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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Mittel, durch welche sie die Herrschaft führten, waren die Straßen-
cmente, die Presse und die Klub- oder Volksversammlungen, also dieselben Mittel,
mit denen die Umsturzparteien auch in der großen französischen Revolution ihr
Regiment geführt hatten.

Die Straßenemcnte war namentlich in Berlin fast zu einer ständigen In¬
stitution geworden. Zwar zuerst uach den Kämpfen vom 18. Mürz hatte die
große Mehrheit der Berliner einen tiefen Schauder davor bekommen, und die
schnell geschaffene Bürgerwchr bemühte sich wirklich mit allem Ernste und nicht
ohne persönliche Aufopferung dafür, daß fortan die Ordnung auf den Straßen
aufrecht erhalten und ein friedlicher Gang der Dinge möglich werde. Als die
"Zeitungshalle," ein damals vielverbreitetes Blatt, gegen Ende März daran
erinnerte, daß die Arbeiter, die am 18. März für Berlins Freiheit gefochten
hatten, nun auch ihren Lohn erhalten oder sich solchen mit den Waffen erkämpfen
müßten, erhob sich ein einmütiger Entrüstungsschrei über diese Aufhetzung, und
der Redakteur der "Zeitungshalle" soll unangenehme Eindrücke von der Kraft
der Bürgerwehrfäuste erhalten haben.

Aber es war niemand da, der diese Stimmung auszunutzen, zu leiten und
zu organisiren vermocht hätte, und so hielt sie den fortgesetzten Wühlereien
nicht stand. Als im Mai mißliebig gewordene Minister auf offener Straße
mißhandelt wurden, da wurden sie zwar von den bewaffneten Studenten befreit
und in das Universitätsgebäude gerettet; aber diese hielten es doch schon für
angemessen, die Gelegenheit zu benutzen, um den Ministern in der Aula eine
Vorlesung über ihre Schlechtigkeit und ihre Pflichten als Staatsminister zu
halten. Es soll namentlich einen drastischen Eindruck gemacht haben, als ein
kleiner jüdischer Student, der an einen großen Kavalleriesäbel angeschnallt war,
vor Heinrich von Arnim, einen bereits ergrauenden Kämpfer aus den Freiheits¬
kriegen und gewiegten Diplomaten, hingetreten ist und ihm zugerufen hat: "Ich
verachte Sie, aber ich schütze Sie."

Im Juni konnte schon der traurige Zeughaussturm geschehen, der umso
trauriger war, als dabei auch der sonst so blank erhaltene Schild der Preußischen
Armee mit einem schwarzen Fleck besudelt wurde. Wie die Erneute zu einer
mit voller Überlegung und mit Raffinement von den Umsturzleulen benutzten
Waffe geworden war, davon habe ich mich am Tage des Zeughaussturmcs, an
dem ich nach dreimonatlicher Abwesenheit nach Berlin zurückgekehrt war, per¬
sönlich überzeugen können. Die Parole, daß dem Arbeiter Waffen verschafft
werden müßte", war schon seit einigen Tagen ausgegeben, Maueranschläge ver¬
handelten das Thema in allen Variationen, radikale Klubs zogen in geschlossenen
Trupps vor das Kriegsministerium, um ihre Forderungen zu übergeben, die
"och von den Pfingsttageu her feiernden Arbeiter wogten in den Straßen un¬
ruhig auf und ub, vor allem unter den Linden und in der Leipziger Straße.
Aber noch fehlte das Losungswort und das Angriffssignal. Da wurde ich auf


Die Mittel, durch welche sie die Herrschaft führten, waren die Straßen-
cmente, die Presse und die Klub- oder Volksversammlungen, also dieselben Mittel,
mit denen die Umsturzparteien auch in der großen französischen Revolution ihr
Regiment geführt hatten.

Die Straßenemcnte war namentlich in Berlin fast zu einer ständigen In¬
stitution geworden. Zwar zuerst uach den Kämpfen vom 18. Mürz hatte die
große Mehrheit der Berliner einen tiefen Schauder davor bekommen, und die
schnell geschaffene Bürgerwchr bemühte sich wirklich mit allem Ernste und nicht
ohne persönliche Aufopferung dafür, daß fortan die Ordnung auf den Straßen
aufrecht erhalten und ein friedlicher Gang der Dinge möglich werde. Als die
„Zeitungshalle," ein damals vielverbreitetes Blatt, gegen Ende März daran
erinnerte, daß die Arbeiter, die am 18. März für Berlins Freiheit gefochten
hatten, nun auch ihren Lohn erhalten oder sich solchen mit den Waffen erkämpfen
müßten, erhob sich ein einmütiger Entrüstungsschrei über diese Aufhetzung, und
der Redakteur der „Zeitungshalle" soll unangenehme Eindrücke von der Kraft
der Bürgerwehrfäuste erhalten haben.

Aber es war niemand da, der diese Stimmung auszunutzen, zu leiten und
zu organisiren vermocht hätte, und so hielt sie den fortgesetzten Wühlereien
nicht stand. Als im Mai mißliebig gewordene Minister auf offener Straße
mißhandelt wurden, da wurden sie zwar von den bewaffneten Studenten befreit
und in das Universitätsgebäude gerettet; aber diese hielten es doch schon für
angemessen, die Gelegenheit zu benutzen, um den Ministern in der Aula eine
Vorlesung über ihre Schlechtigkeit und ihre Pflichten als Staatsminister zu
halten. Es soll namentlich einen drastischen Eindruck gemacht haben, als ein
kleiner jüdischer Student, der an einen großen Kavalleriesäbel angeschnallt war,
vor Heinrich von Arnim, einen bereits ergrauenden Kämpfer aus den Freiheits¬
kriegen und gewiegten Diplomaten, hingetreten ist und ihm zugerufen hat: „Ich
verachte Sie, aber ich schütze Sie."

Im Juni konnte schon der traurige Zeughaussturm geschehen, der umso
trauriger war, als dabei auch der sonst so blank erhaltene Schild der Preußischen
Armee mit einem schwarzen Fleck besudelt wurde. Wie die Erneute zu einer
mit voller Überlegung und mit Raffinement von den Umsturzleulen benutzten
Waffe geworden war, davon habe ich mich am Tage des Zeughaussturmcs, an
dem ich nach dreimonatlicher Abwesenheit nach Berlin zurückgekehrt war, per¬
sönlich überzeugen können. Die Parole, daß dem Arbeiter Waffen verschafft
werden müßte», war schon seit einigen Tagen ausgegeben, Maueranschläge ver¬
handelten das Thema in allen Variationen, radikale Klubs zogen in geschlossenen
Trupps vor das Kriegsministerium, um ihre Forderungen zu übergeben, die
»och von den Pfingsttageu her feiernden Arbeiter wogten in den Straßen un¬
ruhig auf und ub, vor allem unter den Linden und in der Leipziger Straße.
Aber noch fehlte das Losungswort und das Angriffssignal. Da wurde ich auf


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[0575] Die Mittel, durch welche sie die Herrschaft führten, waren die Straßen- cmente, die Presse und die Klub- oder Volksversammlungen, also dieselben Mittel, mit denen die Umsturzparteien auch in der großen französischen Revolution ihr Regiment geführt hatten. Die Straßenemcnte war namentlich in Berlin fast zu einer ständigen In¬ stitution geworden. Zwar zuerst uach den Kämpfen vom 18. Mürz hatte die große Mehrheit der Berliner einen tiefen Schauder davor bekommen, und die schnell geschaffene Bürgerwchr bemühte sich wirklich mit allem Ernste und nicht ohne persönliche Aufopferung dafür, daß fortan die Ordnung auf den Straßen aufrecht erhalten und ein friedlicher Gang der Dinge möglich werde. Als die „Zeitungshalle," ein damals vielverbreitetes Blatt, gegen Ende März daran erinnerte, daß die Arbeiter, die am 18. März für Berlins Freiheit gefochten hatten, nun auch ihren Lohn erhalten oder sich solchen mit den Waffen erkämpfen müßten, erhob sich ein einmütiger Entrüstungsschrei über diese Aufhetzung, und der Redakteur der „Zeitungshalle" soll unangenehme Eindrücke von der Kraft der Bürgerwehrfäuste erhalten haben. Aber es war niemand da, der diese Stimmung auszunutzen, zu leiten und zu organisiren vermocht hätte, und so hielt sie den fortgesetzten Wühlereien nicht stand. Als im Mai mißliebig gewordene Minister auf offener Straße mißhandelt wurden, da wurden sie zwar von den bewaffneten Studenten befreit und in das Universitätsgebäude gerettet; aber diese hielten es doch schon für angemessen, die Gelegenheit zu benutzen, um den Ministern in der Aula eine Vorlesung über ihre Schlechtigkeit und ihre Pflichten als Staatsminister zu halten. Es soll namentlich einen drastischen Eindruck gemacht haben, als ein kleiner jüdischer Student, der an einen großen Kavalleriesäbel angeschnallt war, vor Heinrich von Arnim, einen bereits ergrauenden Kämpfer aus den Freiheits¬ kriegen und gewiegten Diplomaten, hingetreten ist und ihm zugerufen hat: „Ich verachte Sie, aber ich schütze Sie." Im Juni konnte schon der traurige Zeughaussturm geschehen, der umso trauriger war, als dabei auch der sonst so blank erhaltene Schild der Preußischen Armee mit einem schwarzen Fleck besudelt wurde. Wie die Erneute zu einer mit voller Überlegung und mit Raffinement von den Umsturzleulen benutzten Waffe geworden war, davon habe ich mich am Tage des Zeughaussturmcs, an dem ich nach dreimonatlicher Abwesenheit nach Berlin zurückgekehrt war, per¬ sönlich überzeugen können. Die Parole, daß dem Arbeiter Waffen verschafft werden müßte», war schon seit einigen Tagen ausgegeben, Maueranschläge ver¬ handelten das Thema in allen Variationen, radikale Klubs zogen in geschlossenen Trupps vor das Kriegsministerium, um ihre Forderungen zu übergeben, die »och von den Pfingsttageu her feiernden Arbeiter wogten in den Straßen un¬ ruhig auf und ub, vor allem unter den Linden und in der Leipziger Straße. Aber noch fehlte das Losungswort und das Angriffssignal. Da wurde ich auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/575>, abgerufen am 22.07.2024.