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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Der Rongostaät,

keit ihres Souveräns vcfreundcll und emvcrstaiideil erklären wird, muß sich erst
noch zeigen; bis jetzt scheint sie vielen nicht erwünscht zu sein und namentlich
die ultramontane Partei zur Gegnerin zu haben. König Leopold hat die sehr
beträchtlichen Kosten, welche die Erforschung und vorbereitende Ansiedelung des
Landes beanspruchte, aus seinem Privatvermögen bestritten. Er hat die Ent¬
sagung und Unthätigkeit, die ihm als dem Monarchen eines neutralen Staates
in Europa auferlegt war, unter dem Beistande des Entdeckers Stanley dadurch
ausgeglichen, daß er eiuen der besten Striche Afrikas dem Handel, der Gesit¬
tung und dem Kulturleben überhaupt aufschloß. Immerhin aber kann der letzte
Erfolg dieser Wirksamkeit in Brüssel Unbehagen und Bedenken mich bei andern
belgischen Politikern als denen der genannten Partei hervorrufen. Im Jahre 1848
drohte in Belgien eine republikanische Umwälzung, und die Urheber derselben
gingen so weit, daß sie eine Deputation nach dem Schlosse abordneten, welche
dein Könige den Rücktritt von der Regierung nahelegte. Leopold der Erste
fühlte sich sicher und erwiederte den Herren, daß er bereit sei, die Krone nieder¬
zulegen, und daß er sich dazu eher entschließen werde, als zur Annahme einer
""ehrenvollen Stellung; der Wille des Volkes möge über diese Alternative
entscheiden. Seine Kaltblütigkeit imponirte und brachte die Gegner zum Nach¬
denken. Die Mehrheit des Volkes begriff, daß Belgien nichts gewinnen, wohl
aber einen verhängnisvollen Verlust erleiden würde, wenn seine in der That
sehr weitreichenden, eher zu reichlich als zu kärglich bemessenen Freiheiten nicht
mehr unter dem Schutze eines Herrschers stünden, der mit der königlichen Fa¬
milie in England nahe verwandt und an allen Höfen Europas geachtet war,
und der sich immer verfassungstreu gezeigt hatte. Die Krisis in Brüssel ging
vorüber, der König blieb, und als dann ein Haufe französischer Nevolutions-
hclden in Belgien eindrang und die Republik ausrufen wollte, wurden diese
Fremden, denen sich nur wenige Einheimische anschlössen, von den belgischen
Truppen ohne Mühe zersprengt und über die Grenze zurückgeworfen. Leopold
der Zweite könnte jetzt als Herrscher über viele Tausende von Quadratmeilen
und dreißig oder vierzig Millionen von Einwohnern im Innern Afrikas eines
Tages, wenn ein ähnlicher Fall einträte, "och leichter als sein Vater sich zur
Throueutsngung in Belgien entschließen. Er könnte auch einmal der Ein¬
förmigkeit seiner dortigen Rolle, bei der er nicht viel mehr als Ornament,
höchstens Zünglein an der Wage der Parteien ist, müde werden und, angefeuert
von hochsinnigen Unternehmungsgeiste, zu dem Entschlüsse kommen, am Kongo
ein dankbareres Feld der Wirksamkeit aufzusuchen und die wackeren Belgier sich
selber zu überlassen. Und wenn er dies nicht könnte, so würde es einer seiner
Nachfolger können, der in Afrika ein entwickelteres Staatswesen zu seiner Auf¬
nahme vorfinden würde. Beispiele eines derartigen Verfahrens finden sich bereits
in der Geschichte, auch in der neuesten. Die Fürsten vom Hause Brnganza
verließen im November 1807, weil sie dem Bunde mit Napoleon den Blind


Der Rongostaät,

keit ihres Souveräns vcfreundcll und emvcrstaiideil erklären wird, muß sich erst
noch zeigen; bis jetzt scheint sie vielen nicht erwünscht zu sein und namentlich
die ultramontane Partei zur Gegnerin zu haben. König Leopold hat die sehr
beträchtlichen Kosten, welche die Erforschung und vorbereitende Ansiedelung des
Landes beanspruchte, aus seinem Privatvermögen bestritten. Er hat die Ent¬
sagung und Unthätigkeit, die ihm als dem Monarchen eines neutralen Staates
in Europa auferlegt war, unter dem Beistande des Entdeckers Stanley dadurch
ausgeglichen, daß er eiuen der besten Striche Afrikas dem Handel, der Gesit¬
tung und dem Kulturleben überhaupt aufschloß. Immerhin aber kann der letzte
Erfolg dieser Wirksamkeit in Brüssel Unbehagen und Bedenken mich bei andern
belgischen Politikern als denen der genannten Partei hervorrufen. Im Jahre 1848
drohte in Belgien eine republikanische Umwälzung, und die Urheber derselben
gingen so weit, daß sie eine Deputation nach dem Schlosse abordneten, welche
dein Könige den Rücktritt von der Regierung nahelegte. Leopold der Erste
fühlte sich sicher und erwiederte den Herren, daß er bereit sei, die Krone nieder¬
zulegen, und daß er sich dazu eher entschließen werde, als zur Annahme einer
«»ehrenvollen Stellung; der Wille des Volkes möge über diese Alternative
entscheiden. Seine Kaltblütigkeit imponirte und brachte die Gegner zum Nach¬
denken. Die Mehrheit des Volkes begriff, daß Belgien nichts gewinnen, wohl
aber einen verhängnisvollen Verlust erleiden würde, wenn seine in der That
sehr weitreichenden, eher zu reichlich als zu kärglich bemessenen Freiheiten nicht
mehr unter dem Schutze eines Herrschers stünden, der mit der königlichen Fa¬
milie in England nahe verwandt und an allen Höfen Europas geachtet war,
und der sich immer verfassungstreu gezeigt hatte. Die Krisis in Brüssel ging
vorüber, der König blieb, und als dann ein Haufe französischer Nevolutions-
hclden in Belgien eindrang und die Republik ausrufen wollte, wurden diese
Fremden, denen sich nur wenige Einheimische anschlössen, von den belgischen
Truppen ohne Mühe zersprengt und über die Grenze zurückgeworfen. Leopold
der Zweite könnte jetzt als Herrscher über viele Tausende von Quadratmeilen
und dreißig oder vierzig Millionen von Einwohnern im Innern Afrikas eines
Tages, wenn ein ähnlicher Fall einträte, »och leichter als sein Vater sich zur
Throueutsngung in Belgien entschließen. Er könnte auch einmal der Ein¬
förmigkeit seiner dortigen Rolle, bei der er nicht viel mehr als Ornament,
höchstens Zünglein an der Wage der Parteien ist, müde werden und, angefeuert
von hochsinnigen Unternehmungsgeiste, zu dem Entschlüsse kommen, am Kongo
ein dankbareres Feld der Wirksamkeit aufzusuchen und die wackeren Belgier sich
selber zu überlassen. Und wenn er dies nicht könnte, so würde es einer seiner
Nachfolger können, der in Afrika ein entwickelteres Staatswesen zu seiner Auf¬
nahme vorfinden würde. Beispiele eines derartigen Verfahrens finden sich bereits
in der Geschichte, auch in der neuesten. Die Fürsten vom Hause Brnganza
verließen im November 1807, weil sie dem Bunde mit Napoleon den Blind


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[0614] Der Rongostaät, keit ihres Souveräns vcfreundcll und emvcrstaiideil erklären wird, muß sich erst noch zeigen; bis jetzt scheint sie vielen nicht erwünscht zu sein und namentlich die ultramontane Partei zur Gegnerin zu haben. König Leopold hat die sehr beträchtlichen Kosten, welche die Erforschung und vorbereitende Ansiedelung des Landes beanspruchte, aus seinem Privatvermögen bestritten. Er hat die Ent¬ sagung und Unthätigkeit, die ihm als dem Monarchen eines neutralen Staates in Europa auferlegt war, unter dem Beistande des Entdeckers Stanley dadurch ausgeglichen, daß er eiuen der besten Striche Afrikas dem Handel, der Gesit¬ tung und dem Kulturleben überhaupt aufschloß. Immerhin aber kann der letzte Erfolg dieser Wirksamkeit in Brüssel Unbehagen und Bedenken mich bei andern belgischen Politikern als denen der genannten Partei hervorrufen. Im Jahre 1848 drohte in Belgien eine republikanische Umwälzung, und die Urheber derselben gingen so weit, daß sie eine Deputation nach dem Schlosse abordneten, welche dein Könige den Rücktritt von der Regierung nahelegte. Leopold der Erste fühlte sich sicher und erwiederte den Herren, daß er bereit sei, die Krone nieder¬ zulegen, und daß er sich dazu eher entschließen werde, als zur Annahme einer «»ehrenvollen Stellung; der Wille des Volkes möge über diese Alternative entscheiden. Seine Kaltblütigkeit imponirte und brachte die Gegner zum Nach¬ denken. Die Mehrheit des Volkes begriff, daß Belgien nichts gewinnen, wohl aber einen verhängnisvollen Verlust erleiden würde, wenn seine in der That sehr weitreichenden, eher zu reichlich als zu kärglich bemessenen Freiheiten nicht mehr unter dem Schutze eines Herrschers stünden, der mit der königlichen Fa¬ milie in England nahe verwandt und an allen Höfen Europas geachtet war, und der sich immer verfassungstreu gezeigt hatte. Die Krisis in Brüssel ging vorüber, der König blieb, und als dann ein Haufe französischer Nevolutions- hclden in Belgien eindrang und die Republik ausrufen wollte, wurden diese Fremden, denen sich nur wenige Einheimische anschlössen, von den belgischen Truppen ohne Mühe zersprengt und über die Grenze zurückgeworfen. Leopold der Zweite könnte jetzt als Herrscher über viele Tausende von Quadratmeilen und dreißig oder vierzig Millionen von Einwohnern im Innern Afrikas eines Tages, wenn ein ähnlicher Fall einträte, »och leichter als sein Vater sich zur Throueutsngung in Belgien entschließen. Er könnte auch einmal der Ein¬ förmigkeit seiner dortigen Rolle, bei der er nicht viel mehr als Ornament, höchstens Zünglein an der Wage der Parteien ist, müde werden und, angefeuert von hochsinnigen Unternehmungsgeiste, zu dem Entschlüsse kommen, am Kongo ein dankbareres Feld der Wirksamkeit aufzusuchen und die wackeren Belgier sich selber zu überlassen. Und wenn er dies nicht könnte, so würde es einer seiner Nachfolger können, der in Afrika ein entwickelteres Staatswesen zu seiner Auf¬ nahme vorfinden würde. Beispiele eines derartigen Verfahrens finden sich bereits in der Geschichte, auch in der neuesten. Die Fürsten vom Hause Brnganza verließen im November 1807, weil sie dem Bunde mit Napoleon den Blind

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/614>, abgerufen am 22.07.2024.