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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Der Kongostacit.

Welt fortan von Jahrzehnt zu Jahrzehnt eine wichtigere Rolle spielen wird.
Der neue Staat im Becken des Kongo umschließt nach allem, was wir wissen,
Naturschätze in Fülle, die sich mit deu Hilfsmitteln der Gegenwart in ver¬
hältnismäßig kurzer Zeit werden zugänglich machen, erschließen und ausbeuten
lassen, und er ist ziemlich dicht bevölkert, wenn auch in diesem Augenblicke fast
nur von wilden Stämmen. Seine Grenzen sind von der Konferenz bestimmt
worden, desgleichen seine Stellung zum Welthandel, und als wertvolles An¬
gebinde haben ihm seine Paten in Berlin die Neutralität in die Wiege gelegt.

Seine weitere Ausstattung und Einrichtung ist noch zu beschaffen, und
vorläufig gehen über einen Hauptpunkt derselben mir Gerüchte durch die Welt.
Es heißt, Leopold der Zweite von Belgien, dem der neue Staat, so lange er
noch im Entstehen war, sehr erhebliche Förderung zu verdanken hatte, sei
bestimmt, der erste König von Kongolaud zu werden. Das wäre dann wohl
ein Seitenstück zu dem Doppcltitcl "Königin von England und Kaiserin von
Hind," deu die Königin Viktoria unter Lord Beaeonsficlds Regime annahm,
und dessen zweite Hälfte, wie damals Lord Rosebcrh bemerkte, ont/ lor extsrnül
-rpxlicüMon hinzugefügt wurde. "König der Belgier und des Kongo" würde
kaum so gut klingen als "König von Spanien und beiden Indien." Hier nämlich
besaß der betreffende Souverän beide Gebiete, das heimische und das überseeische,
kraft Desselben Rechtes und mit der gleichen Befugnis und Machtvollkommenheit.
König Leopold dagegen würde der verfassungsmäßig beschränkte Beherrscher von
Belgien sein, während er um Kongo notwendig unumschränkt, antokrntisch,
despotisch oder überhaupt nicht zu regieren hätte. Das werden selbst die
Politiker einräumen, welche ihre pedantische Borliebe für liberale Verfassungen
soweit treiben, daß sie dieselben in ganz Europa, auch ans Halbbarbaren, als
Heil- und Beglückungsmittel angewendet zu sehen wünschen. Der eifrigste und
bornirteste Fortschrittler wird sich, obwohl einem solchen ungemein viel möglich
ist, doch wohl besinnen, wenn es gilt, einen Land- oder Reichstag halb oder
ganz nackter Neger zusammentreten und Gesetze anfertigen zu lassen, Legislatoren,
die, statt wie er und Genossen im heimischen Palaver Gesetzentwürfe der Re¬
gierung mit mehr oder minder verständigen Klauseln zu spicken, einander gegen¬
seitig Spieße oder Schwerter in den Leib zu jagen vorziehen würden. Der
Kongostaat würde auch in keiner Weise von den belgischen Kammern abhängen,
und diese würden mit keinem Worte in seine Angelegenheiten hineinzureden
haben. Er würde den Belgiern nichts kosten und ihnen direkt nichts leisten,
nichts einbringen und nichts helfen. Er würde ein persönliches Besitztum des
Königs Leopold und seiner Dynastie sein, etwa wie die Normandie dem Hanse
Plcmtagenet, Hannover den Welsen auf dem englischen Throne, Neuenburg den
Hohenzollern gehörte.

Ob die öffentliche Meinung in Belgien und die verfassungsmäßige Ver¬
tretung des Volkes sich mit dieser Ausdehnung der Macht und Verantwvrtlich-


Grenzboteii I. 1885. 7ö
Der Kongostacit.

Welt fortan von Jahrzehnt zu Jahrzehnt eine wichtigere Rolle spielen wird.
Der neue Staat im Becken des Kongo umschließt nach allem, was wir wissen,
Naturschätze in Fülle, die sich mit deu Hilfsmitteln der Gegenwart in ver¬
hältnismäßig kurzer Zeit werden zugänglich machen, erschließen und ausbeuten
lassen, und er ist ziemlich dicht bevölkert, wenn auch in diesem Augenblicke fast
nur von wilden Stämmen. Seine Grenzen sind von der Konferenz bestimmt
worden, desgleichen seine Stellung zum Welthandel, und als wertvolles An¬
gebinde haben ihm seine Paten in Berlin die Neutralität in die Wiege gelegt.

Seine weitere Ausstattung und Einrichtung ist noch zu beschaffen, und
vorläufig gehen über einen Hauptpunkt derselben mir Gerüchte durch die Welt.
Es heißt, Leopold der Zweite von Belgien, dem der neue Staat, so lange er
noch im Entstehen war, sehr erhebliche Förderung zu verdanken hatte, sei
bestimmt, der erste König von Kongolaud zu werden. Das wäre dann wohl
ein Seitenstück zu dem Doppcltitcl „Königin von England und Kaiserin von
Hind," deu die Königin Viktoria unter Lord Beaeonsficlds Regime annahm,
und dessen zweite Hälfte, wie damals Lord Rosebcrh bemerkte, ont/ lor extsrnül
-rpxlicüMon hinzugefügt wurde. „König der Belgier und des Kongo" würde
kaum so gut klingen als „König von Spanien und beiden Indien." Hier nämlich
besaß der betreffende Souverän beide Gebiete, das heimische und das überseeische,
kraft Desselben Rechtes und mit der gleichen Befugnis und Machtvollkommenheit.
König Leopold dagegen würde der verfassungsmäßig beschränkte Beherrscher von
Belgien sein, während er um Kongo notwendig unumschränkt, antokrntisch,
despotisch oder überhaupt nicht zu regieren hätte. Das werden selbst die
Politiker einräumen, welche ihre pedantische Borliebe für liberale Verfassungen
soweit treiben, daß sie dieselben in ganz Europa, auch ans Halbbarbaren, als
Heil- und Beglückungsmittel angewendet zu sehen wünschen. Der eifrigste und
bornirteste Fortschrittler wird sich, obwohl einem solchen ungemein viel möglich
ist, doch wohl besinnen, wenn es gilt, einen Land- oder Reichstag halb oder
ganz nackter Neger zusammentreten und Gesetze anfertigen zu lassen, Legislatoren,
die, statt wie er und Genossen im heimischen Palaver Gesetzentwürfe der Re¬
gierung mit mehr oder minder verständigen Klauseln zu spicken, einander gegen¬
seitig Spieße oder Schwerter in den Leib zu jagen vorziehen würden. Der
Kongostaat würde auch in keiner Weise von den belgischen Kammern abhängen,
und diese würden mit keinem Worte in seine Angelegenheiten hineinzureden
haben. Er würde den Belgiern nichts kosten und ihnen direkt nichts leisten,
nichts einbringen und nichts helfen. Er würde ein persönliches Besitztum des
Königs Leopold und seiner Dynastie sein, etwa wie die Normandie dem Hanse
Plcmtagenet, Hannover den Welsen auf dem englischen Throne, Neuenburg den
Hohenzollern gehörte.

Ob die öffentliche Meinung in Belgien und die verfassungsmäßige Ver¬
tretung des Volkes sich mit dieser Ausdehnung der Macht und Verantwvrtlich-


Grenzboteii I. 1885. 7ö
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[0613] Der Kongostacit. Welt fortan von Jahrzehnt zu Jahrzehnt eine wichtigere Rolle spielen wird. Der neue Staat im Becken des Kongo umschließt nach allem, was wir wissen, Naturschätze in Fülle, die sich mit deu Hilfsmitteln der Gegenwart in ver¬ hältnismäßig kurzer Zeit werden zugänglich machen, erschließen und ausbeuten lassen, und er ist ziemlich dicht bevölkert, wenn auch in diesem Augenblicke fast nur von wilden Stämmen. Seine Grenzen sind von der Konferenz bestimmt worden, desgleichen seine Stellung zum Welthandel, und als wertvolles An¬ gebinde haben ihm seine Paten in Berlin die Neutralität in die Wiege gelegt. Seine weitere Ausstattung und Einrichtung ist noch zu beschaffen, und vorläufig gehen über einen Hauptpunkt derselben mir Gerüchte durch die Welt. Es heißt, Leopold der Zweite von Belgien, dem der neue Staat, so lange er noch im Entstehen war, sehr erhebliche Förderung zu verdanken hatte, sei bestimmt, der erste König von Kongolaud zu werden. Das wäre dann wohl ein Seitenstück zu dem Doppcltitcl „Königin von England und Kaiserin von Hind," deu die Königin Viktoria unter Lord Beaeonsficlds Regime annahm, und dessen zweite Hälfte, wie damals Lord Rosebcrh bemerkte, ont/ lor extsrnül -rpxlicüMon hinzugefügt wurde. „König der Belgier und des Kongo" würde kaum so gut klingen als „König von Spanien und beiden Indien." Hier nämlich besaß der betreffende Souverän beide Gebiete, das heimische und das überseeische, kraft Desselben Rechtes und mit der gleichen Befugnis und Machtvollkommenheit. König Leopold dagegen würde der verfassungsmäßig beschränkte Beherrscher von Belgien sein, während er um Kongo notwendig unumschränkt, antokrntisch, despotisch oder überhaupt nicht zu regieren hätte. Das werden selbst die Politiker einräumen, welche ihre pedantische Borliebe für liberale Verfassungen soweit treiben, daß sie dieselben in ganz Europa, auch ans Halbbarbaren, als Heil- und Beglückungsmittel angewendet zu sehen wünschen. Der eifrigste und bornirteste Fortschrittler wird sich, obwohl einem solchen ungemein viel möglich ist, doch wohl besinnen, wenn es gilt, einen Land- oder Reichstag halb oder ganz nackter Neger zusammentreten und Gesetze anfertigen zu lassen, Legislatoren, die, statt wie er und Genossen im heimischen Palaver Gesetzentwürfe der Re¬ gierung mit mehr oder minder verständigen Klauseln zu spicken, einander gegen¬ seitig Spieße oder Schwerter in den Leib zu jagen vorziehen würden. Der Kongostaat würde auch in keiner Weise von den belgischen Kammern abhängen, und diese würden mit keinem Worte in seine Angelegenheiten hineinzureden haben. Er würde den Belgiern nichts kosten und ihnen direkt nichts leisten, nichts einbringen und nichts helfen. Er würde ein persönliches Besitztum des Königs Leopold und seiner Dynastie sein, etwa wie die Normandie dem Hanse Plcmtagenet, Hannover den Welsen auf dem englischen Throne, Neuenburg den Hohenzollern gehörte. Ob die öffentliche Meinung in Belgien und die verfassungsmäßige Ver¬ tretung des Volkes sich mit dieser Ausdehnung der Macht und Verantwvrtlich- Grenzboteii I. 1885. 7ö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/613>, abgerufen am 22.07.2024.