicht verstand, und der seine Lehren einem Volke ein-


Peter der Große in neuer Beleuchtung.

durch blendenden Schein im Auftreten von Hof und Regierung oder kriegerischen
Aufwand zu verdecken.

„Peter hat, so fährt der Verfasser in seiner Betrachtung dieses Herrschers
fort, mit großer Kraft seine beiden Ziele erreicht: die Erhebung Rußlands zu
einer europäischen Großmacht und den Aufhalt Rußlands zu einer europäischen
Bureaukratie. Aber der Erfolg blieb ein äußerlicher; wie die neue Großmacht
dem Wesen europäischer staatlicher Ordnung fernstand, so wenig war die neue
Büreaukratie imstande, den Staat mit europäischem Geiste zu erfüllen. Nach
Peters Verordnung erwarb jeder den erblichen Adel, indem er eine leicht zu
erklimmende Dienststnfe erreichte. Nachdem die Veamtenklasse über den Adel gehest
und zur obersten im Volte erhoben, nachdem die Menge der Beamten fortwährend
vermehrt worden und alle Gewalt in die Hände derselben gelangt war, steigerte
sich natürlich die Anziehungskraft dieser Klasse, sodaß es bald Voraussetzung
gesellschaftlicher Stellung und fast alleiniges Zeugnis von Bildung und guter
Sitte ward, Beamter zu fein oder gewesen zu sein. . . Diese Vorteile lockten
viele Nichtadliche in den Dienst, die sich hier flugs in erbliche Edelleute ver¬
wandelten und so die Masse des eidlichen Pöbels verstärkten. . . Der Adel als
Stand war damit in seiner Wurzel zerstört, die Möglichkeit seiner Entwicklung
vernichtet. Es war nur noch eine Beamtenhordc da, von der viele die Besitzer
großer oder kleiner Güter waren, die man in steter Sorge um Beförderung
und Orden möglichst wenig und schlecht bewirtschaftete. . . Der Grundbesitz
war Gnadenverleihuug für geleistete Dienste und konnte durch Ungnade ver¬
loren gehen. Es fehlte die rechtliche ständische Selbständigkeit und die kor¬
porative Geschlossenheit, welche diesen Dienstadel unabhängig und geachtet
machen konnten. . . Auch der Stärkung des Bürgertums geschah hierdurch
Abbruch, da jeder Städter erst durch Erwerbung einer Rangklasse Ansehen ge¬
wann und dann alsbald in jenen Adel überging, was ihn und seine Nach¬
kommen dem bürgerlichen Gewerbe entzog und, da ihm die Landwirtschaft fremd
war, ihn und seiue Söhne meist gänzlich dem großen Znchtstalle der Beamten-
klnsse überantwortete." Die preußische Bureaukratie hat ihre Tüchtigkeit großenteils
aus den großen ständischen Erziehungsanstalten, die wir Adel und Bürgertum
nennen, und aus freiem Unterricht auf Schulen und Universitäten geschöpft.
Peters Beamtenheer erhielt von den Bojaren, Dworünen und Bvjarenkiudern,
Volksklassen, in denen nie ständischer und freier, sondern stets nur sklavischer
Geist gelebt hatte, keinen Zuwachs an sittlicher Kraft, und durch die vielen
Fremden, die seit Peter in den Staatsdienst gezogen wurden und vielfach lockere
Charaktere waren, während sie den Russen Sittenlehrer sein sollten, wurde es
auch nicht moralisch gestärkt. Die preußische Büreaukratie ist andernteils durch
die Zucht vou Königen zu ihrer Trefflichkeit gelangt, welche die besten Lehr¬
meister aller Zeiten waren. Nicht so Peter. Er war ein Fanatiker der Kultur,
der aber deren Wesen nicht verstand, und der seine Lehren einem Volke ein-


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[0638] Peter der Große in neuer Beleuchtung. durch blendenden Schein im Auftreten von Hof und Regierung oder kriegerischen Aufwand zu verdecken. „Peter hat, so fährt der Verfasser in seiner Betrachtung dieses Herrschers fort, mit großer Kraft seine beiden Ziele erreicht: die Erhebung Rußlands zu einer europäischen Großmacht und den Aufhalt Rußlands zu einer europäischen Bureaukratie. Aber der Erfolg blieb ein äußerlicher; wie die neue Großmacht dem Wesen europäischer staatlicher Ordnung fernstand, so wenig war die neue Büreaukratie imstande, den Staat mit europäischem Geiste zu erfüllen. Nach Peters Verordnung erwarb jeder den erblichen Adel, indem er eine leicht zu erklimmende Dienststnfe erreichte. Nachdem die Veamtenklasse über den Adel gehest und zur obersten im Volte erhoben, nachdem die Menge der Beamten fortwährend vermehrt worden und alle Gewalt in die Hände derselben gelangt war, steigerte sich natürlich die Anziehungskraft dieser Klasse, sodaß es bald Voraussetzung gesellschaftlicher Stellung und fast alleiniges Zeugnis von Bildung und guter Sitte ward, Beamter zu fein oder gewesen zu sein. . . Diese Vorteile lockten viele Nichtadliche in den Dienst, die sich hier flugs in erbliche Edelleute ver¬ wandelten und so die Masse des eidlichen Pöbels verstärkten. . . Der Adel als Stand war damit in seiner Wurzel zerstört, die Möglichkeit seiner Entwicklung vernichtet. Es war nur noch eine Beamtenhordc da, von der viele die Besitzer großer oder kleiner Güter waren, die man in steter Sorge um Beförderung und Orden möglichst wenig und schlecht bewirtschaftete. . . Der Grundbesitz war Gnadenverleihuug für geleistete Dienste und konnte durch Ungnade ver¬ loren gehen. Es fehlte die rechtliche ständische Selbständigkeit und die kor¬ porative Geschlossenheit, welche diesen Dienstadel unabhängig und geachtet machen konnten. . . Auch der Stärkung des Bürgertums geschah hierdurch Abbruch, da jeder Städter erst durch Erwerbung einer Rangklasse Ansehen ge¬ wann und dann alsbald in jenen Adel überging, was ihn und seine Nach¬ kommen dem bürgerlichen Gewerbe entzog und, da ihm die Landwirtschaft fremd war, ihn und seiue Söhne meist gänzlich dem großen Znchtstalle der Beamten- klnsse überantwortete." Die preußische Bureaukratie hat ihre Tüchtigkeit großenteils aus den großen ständischen Erziehungsanstalten, die wir Adel und Bürgertum nennen, und aus freiem Unterricht auf Schulen und Universitäten geschöpft. Peters Beamtenheer erhielt von den Bojaren, Dworünen und Bvjarenkiudern, Volksklassen, in denen nie ständischer und freier, sondern stets nur sklavischer Geist gelebt hatte, keinen Zuwachs an sittlicher Kraft, und durch die vielen Fremden, die seit Peter in den Staatsdienst gezogen wurden und vielfach lockere Charaktere waren, während sie den Russen Sittenlehrer sein sollten, wurde es auch nicht moralisch gestärkt. Die preußische Büreaukratie ist andernteils durch die Zucht vou Königen zu ihrer Trefflichkeit gelangt, welche die besten Lehr¬ meister aller Zeiten waren. Nicht so Peter. Er war ein Fanatiker der Kultur, der aber deren Wesen nicht verstand, und der seine Lehren einem Volke ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/638>, abgerufen am 25.08.2024.