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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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einen Mann aufmerksam, der einen Volkshaufen um sich sammelte und anredete.
Er sprach anfangs mit gemäßigter Stimme und ruhiger Haltung; aber all¬
mählich steigerte er die Leidenschaft, er sprach von der Tyrannei, welche noch
geübt werde, von der Gefahr, die von Potsdam her drohe, wo die Soldateska
konzentrirt sei, um jeden Augenblick das friedliche Berlin zu überfallen, von
einem Aufstande, den ein Teil der Garden zu unternehmen bereit sei, und den
er unternehmen werde, wenn er sehe, daß das wirkliche Volk Berlins, die Ar¬
beiter, Waffen hätten und zur Hilfe bereit seien, daß es deshalb nötig sei, ge¬
meinsame Schritte zu beraten, und daß sich alle die, welche Mut hätten, vor
dem Zeughause versammeln wollten. Wenn er soweit gekommen war und die
Parole "Versammlung vor dem Zeughause" ausgegeben hatte, dann wußte er
geschickt unterzutauchen und 'in der Menge zu verschwinden. Es gelang mir
aber, mich an seine Fersen zu heften, und so noch mehrmals Zeuge zu sein,
wie er dieselbe Rede in verschiedenen Haufen wiederholte und sich immer wieder
von einem gemäßigten Anfange zur höchste" Leidenschaft hinaufschraubte.

Dies Manöver gelang, und nach wenigen Stunden, nachdem die im Zeug¬
hause aufgestellte Linienkvmpagnie durch schändlichen Lug und Trug, der von
einem früheren Offizier ausging, und durch die Kleinmütigkeit ihres Kom¬
mandeurs zum Abzug bewogen war, und nachdem auch noch die üblichen
Zwischenfälle von rechtzeitig gefallenen Schüssen, die nachher niemand abge¬
schossen haben wollte, vorgefallen waren, folgte jene wüste Plünderung des Zeug¬
hauses, die ich im einzelnen nicht schildern mag.

An diesem Abende erwies sich auch, daß die Bürgerwehr kein Schutz mehr
sei; ihre 26 000 Mann waren durch Generalmarsch zu den Waffen gerufen
worden, sie waren mich zum großen Teil gekommen, aber als man nach den
Schüssen, die am Zeughause fielen, durch die Stadt schrie, die Bürgerwehr schieße
auf das Volk, und gar einem Kaufmann, der angeblich als Bürgerwehrhaupt¬
mann den Befehl zum Feuern gegeben haben sollte, in aller Eile den Laden
ausgeplündert und demvlirt hatte, da fanden viele Bürgerwehrleute es geraten,
ihren Abscheu vor solchem Blutdurst Ausdruck zu geben und ihre Gewehre
umzukehren. Die Bürgerwehr löste allerdings an diesem Abend die strategisch
nicht leichte Aufgabe, eine Armee von 26 000 Mann einem siegreichen Feinde
gegenüber ohne Verlust aus dem Gefecht zu ziehen, sie that es, indem sie in
alle Straßen Patrouillen sandte, die alle nicht wieder kamen, sondern sich zum
häuslichen Herde rückwärts konzentrirten. Aber ihr Prestige war nun auch
dahin.

Dieser Zeughnussturm machte in ganz Berlin und weit hinaus durch alle
preußischen Laude einen furchtbar niederschlagenden Eindruck, man schämte sich,
daß so etwas in Preußen möglich sei, und jeder fragte entsetzt: Soll es so
weitergehen? Aber auch diese Stimmung verflog wieder unter dem fortwährenden
Wühlen und Hetzen, da niemand sie auszunutzen und zu einem bewußten und


einen Mann aufmerksam, der einen Volkshaufen um sich sammelte und anredete.
Er sprach anfangs mit gemäßigter Stimme und ruhiger Haltung; aber all¬
mählich steigerte er die Leidenschaft, er sprach von der Tyrannei, welche noch
geübt werde, von der Gefahr, die von Potsdam her drohe, wo die Soldateska
konzentrirt sei, um jeden Augenblick das friedliche Berlin zu überfallen, von
einem Aufstande, den ein Teil der Garden zu unternehmen bereit sei, und den
er unternehmen werde, wenn er sehe, daß das wirkliche Volk Berlins, die Ar¬
beiter, Waffen hätten und zur Hilfe bereit seien, daß es deshalb nötig sei, ge¬
meinsame Schritte zu beraten, und daß sich alle die, welche Mut hätten, vor
dem Zeughause versammeln wollten. Wenn er soweit gekommen war und die
Parole „Versammlung vor dem Zeughause" ausgegeben hatte, dann wußte er
geschickt unterzutauchen und 'in der Menge zu verschwinden. Es gelang mir
aber, mich an seine Fersen zu heften, und so noch mehrmals Zeuge zu sein,
wie er dieselbe Rede in verschiedenen Haufen wiederholte und sich immer wieder
von einem gemäßigten Anfange zur höchste» Leidenschaft hinaufschraubte.

Dies Manöver gelang, und nach wenigen Stunden, nachdem die im Zeug¬
hause aufgestellte Linienkvmpagnie durch schändlichen Lug und Trug, der von
einem früheren Offizier ausging, und durch die Kleinmütigkeit ihres Kom¬
mandeurs zum Abzug bewogen war, und nachdem auch noch die üblichen
Zwischenfälle von rechtzeitig gefallenen Schüssen, die nachher niemand abge¬
schossen haben wollte, vorgefallen waren, folgte jene wüste Plünderung des Zeug¬
hauses, die ich im einzelnen nicht schildern mag.

An diesem Abende erwies sich auch, daß die Bürgerwehr kein Schutz mehr
sei; ihre 26 000 Mann waren durch Generalmarsch zu den Waffen gerufen
worden, sie waren mich zum großen Teil gekommen, aber als man nach den
Schüssen, die am Zeughause fielen, durch die Stadt schrie, die Bürgerwehr schieße
auf das Volk, und gar einem Kaufmann, der angeblich als Bürgerwehrhaupt¬
mann den Befehl zum Feuern gegeben haben sollte, in aller Eile den Laden
ausgeplündert und demvlirt hatte, da fanden viele Bürgerwehrleute es geraten,
ihren Abscheu vor solchem Blutdurst Ausdruck zu geben und ihre Gewehre
umzukehren. Die Bürgerwehr löste allerdings an diesem Abend die strategisch
nicht leichte Aufgabe, eine Armee von 26 000 Mann einem siegreichen Feinde
gegenüber ohne Verlust aus dem Gefecht zu ziehen, sie that es, indem sie in
alle Straßen Patrouillen sandte, die alle nicht wieder kamen, sondern sich zum
häuslichen Herde rückwärts konzentrirten. Aber ihr Prestige war nun auch
dahin.

Dieser Zeughnussturm machte in ganz Berlin und weit hinaus durch alle
preußischen Laude einen furchtbar niederschlagenden Eindruck, man schämte sich,
daß so etwas in Preußen möglich sei, und jeder fragte entsetzt: Soll es so
weitergehen? Aber auch diese Stimmung verflog wieder unter dem fortwährenden
Wühlen und Hetzen, da niemand sie auszunutzen und zu einem bewußten und


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[0576] einen Mann aufmerksam, der einen Volkshaufen um sich sammelte und anredete. Er sprach anfangs mit gemäßigter Stimme und ruhiger Haltung; aber all¬ mählich steigerte er die Leidenschaft, er sprach von der Tyrannei, welche noch geübt werde, von der Gefahr, die von Potsdam her drohe, wo die Soldateska konzentrirt sei, um jeden Augenblick das friedliche Berlin zu überfallen, von einem Aufstande, den ein Teil der Garden zu unternehmen bereit sei, und den er unternehmen werde, wenn er sehe, daß das wirkliche Volk Berlins, die Ar¬ beiter, Waffen hätten und zur Hilfe bereit seien, daß es deshalb nötig sei, ge¬ meinsame Schritte zu beraten, und daß sich alle die, welche Mut hätten, vor dem Zeughause versammeln wollten. Wenn er soweit gekommen war und die Parole „Versammlung vor dem Zeughause" ausgegeben hatte, dann wußte er geschickt unterzutauchen und 'in der Menge zu verschwinden. Es gelang mir aber, mich an seine Fersen zu heften, und so noch mehrmals Zeuge zu sein, wie er dieselbe Rede in verschiedenen Haufen wiederholte und sich immer wieder von einem gemäßigten Anfange zur höchste» Leidenschaft hinaufschraubte. Dies Manöver gelang, und nach wenigen Stunden, nachdem die im Zeug¬ hause aufgestellte Linienkvmpagnie durch schändlichen Lug und Trug, der von einem früheren Offizier ausging, und durch die Kleinmütigkeit ihres Kom¬ mandeurs zum Abzug bewogen war, und nachdem auch noch die üblichen Zwischenfälle von rechtzeitig gefallenen Schüssen, die nachher niemand abge¬ schossen haben wollte, vorgefallen waren, folgte jene wüste Plünderung des Zeug¬ hauses, die ich im einzelnen nicht schildern mag. An diesem Abende erwies sich auch, daß die Bürgerwehr kein Schutz mehr sei; ihre 26 000 Mann waren durch Generalmarsch zu den Waffen gerufen worden, sie waren mich zum großen Teil gekommen, aber als man nach den Schüssen, die am Zeughause fielen, durch die Stadt schrie, die Bürgerwehr schieße auf das Volk, und gar einem Kaufmann, der angeblich als Bürgerwehrhaupt¬ mann den Befehl zum Feuern gegeben haben sollte, in aller Eile den Laden ausgeplündert und demvlirt hatte, da fanden viele Bürgerwehrleute es geraten, ihren Abscheu vor solchem Blutdurst Ausdruck zu geben und ihre Gewehre umzukehren. Die Bürgerwehr löste allerdings an diesem Abend die strategisch nicht leichte Aufgabe, eine Armee von 26 000 Mann einem siegreichen Feinde gegenüber ohne Verlust aus dem Gefecht zu ziehen, sie that es, indem sie in alle Straßen Patrouillen sandte, die alle nicht wieder kamen, sondern sich zum häuslichen Herde rückwärts konzentrirten. Aber ihr Prestige war nun auch dahin. Dieser Zeughnussturm machte in ganz Berlin und weit hinaus durch alle preußischen Laude einen furchtbar niederschlagenden Eindruck, man schämte sich, daß so etwas in Preußen möglich sei, und jeder fragte entsetzt: Soll es so weitergehen? Aber auch diese Stimmung verflog wieder unter dem fortwährenden Wühlen und Hetzen, da niemand sie auszunutzen und zu einem bewußten und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/576>, abgerufen am 23.07.2024.