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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Der Rongostaat.

mit England Vorzogen, Portugal und begaben sich nach Brasilien, wo König
Johann der Sechste noch mehrere Jahre nach dem Sturze des französischen
Kaisers, jetzt selbst Kaiser geworden, verweilte. Die Portugiesen hatten jetzt
einem Souverän zu gehorchen, der in der Hauptstadt einer ihrer alten trans¬
atlantischen Kolonien Hof hielt. Nicht die Kolonie wurde vom Mutterlande,
sondern dieses wurde von jener beherrscht, und wenn dieses unnatürliche Ver¬
hältnis den Stolz der Portugiesen schwer verletzen mußte, so wurde es dadurch
nicht erträglicher, daß der Vertreter des Königs und Kaisers durchweg im eng¬
lischen Interesse regierte. Derartiges könnte sich unter Umständen in Belgien
wiederholen. Der König könnte, ohne seine Ansprüche ans den Brüsseler Thron
aufzugeben, auf kürzere oder längere Zeit seine Residenz nach dem Kongo ver¬
legen, und Befehle von da an seine europäischen Unterthanen -- wir sagen
Befehle, den" keine Konstitution ist ja für die Ewigkeit geschaffen -- würden
vielleicht einen äquatoriale!? Beigeschmack haben, der den Liberalen daheim wenig
behagte. Alles das sieht jetzt nicht gerade wahrscheinlich aus, aber mau hat
mit Möglichkeiten zu rechnen, und es ist auf Erden schon Unwahrscheinlicheres
wirklich geworden. Auf alle Fälle wird der König von Belgien durch den
Besitz des Kongvstaates. wenn dessen Hilfsquellen entwickelt sind, mächtiger und
unabhängiger von den belgischen Parteien werden, als es diesen von ihren?
Standpunkte aus wünschenswert sein kann.

Die praktische Schwierigkeit wäre vielleicht auf dem Wege zu überwinden,
den ein zweites Gerücht bezeichnete. Stanley könnte zum Vizckönige des neuen
Staates ernannt werden nud König Leopold nur die gekrönte Spitze des Ge¬
bäudes sein. Der letztere würde herrschen, jener regieren, wie die Minister im
Parlamentarisch beglückten Belgien, aber, wie gesagt, unbeschränkt, oder nur durch
die ihm vom Könige erteilte Vollmacht beschränkt. starkes ist kein Fürst, kein Sprö߬
ling einer vornehmen Familie, sondern bloß ein Entdecker, freilich der erste jetzt le¬
bende, und überdies ein eminent praktischer Geist. Ohne ihn gäbe es keinen Kongv-
staat. Es scheint nur billig, daß er das, wozu er den Grund gelegt hat, auch
auszubauen und zu entwickeln beauftragt werde. Es wäre ein Ehre für ihn und
ein Sporn für die Thatkraft und die Unerschrockenheit ähnlicher Geister, und
da er das Land kennt, wie kaum jemand neben ihm. so würde es sich auch als
eine Wahl erweisen, die sich lohnte. In der Urzeit trug jeder tapfere Kriegs-
mcm" die Möglichkeit in sich, ein Herzog, ein König zu werden, und noch im
Anfange unsers Jahrhunderts wiederholte sich das bei Soldaten Napoleons,
die sich von? Gemeinen zum General und Marschall emporschwangen, und zu¬
letzt aus Generalen Herzöge, ja wie Murat und Bernadotte Könige wurden.
Heutzutage bedarf ein Herrscher mehr als Tapferkeit, Ausdauer und andre krie¬
gerische Tugenden, und zwar auch unter Barbaren und halbwilden Völkerschaften.
Gordon, welcher den gewaltigen Aufstand der Tmpings niederwarf, leistete mit
seinem "siegreichen Zauberstabe," wie die Chinesen das Spazierstöckchen nannten,


Der Rongostaat.

mit England Vorzogen, Portugal und begaben sich nach Brasilien, wo König
Johann der Sechste noch mehrere Jahre nach dem Sturze des französischen
Kaisers, jetzt selbst Kaiser geworden, verweilte. Die Portugiesen hatten jetzt
einem Souverän zu gehorchen, der in der Hauptstadt einer ihrer alten trans¬
atlantischen Kolonien Hof hielt. Nicht die Kolonie wurde vom Mutterlande,
sondern dieses wurde von jener beherrscht, und wenn dieses unnatürliche Ver¬
hältnis den Stolz der Portugiesen schwer verletzen mußte, so wurde es dadurch
nicht erträglicher, daß der Vertreter des Königs und Kaisers durchweg im eng¬
lischen Interesse regierte. Derartiges könnte sich unter Umständen in Belgien
wiederholen. Der König könnte, ohne seine Ansprüche ans den Brüsseler Thron
aufzugeben, auf kürzere oder längere Zeit seine Residenz nach dem Kongo ver¬
legen, und Befehle von da an seine europäischen Unterthanen — wir sagen
Befehle, den» keine Konstitution ist ja für die Ewigkeit geschaffen — würden
vielleicht einen äquatoriale!? Beigeschmack haben, der den Liberalen daheim wenig
behagte. Alles das sieht jetzt nicht gerade wahrscheinlich aus, aber mau hat
mit Möglichkeiten zu rechnen, und es ist auf Erden schon Unwahrscheinlicheres
wirklich geworden. Auf alle Fälle wird der König von Belgien durch den
Besitz des Kongvstaates. wenn dessen Hilfsquellen entwickelt sind, mächtiger und
unabhängiger von den belgischen Parteien werden, als es diesen von ihren?
Standpunkte aus wünschenswert sein kann.

Die praktische Schwierigkeit wäre vielleicht auf dem Wege zu überwinden,
den ein zweites Gerücht bezeichnete. Stanley könnte zum Vizckönige des neuen
Staates ernannt werden nud König Leopold nur die gekrönte Spitze des Ge¬
bäudes sein. Der letztere würde herrschen, jener regieren, wie die Minister im
Parlamentarisch beglückten Belgien, aber, wie gesagt, unbeschränkt, oder nur durch
die ihm vom Könige erteilte Vollmacht beschränkt. starkes ist kein Fürst, kein Sprö߬
ling einer vornehmen Familie, sondern bloß ein Entdecker, freilich der erste jetzt le¬
bende, und überdies ein eminent praktischer Geist. Ohne ihn gäbe es keinen Kongv-
staat. Es scheint nur billig, daß er das, wozu er den Grund gelegt hat, auch
auszubauen und zu entwickeln beauftragt werde. Es wäre ein Ehre für ihn und
ein Sporn für die Thatkraft und die Unerschrockenheit ähnlicher Geister, und
da er das Land kennt, wie kaum jemand neben ihm. so würde es sich auch als
eine Wahl erweisen, die sich lohnte. In der Urzeit trug jeder tapfere Kriegs-
mcm» die Möglichkeit in sich, ein Herzog, ein König zu werden, und noch im
Anfange unsers Jahrhunderts wiederholte sich das bei Soldaten Napoleons,
die sich von? Gemeinen zum General und Marschall emporschwangen, und zu¬
letzt aus Generalen Herzöge, ja wie Murat und Bernadotte Könige wurden.
Heutzutage bedarf ein Herrscher mehr als Tapferkeit, Ausdauer und andre krie¬
gerische Tugenden, und zwar auch unter Barbaren und halbwilden Völkerschaften.
Gordon, welcher den gewaltigen Aufstand der Tmpings niederwarf, leistete mit
seinem „siegreichen Zauberstabe," wie die Chinesen das Spazierstöckchen nannten,


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[0615] Der Rongostaat. mit England Vorzogen, Portugal und begaben sich nach Brasilien, wo König Johann der Sechste noch mehrere Jahre nach dem Sturze des französischen Kaisers, jetzt selbst Kaiser geworden, verweilte. Die Portugiesen hatten jetzt einem Souverän zu gehorchen, der in der Hauptstadt einer ihrer alten trans¬ atlantischen Kolonien Hof hielt. Nicht die Kolonie wurde vom Mutterlande, sondern dieses wurde von jener beherrscht, und wenn dieses unnatürliche Ver¬ hältnis den Stolz der Portugiesen schwer verletzen mußte, so wurde es dadurch nicht erträglicher, daß der Vertreter des Königs und Kaisers durchweg im eng¬ lischen Interesse regierte. Derartiges könnte sich unter Umständen in Belgien wiederholen. Der König könnte, ohne seine Ansprüche ans den Brüsseler Thron aufzugeben, auf kürzere oder längere Zeit seine Residenz nach dem Kongo ver¬ legen, und Befehle von da an seine europäischen Unterthanen — wir sagen Befehle, den» keine Konstitution ist ja für die Ewigkeit geschaffen — würden vielleicht einen äquatoriale!? Beigeschmack haben, der den Liberalen daheim wenig behagte. Alles das sieht jetzt nicht gerade wahrscheinlich aus, aber mau hat mit Möglichkeiten zu rechnen, und es ist auf Erden schon Unwahrscheinlicheres wirklich geworden. Auf alle Fälle wird der König von Belgien durch den Besitz des Kongvstaates. wenn dessen Hilfsquellen entwickelt sind, mächtiger und unabhängiger von den belgischen Parteien werden, als es diesen von ihren? Standpunkte aus wünschenswert sein kann. Die praktische Schwierigkeit wäre vielleicht auf dem Wege zu überwinden, den ein zweites Gerücht bezeichnete. Stanley könnte zum Vizckönige des neuen Staates ernannt werden nud König Leopold nur die gekrönte Spitze des Ge¬ bäudes sein. Der letztere würde herrschen, jener regieren, wie die Minister im Parlamentarisch beglückten Belgien, aber, wie gesagt, unbeschränkt, oder nur durch die ihm vom Könige erteilte Vollmacht beschränkt. starkes ist kein Fürst, kein Sprö߬ ling einer vornehmen Familie, sondern bloß ein Entdecker, freilich der erste jetzt le¬ bende, und überdies ein eminent praktischer Geist. Ohne ihn gäbe es keinen Kongv- staat. Es scheint nur billig, daß er das, wozu er den Grund gelegt hat, auch auszubauen und zu entwickeln beauftragt werde. Es wäre ein Ehre für ihn und ein Sporn für die Thatkraft und die Unerschrockenheit ähnlicher Geister, und da er das Land kennt, wie kaum jemand neben ihm. so würde es sich auch als eine Wahl erweisen, die sich lohnte. In der Urzeit trug jeder tapfere Kriegs- mcm» die Möglichkeit in sich, ein Herzog, ein König zu werden, und noch im Anfange unsers Jahrhunderts wiederholte sich das bei Soldaten Napoleons, die sich von? Gemeinen zum General und Marschall emporschwangen, und zu¬ letzt aus Generalen Herzöge, ja wie Murat und Bernadotte Könige wurden. Heutzutage bedarf ein Herrscher mehr als Tapferkeit, Ausdauer und andre krie¬ gerische Tugenden, und zwar auch unter Barbaren und halbwilden Völkerschaften. Gordon, welcher den gewaltigen Aufstand der Tmpings niederwarf, leistete mit seinem „siegreichen Zauberstabe," wie die Chinesen das Spazierstöckchen nannten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/615>, abgerufen am 23.07.2024.